Kulturort Reithalle

by Kristin Schmidt

Neun auf einen Streich – beim diesjährigen 5ünfstern ist in der Reithalle wieder viel Kunst an einem Ort und in ganz unterschiedlichen Räumen zu sehen: heimelig und mit Wandtäfer auf der Südseite, mit grossen Fenstern, stark befahrener Rosenbergstrasse und Autobahnzubringer auf der Nordseite.

Drei Jahre dauert die reguläre Mietdauer für eines der städtischen Ateliers. Zweimal kann „bei Vorliegen eines entsprechenden Leistungsausweises“ verlängert werden. Diese Regelung sorgt für ein rechtes Mass an Fluktuation; gut zu beobachten in der Reithalle anlässlich der dritten 5ünfstern-Ausgabe. Da 5ünfstern nur alle drei Jahre stattfindet und es bei den Ateliermieterinnen und -mietern in den vergangenen anderthalb Jahren hier mehrere Wechsel gab, sind in diesem Jahr viele in der Reithalle zum ersten Mal dabei. Zum Beispiel Mirjam Kradolfer. Ihr Atelier ist gleich das erste für alle, die dem Hinweis „Bar dekoriert“ gefolgt und in den ersten Stück der Reithalle gestiegen sind. Für die Bar ginge es noch weiter hinauf, doch vor dem Trinken kommt die Kunst. Im Falle Mirjam Kradolfers ist es ein Teil einer Arbeit, die sie im vergangenen Jahr im Kornhaus Rorschach zeigte: die Fotoarbeit „Ohne Titel (Gewächskammer)“. Das eindrucksvoll, dicht wuchernde Grün macht gleich wieder Lust, wieder etwas mehr Disziplin an den Tag zu legen und doch regelmässig nach Rorschach zu fahren, um sich dort das engagierte Programm des Vereins Kulturfrühling Rorschach anzusehen. Ansonsten türmt sich Kradolfers Arbeitsmaterial unter einer Plastikfolie. Aber das macht nichts, denn die Temperaturen hier im ersten Atelier nach dem Treppenhaus sind das Gegenteil von Gewächshausatmosphäre und es sind ja noch so viel mehr Namen unter dem Stern Nummer 20 verzeichnet. Also weiter zu Susann Albrecht. Die Dozentin an der Schule für Gestaltung ist ebenfalls noch nicht sehr lange in der Reithalle. Zuvor arbeitete sie daheim und wer jetzt die grossen Formate und den Andrang in ihrem Atelier sieht, ahnt, dass es längst an der Zeit war, dass sie einen guten Ort für ihre künstlerische Arbeit findet. Albrecht zeigt neue und ältere Werke, Nebenprodukte und Work in Progress. Das Gleiche und doch ganz anders präsentiert auch Martina Weber schräg gegenüber. Sie ist derzeit die Mietälteste in der Reithalle und wird es noch bis Januar des kommenden Jahres bleiben. Und dann? Geht sie gern? „Ich habe den Kontakt hier sehr geschätzt. Aber beamen kann ich überall. Ich arbeite fast nur noch am Laptop. Den Leuchttisch habe ich langsam ausgereizt.“ Seit jeder Rechner eine integrierte Webcam hat, hat sich Webers Arbeitsweise sehr verändert und auch der Platzbedarf. Sicher ist, Martina Weber wird an ihren Themen weiterarbeiten und es wird sich lohnen, dies zu verfolgen.

Linda Pfenninger zog vor anderthalb Jahren in ein Reithalleatelier. Zwar versteht sie sich hauptsächlich als Performancekünstlerin, arbeitet orts- und kontextbezogen, aber zugleich entstehen Gemälde und Videoinstallationen. Eine hat Pfenninger eigens für 5ünfstern eingerichtet – „luft anhalten“. Und sie schätzt die Arbeitssituation in der Reithalle sehr: „Ich habe einen geeigneten Raum zum Scannen, Recherchieren und die Rechnerarbeit, und einen zum Ausprobieren.“ Schade findet sie, dass es keinen Gemeinschaftsraum gibt, „aber da das Haus ringhörig ist, weiss man, wer da ist und kann auch einfach mal anklopfen.“ Für Pfenninger eine gute Situation. Auch Andrea Vogel. Sie ist seit vier Jahren hier, hat zwischendrin einmal quer über den Gang gewechselt und könnte sich gut vorstellen, mal ein gemeinsames Projekt mit allen Künstlerinnen hier zu entwickeln. Und den Künstlern natürlich. Derzeit sind es zwei: Felix Stickel, der aber soeben erst dabei ist, sein Atelier unter dem Dach zu beziehen und deshalb nicht aktiv bei 5ünfstern mitmacht, und Michael Bodenmann, der sich ebenfalls unter dem Dach ein Atelier mit Barbara Signer teilt. Auch diese beiden zeigen neben existierenden Arbeiten aktuelle Projekte unter anderem einen kleinen Vorgeschmack auf die Ausstellung noch dieses Jahr im Nextex. Dafür muss man aber die Bar hinter sich lassen und noch einmal an ihr vorbei, um ins Atelier von Beatrice Dörig zu gelangen. Die Malerin arbeitet mit mehrfach übereinander geblendeten und projizierten Zeitungsbildern. Ihre komplexe Herangehensweise kann bei den Offenen Künstlerateliers ergründet werden. Im Atelier hängen nicht nur Gemälde in verschiedenen Entstehungsstadien, sondern auch das Quellenmaterial.

Ein bisschen versteckt, aber ebenfalls unbedingt sehenswert sind das Atelier und die Arbeit von Monika Spiess. In der offiziellen 5ünfstern-Liste ist sie als „Diverses“ einsortiert, das klingt eigentlich eher abschreckend, steht in diesem Falle jedoch für Raumuntersuchungen mit stark architektonischem Charakter. Hier schafft eine im Stillen (Spiess hat beim letzten 5ünftstern noch nicht teilgenommen) und in einer bis ins kleinste Detail bewusst gestalteten Umgebung ein durch und durch konzeptuelles, höchst durchgearbeitetes Werk.

Und nun doch noch ein Blick aus dem Fenster… die Autokolonne reist nie ab. Hinter der Reithalle ist St.Gallen urban. Und vorne? Da traben die Rösser vorbei. Ist das nun seltsam anzusehen trotz oder wegen der vielen, guten Kunst?

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