Kombinatorik in Kunterbunt
by Kristin Schmidt
Die Künstlergruppe U 5 hat in der Kunsthalle Arbon eine künstliche Glitzerwelt aufgebaut. Für einmal ist der Individualverkehr erwünscht: Die Ausstellung „Youndland Everfast“ ist autotauglich.
Ein Cabriolet wäre das richtige Fahrzeug für den Ausstellungsbesuch. Ist keines verfügbar, tut es auch ein anderer Schlitten, Hauptsache der Ellenbogen ragt aus dem heruntergekurbelten Fenster. Wichtig ist die lässige Pose – und dann hinein in die Kunsthalle Arbon und den Fahrbahnmarkierungen folgen. Es herrschen angenehme 27 Grad, so verheissen es die Wetterdaten auf einem Spiegel, angegeben in Fahrenheit. Harmlose Wolken werden vermeldet und eine Regenwahrscheinlichkeit von null Prozent. Kein Wetterunbill lenkt also von der Rundumsicht ab. Und zu sehen gibt es einiges. Palmen zum Beispiel, einen grellbunten Pavillon, gepflegte Rabatten, pinkfarbene Kakteen. Das Ganze gleicht einer Mischung aus Las Vegas und Einkaufsmeile. Dass dies alles unter einem Dach aufgebaut ist, verstärkt den Eindruck eines Konsumparadieses: wetterunabhängig und Auto freundlich. Zu kaufen gibt es allerdings nichts und auch sonst ist alles anders, als es auf den ersten Blick scheint. Die Palmenblätter bestehen aus Kabelbindern und die Zierelemente aus Abstandshaltern fürs Plättlilegen. Wer genau hinsieht, findet an ungewöhnlichen Orten Wattestäbchen oder Kühlakkus.
Die Künstlergruppe U 5 aus Zürich verwendet, was verfügbar ist: „Wir können alles gebrauchen, alles ergibt Sinn.“ Das gilt auch für das Bildmaterial, dessen Fülle in Zeiten der digitalen Datenspeicherung und -verbreitung ohnehin unendlich geworden ist. Nicht zufällig haben sich die fünf beim Studium der neuen Medien kennengelernt und sich für das Masterstudium an der ZHdK dann bereits gemeinsam beworben.
U 5 fügen digitale Bilder und Filme zu einem wilden Mix zusammen und zeigen diesen in der Kunsthalle auf einem Monitor, der über Kopfhöhe angebracht ist. Die Künstlergruppe nimmt damit Bezug auf diese Anzeigetafeln des öffentlichen Verkehrs, die inzwischen auch hierzulande mit einem Nachrichten- und Reklamemix bespielt werden. Ziel und Zeit der Reise werden da zur Nebensächlichkeit.
In der Kunsthalle Arbon geht es nach Mountain Dew und Umami – der Pavillon fungiert als Wartehäuschen. Hier zeigt sich einer der Widersprüche innerhalb der Ausstellung: Einerseits laden die Künstlerinnen und Künstler ein, tatsächlich mit dem eigenen Auto durch „Youndland Everfast“ zu fahren, und betonen damit die individuelle Mobilität, das Zurschaustellen des eigenen Vehikels und die überbordende Strassenrandmöblierung. Andererseits ist der öffentliche Verkehr mit der Bushaltestelle das Herzstück der Ausstellung, ja mehr noch: Sie ist das Tor zu einer unendlich grösseren artifiziellen Welt. Es ist freilich nur als dreidimensionales Modell präsent und erlaubt einen imaginären Rundgang. Der Scheinkosmos aus realen Versatzstücken bildet ein weiteres Gegensatzpaar: U 5 konfrontieren Künstlichkeit und Echtheit. So erblühen in den Rabatten grüne Staubwedel und Palisadenzäune bestehen aus Plastikfingernägeln.
Dinge über Dinge begegnen sich in der gesamten Ausstellung. Ist das Ganze also einfach nur eine grosse materialintensive Spielerei? U 5 formulieren keinen gesellschaftskritischen Anspruch, aber beinahe nebenbei lösen sie eines der wichtigsten Probleme unserer Zeit: Die gesamte Ausstellung ist aus gefundenen und nun wiederverwendeten Dingen entstanden. Sie haben ein zweites Leben erhalten und werden auch zum dritten, vierten oder weiteren Mal eingesetzt werden. Nichts wird weggeworfen, alles ist mobil und modular zusammengefügt und bietet eine temporäre Kulisse für alle, die mitten in Arbon in einer postmodernen Neonglitzerwelt lustwandeln wollen.