Wandel und Weben
by Kristin Schmidt
Die Sefar AG stellt Präzisionsgewebe her. Ihren Stammsitz hat die Weltfirma in Thal, mit weiteren Produktionsstätten in Heiden und Wolfhalden. Hier begann vor fast 200 Jahren die Produktion der Seidenbeuteltücher.
Das Neue Museum Kassel, die Pilgerstätte in Medina, Operationssäle in Spitälern, das Forum Würth in Rorschach, der Centre Court von Wimbledon – das sind Orte von ganz unterschiedlicher Qualität und Funktion und doch mit einem gemeinsamen Merkmal: Hier spielen Gewebe eine wichtige Rolle, Gewebe der Sefar AG. Es sind Textilien, die ganz besonderen Anforderungen genügen müssen; sowohl technisch als auch ästhetisch. Als Flächenbespannungen müssen sie maximal flexibel sein, reissfest also. Sie müssen leicht sein und bei ihrem Einsatz in grossen Bahnhofs- oder Flughafenhallen auch schalldämpfend. Sie leiten das Licht, spenden Schatten und heben so sogar die Stimmung. Bis es soweit ist, liegt ein langer Weg hinter jedem der Produkte; ein langer Weg, der fast 200 Jahre zurückreicht.
Angefangen hat es im Jahre 1830 mit Garnen aus Naturseide. Die Geschichte „Wie die Thaler und Appenzeller zu einer neuen Industrie kamen“ ist in einem kleinen Heftchen publiziert, dessen Impressum wenig mehr verrät, als dass es überreicht wurde von der Schweizerischen Seidengazefabrik AG Thal. Ein paar Dutzend Exemplare gibt es noch. Sie schildern die erfolgreiche Suche des Kaufmanns Pierre Anton Dufour nach guten Webern in Thal, SG und liegen wohl verwahrt im Archiv der Sefar AG in Heiden. Hier ist der beste Ort, um tief in die Firmengeschichte einzutauchen. Und der beste Begleiter dabei ist Johan Böhi. Der an der Müllerei-Schule St.Gallen ausgebildete, ehemalige Reiseobermüller hat nicht nur die Materialien für das Archiv zusammengetragen. Er hat selbst in verschiedenen Positionen für die Sefar AG gearbeitet und kennt die Firma und ihre Mitarbeitenden gut. Auch heute noch, 10 Jahre nach seiner Pensionierung ist mit jedem seiner Schritte durch die grossen Produktionshallen in Heiden spürbar: Hier geht einer, der dazu gehört, der sich mit der Firma identifiziert; einer, der sich immer neu begeistern kann für die Qualität der hergestellten Garne und Gewebe.
Während durch die grossen Fensterscheiben die wunderschöne Aussicht auf den Biedermeierort Heiden lockt rattern die Maschinen. An einer werden so zarte Fäden verwebt, dass sie kaum zu sehen sind. An einer anderen entsteht gerade die Grundstruktur für ein titanbeschichtetes Gewebe, das sowohl hitze- als auch kältebeständig ist. 24 Stunden 7 Tage die Woche wird hier produziert. Noch sind sämtliche Websäle voll belegt. Aber wie lange die Standorte in Wolfhalden, Thal und Heiden noch ausgelastet sein werden, kann auch Christoph Tobler angesichts der Euroschwäche nicht vorhersagen. Er ist CEO der Sefar Gruppe und der Urenkel des gleichnamigen Firmengründers. Dass er dereinst in die Fussstapfen seines Urgrossvaters treten wird, war nicht von Anfang an geplant. Als jedoch 2004 ein neuer Firmenchef gesucht wurde, nahm der studierte Elektroingenieur die Herausforderung an und behält seither nicht nur die Sefar, sondern auch die internationale Konkurrenz fest im Blick. Zwar ist „Swiss Made“ in einigen Teilen des Weltmarktes noch ein besonderes Wertzeichen, aber darauf ausruhen kann sich kein Schweizer Unternehmen. Als beispielsweise abzusehen war, dass die Gewebetechnologie im Siebdruckbereich weniger nachgefragt wird, begann Sefar mit ihren Expertinnen und Experten nach neuen Tätigkeitsfeldern zu suchen: „Wir sahen grosses Potential in der Elektrovoltaik, in den leitenden Geweben und in der Architektur. In solchen neuen Märkten mussten wir ergründen, wer über den Einsatz und den Kauf entscheidet. Das ist insbesondere in der Architektur nicht immer einfach.“ Neu kam hier auch hinzu, dass die Produkte sichtbar bleiben. Das hatte es bis dahin bei keinem Erzeugnis der Sefar gegeben. Nun ging es plötzlich um Ästhetik, denn das menschliche Auge erkennt die kleinsten Abweichungen: Farb- und Webfehler dürfen auf den teilweise mehrere Tausend Quadratmeter grossen Geweben nicht auftreten.
Sie überspannen riesige Flächen, und doch bilden die Architekturgewebe nur einen kleinen Anteil der Firma: „Gewebe auf Diagnostikstreifen in der Medizinbranche ist weniger als ein Quadratzentimeter gross, aber davon werden täglich weltweit Millionen verbraucht. Die Architekturanwendungen hingegen sind immer Spezialentwicklungen, die dauerhaft installiert werden.“ Hingegen werden die Produktions- und Konsumartikel regelmässig ersetzt: die Wasserfilter, die Bluttransfusionsfilter, all die Partikel- und Flüssigfilter. Das ist das Stammgebiet der Sefar. Die Schweizerische Seidengazefabrik AG Thal stellte Siebgewebe her, mit dem die Müller, auch heute noch, die Mehle zum Backen und die Griesse für die Teigwarenherstellung von der Kleie trennen. Hundert Jahre lang produzierten die Weber ausschliesslich in Heimarbeit und jedes gelieferte Stücklein Seidengaze wurde in dicken Folianten verzeichnet. Ab 1930 begann dann die konsequente Mechanisierung und 1950 der Umstieg auf synthetische Garne. Inzwischen wird gar keine Naturseide mehr verarbeitet, auch nicht, wenn für die Crew der Alinghi besonders leichte Kojen entwickelt werden. Weltklassesegler muss jedoch nicht sein, wer ein Stück Sefar erleben will. Es reicht, sich das Mobiltelefon ans Ohr zu halten: Wahrscheinlich steckt ein Akustikfilter der Sefar AG darin.
«Obacht Kultur» No. 21, 2015/1