Andrea Vogel – Behind That Curtain

by Kristin Schmidt

Die Textilindustrie hatte eine grosse Blüte und eine grosse Krise. Das Bewusstsein darum ist in St.Gallen allgegenwärtig und verdrängt mitunter den Blick für die Gegenwart. Die Stickerei ist nach wie vor und vor allem international ein Wirtschaftsfaktor. Aber auch der Kunst bietet sie ein spannendes Handlungsfeld, für diejenigen, die damit umzugehen wissen. Die Vergangenheit muss dafür nicht ausgeblendet werden, im Gegenteil. Andrea Vogel hat ihre monografische Schau im Kulturraum am Klosterplatz auf der Basis der Recherchen Jolanda Spirigs erarbeitet. Spirig zeichnet in ihrem kürzlich erschienenen Buch „Sticken und Beten“ die Geschichte der Stickereidynastie Jacob Rohner nach. Sie entwirft das Porträt einer streng katholischen Familie mit besten Beziehungen ins päpstliche Rom, mit arrangierten Ehen, wirtschaftlichem Kalkül und strengem Angestelltenregime. Vogel gelingt es, die gut verwobenen historischen Fäden aufzunehmen und ebenfalls zu einer stimmigen Inszenierung zu verbinden. Das Gerüst dafür ist ein reales: Die Künstlerin (*1974) hat ein Baugerüst über einem klassischen Kirchengrundriss aufgestellt. Auf den Stangen des Gerüstes, in seiner Mitte, auf den Laufbrettern sind die Werke so platziert, dass sie sowohl für sich genommen als auch als grosses Ganzes funktionieren. Mit Gazebahnen ist das chorähnliche Halbrund dreifach verhängt. Die Gaze ist als Stickereigrundstoff und Verbandsmaterial anspielungsreich gewählt. So hatte Jacob Rohner zur Zeit des ersten Weltkrieges das Exportverbot für verarbeitete Baumwolle umgangen, indem er einfache Stickereien auf die Bahnen aufbrachte und infolge dessen seinen Umsatz vervielfacht. Die Gaze ist transparent, doch der Moiré-Effekt der sich überlagernden Raster und die aufgesprayten Farbflächen lenken den Blick ab. Die grossformatige Videoprojektion fängt ihn wieder ein: Vogel verwandelt ihren Atelierflur in einen Laufsteg. Um ihren Leib trägt sie einen alten Stickrahmen, dessen Fuss ihr bei jedem Schritt gegen die Ferse schlägt. Doppelsinn also auch hier ebenso wie bei den Videoprojektionen auf die leeren Seiten eines Fotoalbums oder in einen Transportbehälter hinein. Nach dem Rundgang lohnt sich ein Abstecher ins Textilmuseum St.Gallen. Einerseits werden dort die Blütezeiten der Stickerei dokumentiert, andererseits entsteht an der Handstickmaschine eine Edition der Künstlerin. Zudem sind weitere Kunstschaffende mit eigens entwickelten Einzelwerken präsent.

Ausstellung im Kulturraum am Klosterplatz und im Textilmuseum St.Gallen, bis 31. Januar 2016