Isabellas Leiden
by Kristin Schmidt
Percussionist Markus Lauterburg und Tänzerin Beatrice Im Obersteg präsentieren das neue Stück des Ensembles «Distanz» im Pfalzkeller. Es thematisiert, hochästhetisch, den Umgang mit traumatischen Erfahrungen.
Ein leises Klingeln durchzieht den Raum. Das Publikum trifft gerade erst ein, und schon wird es gefangengenommen von der gleichermassen vertrauten wie fremdartigen Geräuschkulisse. Ein automatisches Glockenspiel aus Porzellan-Schüsselchen bildet den Auftakt zu Beatrice Im Oberstegs und Markus Lauterburgs neuem Tanztheaterstück «Isabella».
Wie so oft bei den Stücken des Ensembles «Distanz» beginnt die Aufführung vor ihrem eigentlichen Auftakt.
Beide Künstler verharren regungslos auf der Bühne und sind doch präsent; Markus Lauterburg am Schlagzeug und Beatrice Im Obersteg auf einem Rondell stehend, von Gurten gehalten und von einem weissen durchscheinenden Gewand umhüllt.
«Isabella» besticht von der ersten Sekunde an durch die hohe ästhetische Durcharbeitung, die bei dem vor fünf Jahren gegründeten Ensemble bereits Programm geworden ist. Das Zusammenspiel von Musik, Licht und getanztem Bild erfährt diesmal allerdings noch eine Steigerung durch den Raum selbst, der bei «Distanz» immer Teil der Choreographie ist. Der Pfalzkeller mit seinen gestreckten, flach gerundeten Pfeilern bildet denn auch die ideale Kulisse für «Isabella». Hier wie dort dominieren makelloses Weiss und perfekte Form. Und wenn sich Beatrice Im Obersteg, gehalten von den Gurten, aufbäumt, fallen lässt oder streckt, geht ihre Körperspannung mit der Spannung des Raums geradezu eine Symbiose ein.
Zu Beginn des Stücks dominieren Gesten des Abstreifens, Abwehrens, Befreiens. Mal wirken die Gurte und der darüber gebreitete Stoffkegel wie ein Käfig, mal wie ein Schutz; mal verwandeln sie die Tänzerin in eine Marionette, fremdbestimmt durch die Musik. Markus Lauterburg lässt archaische dunkle Klänge durch den Raum pulsieren, dann wieder sind die Töne schneidend aggressiv. All dies fügt sich zu einem Erinnerungsstück.
«Isabella» thematisiert die Auseinandersetzung mit Erfahrenem, das «Weiterleben nach einer seelischen Erschütterung», so ist aus dem Programmzettel zu erfahren. Doch eigentlich sollte man gar nicht so viel lesen, die Bilder sind aussagekräftig genug, und sie umfassen ein grossen Spektrum an Stimmungen, Temperamenten und Metaphern.
Beatrice Im Obersteg verwandelt sich mit der gleichen Leichtigkeit in ein schlüpfendes Insekt wie in eine hellenistische Statue. Eben noch krabbelte sie mit kantigen Bewegungen aus der schützenden Hülle, dann wieder zelebriert sie mit grösster Geschmeidigkeit klassische Posen. Ein furioser Schleiertanz endet beinahe in einer Textilschlacht. Der weich fliessende Stoff ist entweder Fessel oder schmeichelnde Hülle.
Nur einmal kippt die sorgfältig inszenierte Bildsprache beinahe in ihr Gegenteil, wenn Beatrice Im Obersteg mit einem Schirmskelett hantiert, von dem klirrend und funkelnd Glasscherben herunterregnen, ist das fast schon zu schön, fast schon zu sentimental, trivial.
Dem Gesamteindruck tut das keinen Abbruch. Die Professionalität beider Künstler, die Choreographie und Körperarbeit der Tänzerin, die Vielseitigkeit und Perfektion des Percussionisten, sie verbinden sich zu einem inspirierenden Abend.