Gross, grösser, gigantisch
by Kristin Schmidt
Das Kunsthaus Bregenz feiert sein zwanzigjähriges Jubiläum mit «The Theatre of Disappearance». Die Schau des Argentiniers Adrián Villar Rojas ist eine der aufwendigsten in der Geschichte des Ausstellungshauses.
Die Architektur Peter Zumthors fordert in ihrer Strenge und Klarheit die Kunst heraus. Mal wurden die Oberlichter des Kunsthaus Bregenz skellettiert, mal wurde es geflutet und vernebelt. Es wurde an die Belastungsgrenze gebracht, ganze Räume wurden verschüttet, zusätzliche Wände eingebaut oder aufgehängt. Die Architektur ist geduldig und im Idealfall öffnen die Interventionen den Blick für die Arbeitsweise des Architekten, für Massstab, Material und Lichtführung.
In der aktuellen Ausstellung ist ein solcher Mehrwert ins Gegenteil verkehrt. Die Eingriffe in den Bau sind zwar radikal, aber sie reiben sich weniger an der Qualität des Hauses als dass sie sie negieren: Adrián Villar Rojas hat die Türöffnungen zu den Räumen und Aufzügen verkleinern und auf vier Etagen neue Böden verlegen lassen. Nicht irgendwelche Böden, versteht sich, denn bei Adrián Villar Rojas muss alles eine Nummer grösser sein, eine Nummer gigantischer. So wurde das Erdgeschoss geräumt, der Kassentresen in das Untergeschoss verbannt und der Fussboden vollständig bedeckt mit einer Kopie der «Madonna del Parto» des italienischen Renaissancemeisters Piero della Francesca.
Die Madonna ist nun so gross, dass sie den Blicken entzogen ist, aber den Füssen preisgegeben. Sie rückt in die Nähe, da sie sich greifen, ja sogar treten lässt, aber sie bleibt unnahbar, da sie sich nicht mehr als Ganzes erfasst werden kann – ein 450 Quadratmeterbild. Gehilfen des argentinischen Künstlers haben es auf Holzplatten gemalt und auch gleich noch Spuren der Zeit imitiert: Das Holz wurde aufgebrochen, abgeschabt, verletzt und bereitet mit der vernarbten Oberfläche auf das vor, was eine Etage darüber folgt.
Hier, im ersten Obergeschoss hat Adrián Villar Rojas tonnenweise braune Marmorplatten verlegen und tatsächlich eingeschlossene sowie künstliche Ammoniten stolpersteingleich herausmeisseln lassen. Das Ornament ist wichtiger als die Naturwissenschaft. Künstliche Efeuranken über der Glasdecke und steinzeitähnliche Zeichen den Wänden verstärken den Kulisseneindruck. Das Höhlengefühl wird ein Stockwerk darüber noch gesteigert. Dunkel und warm ist es hier. Zwischen schwarzen Kristallen züngeln echte Flammen. Sie sind die einzige Lichtquelle im Raum und erhellen nur spärlich eine Kopie von Picassos «Guernica». Das Ambiente mit polierten Marmorplatten am Boden, marmornen Clubsesseln, überdimensioniertem Kamingitter, aus dem auch ein martialischer Lüster geformt ist, entlarvt die Präsentation des Antikriegsbildes als reines Prestigeobjekt. Fehlen nur noch die Mächtigen, die in diesem Bunker die Welt unter sich aufteilen – bis ein Geheimagent eintrifft, vielleicht im Dienste Ihrer Majestät. Vielleicht ist der aber auch schon weitergezogen so wie der Superheld im Obergeschoss. Dort ist die wohl berühmteste Skulptur der Welt der Last ihres Ruhmes immerhin teilweise entkommen. Nur die Beine der Marmorkopie von Michelangelos David stehen inmitten einer vierteiligen Rampe. Den ganzen grossen Rest der Kolossalstatue entlässt Rojas in die Freiheit und entschädigt dafür mit niedlichen spielenden Katzenkindern. Hehre Grösse oder Kitsch? Kunst oder Kulisse? Solche Kategorien hebelt der Argentinier aus – unbefangen und mit einem deutlichen Hang zum Monumentalen. Zumindest durch diesen Gigantismus wird die Schau innerhalb der Ausstellungshistorie des Kunsthauses Bregenz in Erinnerung bleiben.