Friedensstationen im Appenzeller Vorderland – Drei Ausschnitte

by Kristin Schmidt

Gestalt der Friedensstationen

In Heiden neben einem klassizistischen Bürgerhaus, auf einer Grünfläche vor Mehrfamilienhäusern gegenüber der evangelisch-reformierten Kirche in Wolfhalden, im leicht abschüssigen Wiesenhang mit Bodenseeblick bei Blatten, auf dem Friedhof Walzenhausen: die Friedensstationen sind mal mitten im Dorf zu finden, mal am Ortsrand. Sie liegen in naturnaher Umgebung oder an der Durchgangsstrasse. Die Aufgabe, den Stationen eine Gestalt zu verleihen, war daher nicht einfach. Schliesslich sollen die Stationen den unterschiedlichen Gegebenheiten gerecht werden, sie sollen auffallen, aber sich auch einfügen. Sie sollten dauerhaft, aber nicht zu monumental ausgeführt sein. Sie sollen als Hingucker funktionieren, aber nicht die Umgebung dominieren. Farbe musste her, aber möglichst eine eigenständige. Das Ergebnis dieser Suche sind Kuben mit gerundeten Metallkanten. Die Seiten sind in einem dunklen Orangeton gehalten, die Oberseite grau mit heller Schrift. Denkmalpfleger Fredi Altherr ist zufrieden: „Die Kuben sind recht filigran und ihre Farbe wird nicht unmittelbar mit etwas Bekanntem in Verbindung gebracht.“

Das Orange erinnert vielleicht doch ein wenig an den Markenauftritt des grössten Schweiz Detailhandelsunternehmens. Dafür hebt es sich gut vom Grün der Wiese ab und sorgt auch in dichter möblierten Ortskernen für Aufmerksamkeit. Stabil sind die Kuben ausserdem, selbst als Sitzgelegenheit sind sie zu gebrauchen.

Friedensrat

Sticheln, schlagen, schubsen, stänkern – Alltag auf dem Schulhof. Das war immer schon so und überall, muss das auch immer so bleiben? Warum nicht auf den ausgeprägten kindlichen Gerechtigkeitssinn vertrauen? Warum ihn nicht stärken und fördern, auf dass er auch im Erwachsenenalter fortwirke? Lässt sich Frieden an einer Schule durch die Kinder selbst bewirken und doch institutionalisieren? An der Dorf Primarschule Heiden bewährt sich seit vielen Jahren, was in der Welt der Grossen allzuoft scheitert. Die Kinder klären ihre Streitfälle selbst in und vor einem kleinen Gremium. Das ewige „Der hat mir…“ und „Die tut mir immer…“ landet nicht mehr vor den Lehrern, sondern im Friedensrat. Einmal wöchentlich treffen sich Je zwei Kinder der 3., 4., 5. und 6. Klasse. Zwei Lehrkräfte sind auch dabei. Sie leiten den Friedensrat aber nicht, sondern unterstützen und protokollieren. Die Kinder aber hören einander zu. Die einen artikulieren ihre Konflikte, legen ihre Gefühle offen. Die anderen fragen nach, ermuntern Lösungen zu finden und regen deren Umsetzung an und überprüfen den Fortgang sogar.

Schulvorsteherin Gabi Schrödl erlebt den Friedensrat sehr positiv: „Die Kinder reden darüber, wie es besser sein könnte, wie sie die eigenen Handlungen steuern können. Die Lehrerinnen und Lehrer werden durch den Friedensrat entlastet, und die Kinder lernen neutral zuzuhören. Sie erleben, dass sie mitreden dürfen, und sie erfahren, dass Frieden nicht einfach da ist, sondern ein Moment ist, den sie geniessen können und sich immer neu erarbeiten müssen.“ Sogar Mobbingprobleme können bewältigt werden: „Dank Friedensrat kann der Mobbingspirale entgegen gewirkt werden. Die Kinder machen frühzeitig darauf aufmerksam, wenn sie ausgegrenzt werden.“ Die Gefahr, dass Druck aufgebaut, jemand erpresst oder als Denunziant behandelt wird, wird auf diese Weise vermieden und wurde sogar in der grossen Schulversammlung offen diskutiert.

Und beinahe nebenbei erfahren die Kinder, wie wichtig es ist, Protokolle zu verfassen, wie wichtig es ist, schnell und dennoch leserlich schreiben zu können. Es passt also gut, dass der Friedensrat während des Unterrichtes stattfindet. Er vermittelt viele Kompetenzen und fügt sich damit wie von selbst in den vieldiskutierten Lehrplan 21 ein.

Inzwischen ist der Friedensrat zehn Jahre alt. Zeit für eine Anpassung? Für Gabi Schrödl ist der Friedensrat kein unumstössliches Format. Er hat durchaus Verbesserungspotential, denn auch, wenn er kein Gericht ist und nicht straft, so sitzen doch einem ratsuchenden Kind acht beratende Kinder gegenüber. Dieses zahlenmässige Ungleichgewicht kann Unbehagen verursachen. Und vielleicht ginge es im Gremium auch ganz ohne Lehrerinnen und Lehrer. Bereits jetzt werden die Kinder für ihre Aufgabe im Friedensrat ausgebildet und betreut und vielleicht können sich die Erwachsenen noch weiter zurücknehmen. Schliesslich kennen die Kinder viele der Situationen aus eigenem Erleben, können mitfühlen und ihr Verhalten spiegeln. Auch eine Öffnung für weitere Themen ist angedacht, vielleicht auch für solche, die von daheim mitgebracht werden. Die grösste Aufgabe der Schülerinnen und Schüler wird sich aber nicht ändern: neutral zuhören zu können.

Catharina Sturzenegger

Sie war Friedensaktivistin und erste Frau im Schiessverein Wolfhalden. Sie war „Vertraute Dunants“, wie es auf der Gedenktafel an der Kirche in Wolfhalden heisst, und Botschafterin der Genfer Konvention, sie war aber auch voller Bewunderung für kriegerische Taten, wenn sie nur der von ihr favorisierten Seite dienten. Ihre Erörterungen zur Wettbewerbsfrage „Wie kann eine kräftige internationale Strömung gegen den herrschenden Militarismus auf passende Weise hervorgerufen werden?“ erreichte beim Stockholmer Preisgericht den siebten Rang von 112 Eingaben. Aber sie zeigte sich auch fasziniert von sogenannten soldatischen Tugenden: Catharina Sturzenegger war eine widersprüchliche Frau. Auch in ihren Schriften: „Ich sympathisiere mit jedem Lande, das sein Blut verspritzt, um seine Ehre zu retten.“ So klingt keine Pazifistin. So schon eher: „Der Schritt, auch den Völkerfrieden völkerrechtlich zu reglieren (sic), liegt somit in der Mission der Zukunft und ist wohl nichts weiteres mehr als eine Frage der Zeit. Ist dieselbe gelöst, so hören die `Menschenabschlachtungen´ von selber auf“.

Catharina Sturzeneggers „Kurz gefasste Schweizergeschichte“ ist ein Büchlein voller Ambivalenzen. So schlug sie darin einerseits vor, die „fürchterlichen Militärlasten und ständigen Rüstungen“ zu unterlassen und somit die „soziale Frage“ zu lösen, namentlich die Besserstellung der „untern Stände“, aber sie schwärmte andererseits für den „ehrenvollen Heldenkampf“. Wortwahl, Sprachduktus und die immer wieder deutliche Parteinahme der Autorin verweisen nicht auf eine Historikerin, sondern auf die von grossem Eifer erfasste Patriotin, die immer wieder zu nationalistischen Zwischentönen neigt. War Catharina Sturzenegger nun also pazifistisch oder nicht?

Einfach macht sie der Nachwelt die Sache nicht, und einfach war es wohl auch nicht für Sturzenegger selber. Ihre Schriften sind ein beredtes Zeugnis einer Frau aus einfachen Verhältnissen, die sich ihre Weltsicht weitgehend selbst angeeignet hatte. Wer Sturzeneggers Leistungen vergleicht mit jenen der österreichischen Pazifistin und Friedensforscherin Bertha von Suttner oder der einflussreichen Reformerin des Gesundheits- und Sanitätswesens, Florence Nightingale, darf die Biografien nicht ausser Acht lassen. Von Suttner und Nightingale agierten vor dem Hintergrund sehr wohlhabender, bildungsbewusster Familien. Sturzenegger hat sich ihr Wissen von der Fremdsprache bis hin zu Kenntnissen in der Krankenpflege selbst angeeignet. Vom Appenzeller Vorderland aus bricht sie zunächst gedanklich und schliesslich als Reisende auf mit grossem Enthusiasmus, um die Welt zu einer besseren zu machen. Ihre dort gewonnenen Erkenntnisse muten mitunter sehr einfach an, aber genau dies ist die Basis gelebter Humanität: „Es ist ganz gut, wenn wir uns vom eigenen engbegrenzten Haushalt hie und da ein wenig abwenden und den Blick in die Ferne schweifen lassen, über Berge und Meere und Ozeane hin, wo wir nebst weissen auch schwarze und gelbe Menschen kennen lernen, an der Arbeit, im Hause und im öffentlichen Leben, und es wird uns dabei bewusst, dass es auch da grosse und edle Menschen gibt; man wird genügsam und bescheiden, lernt Leid heroisch und Enttäuschungen mit Würde ertragen; und das ist doch sicher auch etwas wert.“

Obacht Kultur, No. 30 | 2018/1