Lika Nüssli – DRAWINGHELL Position 3
by Kristin Schmidt
Einführung
Die Tür zum Architekturforum lässt sich öffnen, doch der Zugang bleibt eingeschränkt. Stoffbahnen begrenzen Sicht und Schritte. Licht schimmert durch und fordert auf, neue Wege zu suchen und abgetrennte Areale dennoch zu betreten. Lika Nüssli installiert keine festen Einbauten und verleihen dem Ausstellungssaal des Architekturforums doch eine neue Gliederung. Die Künstlerin arbeitet mit der vorhandenen Architektur und schafft neue, temporäre Räume, indem sie Papier und Stoff wandfüllend und raumgreifend installiert und ihre Bildwelten darauf wachsen lässt. Zusätzlich schafft eine ausgeklügelte Lichtregie eine neue Atmosphäre in dem ehemaligen Lagerraum. Das Material dafür ist denkbar einfach: Baustrahler, Stoffbahnen aus dem Brockenhaus, Holzleisten, Klebeband und Schraubzwingen – eine Installation, die funktioniert, aber nicht den Einspruch auf Ewigkeit erhebt und gerade deshalb aufs Beste mit dem Thema Lika Nüsslis verbunden ist: Seit einiger Zeit setzt sich die Künstlerin mit dem Leben Flüchtender, mit Migration und Fremde auseinander. Die prekäre Situation der Menschen unterwegs, die Unsicherheit und Gefährdung scheinen in skizzenhaften Zeichnungen motivisch auf und sind zugleich eingebettet in starke gestische, gegenstandslose Malerei. Begleitet wird sie von ebenso poetischen wie treffsicheren Sätzen, persönlichen Reflexionen der Künstlerin wie „Meine Haut liegt hier, aber meine Angst haben die Wellen verschluckt.“ Wort und Bild gehen in Lika Nüsslis Werk ineinander über, Zeichnung und Malerei treffen sich und weisse Flächen bieten Freiraum zum Selberweiterdenken. Lika Nüssli arbeitet gattungsübergreifend. Sie zeichnet, malt und illustriert. Darüber hinaus bewegt sie sich seit einigen Jahren mehr und mehr auch im installativen und performativen Bereich. Bereits in ihrer DRAWINGHELL in der Hauptpost, für die sie den Werkbeitrag 2014 erhielt, breitete sich die Installation der Künstlerin über Wände und Boden sowie bis unter die Raumdecke aus. Bereits dort fanden Zeichnungsaktionen statt, bei denen Lika Nüssli ihre Arbeit in einem offenen Prozess entwickelt, vor Publikum weiterverfolgt und immer weiterwachsen lässt. Der Prozesscharakter ihrer Arbeit zeigt sich im Architekturforum in zweierlei Hinsicht. Einerseits gehen Teile der Installation aus Werkbestandteilen aus der Hauptpost hervor. Für die aktuelle Ausstellung sind sie neu zusammengesetzt und weitergeführt. Andererseits zeigt ein Video, dass auch der Aufbau Teil der Installation ist, und weist darauf hin, dass die Arbeit nach der Eröffnung nicht abgeschlossen ist. DRAWINGHELL Position 3 zeigt zu jeder Zeit einen momentanen Zustand und wird von der Künstlerin beständig weiterentwickelt. So geht sie während ihrer Performances auf den Raum ein, lässt ihn wirken und schreibt in einem beständigen Zwiegespräch mit den Gegebenheiten die Erzählung im Raum fort. Somit eignet der Installation nicht nur in materieller Hinsicht etwas provisorisches, sondern auch die traditionelle Auffassung vom Kunstwerk als eines vollendeten, unantastbaren Artefaktes wird hinterfragt. Im Architekturforum berühren diese Fragen unwillkürlich auch den gebauten Raum. Lika Nüssli konfrontiert die bestehende Architektur mit einem fragilen, durchscheinenden Gegenüber. Temporär und labyrinthisch trifft auf geometrisch und armiert – ein Kontrast ganz ähnlich dem der unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten der Menschen unterwegs.
Städtische Ausstellung im Lagerhaus, Architekturforum Ostschweiz, 28. August bis 20. September 2015