Gilgi Guggenheim – Das Museum der Leere
by Kristin Schmidt
Einführung
Documenta 13, 2012 in Kassel: Im Erdgeschoss des Fridericianums waren keine Bilder, Performances, Objekte zu sehen. War es also leer? Der britische Künstler Ryan Gander hatte ausserhalb des Gebäudes ein Gebläse installiert, das einen kräftigen Wind durch das traditionsreiche Ausstellungshaus wehen liess. Die Medien stürzten sich in ihrer Berichterstattung auf die vermeintliche Leere, übersahen jedoch, dass der Wind den gesamten Raum füllte. Der Wind ist nicht Nichts. Genausowenig wie die Leere Nichts ist. Sie ist nicht die Abwesenheit von Etwas, sondern ist selbst etwas.
Gilgi Guggenheims Museum der Leere befasst sich mit der Leere als etwas Konkretem. Damit ist es grundsätzlich anders gelagert als etwa das „No Show Museum“ Andreas Heussers. Der Schweizer gründete das weltweit erste Museum, das sich dem Thema des Nichts als Negation, des Abwesenden widmet. Dessen Erscheinungsformen in der Kunst sind vielfältig und lösten den lange die Kunst dominierenden horror vacui ab. So füllten noch die Amerikanischen Expressionisten wie Action Painter Jackson Pollock, wie Mark Rothko oder William DeKooning ihre Leinwände mit üppigen Farb- und Formorgien von Rand zu Rand. Wie liess sich da neuer Platz schaffen? 1953 begab sich der 28 Jahr junge Robert Rauschenberg zu William DeKooning ins Atelier und erbat sich eine Zeichnung – um sie auszuradieren. Berichtet wird, dass DeKooning sofort einverstanden war und lange in seinen Zeichnungsmappen suchte, um ein dicht mit Buntstift gefülltes Blatt auszuwählen, das schwierig auszuradieren sein würde. Drei Radiergummis soll Rauschenberg für „Erased DeKooning Drawing“ benötigt haben. Und doch hat er den grossen Meister nicht ausradiert. Er hat nicht die Kunst negiert, sondern der Kunst aus der eigens geschaffenen Leere heraus einen neuen Anfang ermöglicht. Im gleichen Geist agierte Yves Klein. Sein berühmter Sprung ins Leere ist eine Geste der Freiheit, die Verkündigung einer neuen Ära, „ein kleiner Sprung für einen Künstler, aber ein grosser für die Kunstgeschichte“. Die Legendenbildung hat an diesem Sprung allerdings kräftig mitgearbeitet. Yves Klein absolvierte seinen berühmten Sprung zweimal, bevor die Fotomontage Weltruhm erlangte. Der erste Sprung erfolgte am 12. Januar 1960 privat und angeblich ohne Hilfsmittel oder Schutzmassnahmen aus dem Fenster einer befreundeten Galeristin und endete in einer Fussgelenksverletzung. Beim zweiten Sprung liess sich der Künstler von den Mitgliedern des dem Hause gegenüber liegenden Judoclubs mit einer Plane auffangen. Anschliessend wurden die Judosportler wegretuschiert – in diesem Falle ersetzte die Leere auf dem Bild also tatsächlich etwas. Aber Yves Klein hatte die Leere bereits vorher ausdrücklich thematisiert. Am Vorabend seines 30. Geburtstages eröffnete er 1958 in der Pariser Galerie Iris Clert die Ausstellung „Le Vide“. Die Galerie war bis auf eine Glasvitrine vollständig leer. Der Eingang war mit einem pompösen Theatervorhang verhängt und die Fenster zur Galerie waren blau gestrichen. Zwei Mitglieder der Republikanischen Garde bändigten die rund 3‘000 Neugierigen. Wer bereit war, 1‘500 Francs zu zahlen, durfte drei Minuten lang in der Ausstellung die Leere erleben und wurde wieder nach draussen gewiesen. Ein kurzes Vergnügen. Einige Jahre später liess Yves Klein „Le Vide“ in die Villenarchitektur des Haus Lange in Krefeld einbauen. Der weiss getünchte Raum von sieben Quadratmetern Grundfläche ist im Originalzustand erhalten, leer – und meist verschlossen. Aber die Leere braucht die Anwesenheit des Publikums. Ohne Anwesenheit des Publikums existiert die Leere nicht. Wie auch? Niemand beseelte oder bezeugte sie. Genau das ermöglicht Gilgi Guggenheims künstlerisches Projekt des Museums der Leere: Hier ist Leere zu erleben, hier wird eine Auseinandersetzung möglich. Der Raum bietet einerseits Projektionsfläche und andererseits Reflexionsmöglichkeiten. Halten wir die Leere aus? Wie empfinden wir im Kontrast dazu die Fülle? Welche Fülle kommt uns in den Sinn, die städtische oder die der inneren Eindrücke? Was erlaubt uns die Leere? Ein wichtiger Unterschied des künstlerischen Konzeptes von Gilgi Guggenheims Museum der Leere zu Yves Kleins Idee liegt zudem in der Definition des Ortes. Gilgi Guggenheims Werk ist kein Raum der Leere, sondern ein Museum der Leere. Mit dem Begriff des Museums verbindet sich ein anderer, weiter ausgreifender Anspruch. Ein Museum ist ein Ort des Zeigens, des Bewahrens und des wissenschaftlichen Aufarbeitens. So wird Gilgi Guggenheim eine Bibliothek der Definitionen wachsen lassen. Sie sammelt Gedanken und Ideen zur Leere und wird ein breites Spektrum an Auseinandersetzungen zulassen von der Performance bis zur Philosophie, von der Malerei bis zur Musik. All dies steht nicht im Widerspruch zur Leere. John Cages „4‘33‘‘“ ist dafür ein herausragendes Beispiel. Das Werk wurde am 29. August 1952 in New York uraufgeführt. Angeregt wurde Cage zu seiner Partitur unter anderem von Robert Rauschenbergs „White Paintings“. Im gesamten Stück sind keine Töne zu hören, sondern die Stille zwischen dem anfänglichen und dem abschliessenden Klappen des Klavierdeckels. Dementsprechend gross ist die Freiheit: Zahl und Art der (nicht) benutzten Elemente können frei gewählt werden.
Auch Exponate sind Museum der Leere nicht ausgeschlossen, denn die Leere definiert sich unter anderem durch die Hülle, das Behältnis oder im konkreten Falle durch den Raum. Und sie bietet einen interpretatorischen Spielraum, der dazu reizt, die Leere zu unterwandern, etwa durch den Wind, durch Klang oder durch den Duft wie mit der Installation „Memories of Water“ des österreichischen Künstlers Paul Divjak. Der Möglichkeiten sind viele und sie versprechen sinnlichen, inhaltlichen und künstlerischen Reichtum. Der Turner-Preisträger Martin Creed sagte angesprochen auf den Minimalismus seiner Arbeit“ Work No. 227: The lights going on and off“: „…es ist gar kein minimalistisches Werk. Es besteht aus einem ganzen Raum, aus den Lichtern, aber auch aus den völlig unterschiedlichen Menschen, die im Laufe der Zeit durch diesen Raum gehen. Es ist in ständiger Veränderung und scheint die ganze Welt zu reflektieren. Ich denke wirklich nicht, dass so etwas minimalistisch ist.“ Gilgi Guggenheims Museum der Leere erlaubt es, Teil ihrer Arbeit zu werden, ästhetische und gedankliche Fülle zu erleben und im Sinne Paul Divjaks einen „Assoziations-Explosions-Genuss“ in Gang zu setzen.
Museumsnacht 2016