Erwachsenenbuch statt Frauensache
by Kristin Schmidt
Die St.Galler Künstlerin Marlies Pekarek hat den aktuellen lista office Kalender gestaltet. Sie präsentiert eine reich bebilderte Agenda mit einem vielfältigen Bezugssystem.
Brauchen Frauen eine andere Agenda als Männer? Wenn ja, warum? Was muss eine Frauenagenda haben, was eine Agenda für Männer nicht hat, und umgekehrt? Was gehört überhaupt in eine Agenda ausser einem Kalendarium? The Australian Womens Diary ist eine Agenda für Frauen. Sie wurde in den Jahren von 1985 bis 1998 herausgegeben und enthielt Sinnsprüche, Bilder und Ratschläge; sie wartete auf mit Werbung und Wissen, mit Vignetten, Modeaufnahmen, einer Seite für Familiengeburtstage und mit Platz für tägliche Notizen. Dieser war so bemessen, dass neben knappen Einträgen zu Uhrzeit, Ort und Anlass auch Gedankenschnipsel und Erinnerungen festgehalten werden konnten.
Die australische Frauenagenda steht damit in der Tradition der Tagebücher, die spätestens seit dem 19. Jahrhundert zur Dokumentation eines moralisch einwandfreien Lebenswandels anhalten und Frauen darüber hinaus auf privates Schreiben fixieren sollten. Zugleich weist The Australian Womens Diary zu jenen Büchern einen grossen Unterschied auf: Die vorgedruckten Inhalte der Frauenagenda suggerieren Allgemeingültigkeit. Die ausgewählten Abbildungen, die jahreszeitabhängigen Gesundheits- und Verschönerungshinweise, die an christliche Festtage gebundenen Botschaften sollen als vorgefertigte Inspirationsquelle für das alltägliche Leben dienen und richten sich dabei an Benutzerinnen eines fest definierten Kultur- und Gesellschaftskreises. Dem widerspricht auch das Quellenmaterial nicht, sondern dokumentiert den ungebrochenen Einfluss der britischen Monarchie. Die Vorlagen vieler Bilder entstammen dem ausgehenden 19. Jahrhundert – einer Zeit, in der die reich bebilderten Tagebücher der Königin Victoria Vorbildcharakter erlangten.
Marlies Pekarek wurde bei ihrem ersten Atelieraufenthalt in Australien auf die reich illustrierten Kalenderbücher aufmerksam. Sie trafen einerseits auf das visuelle Gespür der Künstlerin und andererseits auf ihr Interesse für unterschiedliche kulturelle Traditionen, Rollenbilder und historische Schlüsselereignisse. Sie begann die Frauenagenden zu überarbeiten, sich mit dem Vorgefundenen auseinanderzusetzen und tagesaktuelles Bildmaterial hinzuzufügen. Die Resultate dieser Arbeit publizierte sie unter dem Titel „Time Shifts, Patterns Stay the Same – The Australiens Womans Diary“.
Das Buch lebt von der künstlerischen Handschrift Pekareks. Sie hat ausgeschnitten und überklebt, hat Individualität aufgelöst und Gleiches zu Reihungen aneinandergefügt. Tradierten Rollenklischees hat sie unkonventionelle Frauenbilder entgegengesetzt oder bis ins Absurde zugespitzt und damit westliche Selbstverständlichkeiten ebenso hinterfragt wie Geschlechterstereotypien anderer Kulturkreise.
In der vorliegenden Agenda treibt Marlies Pekarek ihr hintersinniges Spiel weiter. Ein reproduzierter Glanzbildbogen, ein zehnfaches Porträt der jungen Königin Elizabeth II. bildet den Auftakt der Agenda und knüpft an das früher verwendete Bildnis der Königin Victoria an. Wenige Seiten weiter hebt eine junge Frau scheinbar gottesfürchtig ihren Blick, sie ist unter der Haube, aber schulterfrei. Ihren Kopfputz krönt eine Mango. Die Künstlerin versammelt hier mehrere Andeutungen auf Bildthemen, die sowohl innerhalb der Agenda als auch in ihrem gesamten Werk bedeutsam sind. Christlicher Habitus trifft hier auf aufreizende Kleidung, Spitze – angedeutet durch ein papiernes Platzdeckchen – trifft auf den Schleier, westliche Gestaltungselemente auf die fernöstliche Frucht, mitten drin sitzt die Haube als be- und abschirmendes Element.
Bald darauf taucht auch die Mango wieder auf und einmal mehr verknüpfen sich mehrere Bildstränge auf einer Doppelseite. Die Mango entpuppt sich als eines jener Exemplare, die Mao 1968 als Gastgeschenk des pakistanischen Aussenministers erhalten und huldvoll an seine Propagandatruppen weiterverschenkt hatte. Sie lösten eine Mangohysterie aus, die sich umgehend mit dem Maokult verband. Mangos wurden in Wachs nachgebildet, auf Kissen gelegt und in Prozessionen mitgetragen – die Nähe zur religiösen Reliquienverehrung ist hier ebensowenig zufällig wie das christliche Kreuz auf der nächsten Doppelseite.
Jeder Kult lebt von Symbolen. Marlies Pekareks hat ein dichtes Geflecht von Symbolen über ihre Agenda gelegt: vom Ei über die Maske, den Schleier, den Absatzschuh bis hin zu einer vielfältigen Tiersymbolik. Neben dem Affen und dem Hasen ist vor allem der Hund, der in Zeichnungen, Texten, collagierten Drucken oder Fotografien gezeigt wird. Er lässt sich als Verweis auf das Jahr des Hundes lesen, steht aber zugleich für die weit verzweigten Bezugssysteme, in denen Marlies Pekarek arbeitet. Der Hund ist zu sehen als Gefährte des Menschen, als Nachfahre des Wolfes, aber auch als Dekorationsobjekt und indirektes Zahlungsmittel. So liegt der Agenda ein eigens produzierter Glanzbildbogen mit abgebildeten Porzellanpudeln bei. Die Doppeldeutigkeit dieser Figuren erschliesst sich über den abgedruckten Text und steht im Kontrast zu den Heile-Welt-Sujets der herkömmlichen Glanzbilder. Immer wieder unterwandert Marlies Pekarek das vermeintlich Harmlose mit feinsinniger Ironie, schickt Promenadenmischungen unter die Reinrassigen und macht aus einer Frauenagenda ein vieldeutiges Erwachsenenbilderbuch.