Tauwetter in der Galerie

by Kristin Schmidt

Claudia Züllig zeigt unter dem Titel „Grenzen“ Schneebilder in der Atelier-Galerie Margrit Oertli. Dass hier inzwischen Sommer ist, macht dabei wenig, denn es geht der Künstlerin um mehr als nur Naturschilderung.

Vorfrühling in den Bergen, den Himmel bedeckt eine einförmige Wolkenschicht. Mit den Sonnenstrahlen fehlen die Schatten. Sie geben einer Landschaft Tiefe, ohne sie erscheinen die Berge und Felsen, das Gestein bar jeder Struktur. Der Schnee wirkt stumpf ohne die Lichtreflexe, kaum mehr als eine grauweise Fläche. Der räumliche Eindruck der Landschaft ist auf ein Mindestmass reduziert. So hat Claudia Züllig das Gebirge festgehalten, und nicht nur das.

Die St.Galler Künstlerin zeigt in der Galerie Margrit Oertli ihre aktuellen Gemälde. Es sind jedoch keine Porträts der Berge mit naturalistischen Details, mit besonnten Schneeflecken unter strahlend blauem Himmel und wieder erkennbaren Gesteinsformationen. Es sind stattdessen Studien zum Thema Fläche, zu Positiv- und Negativform und Leere. Die Landschaft wird dabei nie ganz verlassen, aber Züllig lotet die Grenzen aus, denen sie ihre Ausstellung widmet: Wie weit lassen sich Binnenformen reduzieren? Ab wann ist ein Schneefeld nur noch eine weisse Fläche? Ab wann ist es nur noch eine Leerstelle im Bild? Wann kippt die Balance zwischen Grün oder Braun und Weiss zugunsten der einen oder der anderen Farbe?

Besonders eindrücklich zeigt sich dies in der achtteiligen Serie «Schneegrenzen» im Untergeschoss der Galerie. In fast allen der kleinen Hochformate ist die Horizontlinie in den Bereich ausserhalb des Bildes verschoben. Ohne den Himmel über den schneefleckigen Wiesen kann sich die Malerin einerseits ganz auf die beiden Tonwerte Grün und Weiss konzentrieren. Andererseits fehlt der Halt durch die Kontur der Berge. Je nachdem, wie der Hang ausgerichtet ist, dominiert nun eine aufsteigende oder abfallende Diagonalrichtung die Bilder. Die weissen Flächen ziehen sich dynamisch durchs Grün und wogen innerhalb der Serie auf und ab.

Züllig beobachtet die Natur aufmerksam und übersetzt die Betrachtungen in Bilder. Zugleich aber gelingt es der Künstlerin, sich von der blossen Naturnachahmung zu befreien und ihre Untersuchungen zum Verhältnis von Fläche und Raum voranzutreiben. So porträtiert sie auch den Nebel als eines der flächigsten Elemente in der Natur. Er egalisiert Raum und Licht, ist homogener noch als eine Schneefläche.

Den Berggemälden stellt die Künstlerin Aktbilder zur Seite. Das Gegenständliche ist hier kaum zurückgenommen, so wirken sie weniger eigenständig als Zülligs Landschaftsmalerei.