Stadt, Land, Fluss
by Kristin Schmidt
59 Orte, 59 Sound-Bohrungen – Sven Bösiger ist mit dem Mikrofon durch die Schweiz gereist und hat seine Aufnahmen anschliessend verdichtet. Ergänzt um Wort, Bild und Landkarte werden sie nun in der Kunsthalle Arbon präsentiert.
Flussläufe, Strassen, Weiler, Fünftausender oder Hügel – auf einer Landkarte hat alles Platz. Sämtliche geografischen und topografischen Gegebenheiten lassen sich darstellen, kodieren und dekodieren und zusammenfalten. Eine gefaltete Landkarte ist auf kleinstem Raum konzentrierte Information. Was ursprünglich flächig ausgebreitet war, liegt nun in vielen Schichten übereinander. So etwas funktioniert nur mit Papier – und mit Klängen.
Sven Bösiger verdichtet den Klang von Natur, Stadt, See. Der Künstler hat an 59 Stellen der Schweiz gebohrt, das heisst, er hat dort anderthalb- bis vierstündige Tonaufnahmen gemacht, sie pro Ort in zwanzigminütige Abschnitte unterteilt und diese anschliessend übereinandergelegt. Jede Audiosequenz besteht nun also aus mehreren Tonschichten derselben geografischen Quelle. Das klingt zunächst einmal nach Klangbrei, nach undefinierbarem Rauschen. Wer sich jedoch in der Kunsthalle Arbon in Sven Bösigers Installation die Kopfhörer aufsetzte, merkt schnell: Die Überlagerung steigert das Hörerlebnis. Säuseln, rascheln, rauschen, brummen und die vielen Tierlaute von zwitschern bis blöken führen aus der Kunsthalle heraus und hinein in den Gedankenfilm.
Bösiger hat die Aufnahmeorte nach dem Zufallsprinzip ausgewählt und sie ebenso auch platziert. Jede Soundbohrung korrespondiert dabei mit dem dazugehörigen Kartenausschnitt. Verwendet hat der Künstler die 1:25000er Karten des Bundesamtes für Landestopografie, laut Swisstopo «die genauste und informativste topographische Karte der Schweiz für Wanderer, Alpinisten, Planer, Individualisten und Entdecker». Zu entdecken gibt es entsprechend viel, nicht nur, weil die Karten nochmals vergrössert sind, sondern, weil sie auf Schwarzweisstöne reduziert sind. Dadurch entstehen ganz neue Zusammenhänge. Thun etwa wächst beinahe nahtlos mit Zürich zusammen. Die Merlahütten erwartet die Städter von Martigny. Strassen verwandeln sich in Flüsse und Höhenlinien steigen plötzlich, statt zu fallen. Wer noch ein etwas mehr zu den rot gekennzeichneten Positionen der jeweiligen Aufnahmen erfahren will, sollte unbedingt Bösigers Notizen dazu lesen. Sie liegen in der Ausstellung aus und können in ihrer verdichteten, präzisen Sprache mühelos für sich stehen. So wie die Fotografien an der Wand – in Schwarzweiss und ebenfalls eigenständig. Sie sind kein konkretes Porträt eines Ortes, sondern Landschaften aus Körnung, Licht und Kontrasten und reiches Material für Kopfreisen.
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