Hagel im Glashaus

by Kristin Schmidt

Rachel Rose verwebt Bild und Ton zu dichten Videocollagen. Das Kunsthaus Bregenz zeigt aktuelle Arbeiten der jungen Amerikanerin.

«Senkrechtstarterin», «Shootingstar der US-amerikanischen Kunstszene», «die jüngste Künstlerin, die jemals ins Kunsthaus Bregenz eingeladen wurde»: Rachel Rose wird mit Superlativen angekündigt; Superlativen, die sich auf ihr Alter und ihre Karriere beziehen. So hat die 1986 geborene New Yorkerin bereits im Whitney Museum in New York ausgestellt, in der Serpentine Gallery in London, im Castello di Rivoli in Turin, und soeben ist sie als Teilnehmerin der diesjährigen Biennale Venedig angekündigt worden. Jetzt sind drei ihrer neuesten Videoarbeiten im Kunsthaus Bregenz zu sehen – je eine pro Obergeschoss, projiziert auf eigens gebaute, frei stehende Wände, umgeben von sehr viel Raum.

Der glatte Beton, der Terrazzoboden, das matte Glas und die indirekte Beleuchtung im Zumthor-Bau sind der klar strukturierte Rahmen für Rachel Roses heterogene Bildwelten. Die Künstlerin verarbeitet eigens aufgenommene Videos und Tonspuren, filmt bewegte und unbewegte Bilder ab und verwendet vorgefundene Filmsequenzen unterschiedlicher Provenienz und Qualität.

Huschender Architekt, ungebändigte Natur

So mischen sich in «A minute ago» Amateuraufnahmen eines Hagelsturms in Sibirien mit Nicolas Poussins «Landschaft mit der Beerdigung von Phocion», des einzigen Gemäldes in Philip Johnsons Glass House. Filmische Ansichten jener Villa und des umgebenden Parks werden gezeigt und lösen sich in Pixeln auf. Dazwischen huscht der Architekt schemenhaft durchs Bild.

Das Gemenge der visuellen und akustischen Eindrücke folgt einer deutlichen inhaltlichen Linie: Rachel Rose überprüft die Durchlässigkeit zwischen Innen und Aussen ebenso wie die Auffassungen von idealer Landschaft und idealer Architektur, und sie zeigt die Künstlichkeit solcher Entwürfe im Kontrast zur un­gebändigten Naturgewalt. Rose agiert dabei nicht vordergründig didaktisch, sondern versucht ihre Arbeit durch die dicht gesetzten Bilder und Töne auf der Empfindungsebene wirken zu lassen: Sie will ein ganzheitliches Raum- und Weltgefühl erzeugen.

Besonders ambitioniert ist dies in «Everything and more». Die Arbeit basiert auf einem Te­lefonat der Künstlerin mit dem Astronauten David Wolf über dessen Weltraumspaziergänge. Wolfs Schilderungen der Schwerelosigkeit korrespondieren mit Aufnahmen grosser Wasserbecken in Nasa-Trainingsräumen, mit wogenden Publikumsmassen in dunklen Konzerthallen, mit Versuchsanordnungen aus dem Atelier der Künstlerin: Rose verquirlte Milch, Wasser und Öl, bis die helle, die dunkle, schwere und die transparente Flüssigkeit Bläschen, Schlieren und Wirbel bildeten. Riesenhaft vergrössert erinnern sie an kosmische Erscheinungen und zeigen doch sehr deutlich die Grenzen der zweidimensionalen Projektion.

Gekonnt umgesetzt, aber wenig sinnlich

Sie bleiben auf der Fläche verhaftet und wirken deutlich weniger sinnlich und unmittelbar als die gleichen Substanzen in Valie Exports Installation «Fragmente der Bilder einer Berührung», 2011 ebenfalls im Kunsthaus Bregenz ausgestellt. Damals tauchten beweglich montierte Glühbirnen von oben in Reagenzgläser, die mit Wasser, Milch oder schwarzem Altöl gefüllt waren, und zum Gesamtbild gehörten auch Wärme und Elektrizität, Geruch und Fragilität.

Rachel Rose hingegen vertraut ganz auf Video und Ton. Als studierte Kunsthistorikerin kennt sie die Arbeit mit unterschiedlichen Bildquellen und fügt sie gekonnt zusammen. Umsetzung und Präsentation stimmen, für letzteres leistete das New Yorker Architekturbüro MOS Architects einen wichtigen Beitrag. Dennoch bleibt die Sinnlichkeit der Werke zu grossen Teilen eine Behauptung – trotz der Perfektion und Präzision. Aber Rachel Rose ist ja noch jung.