Alles Nichts Oder?!

by Kristin Schmidt

Fünf junge Kunstschaffende aus Luzern haben vom Nextex eine Carte Blanche erhalten. (…) + ! = () betiteln sie ihre Schau und zeigen aktuelle und eigens entstandene Arbeiten.

Fülle und Verzicht, Kreation und Dekonstruktion, Reichtum und Zurückhaltung – die aktuelle Ausstellung im Nextex St.Gallen ist eine Präsentation der Gegensätze. Noch selten kamen Kontraste so selbstverständlich daher, so im Einklang miteinander und dennoch so spannungsvoll. Zum Beispiel das Ausbreiten und Verschwinden lassen: Ein Teppich aus 190 Zeichnungen ist auf dem Boden angeordnet. Manche der Blätter sind mit farbigen Schraffuren bedeckt, andere mit Bleistiftkrakeln, andere mit Skizzen. Viele Blätter sind mit wässriger Farbe bemalt, die meisten davon liegen jedoch mit der Schauseite nach unten, so dass nur das durch die Feuchtigkeit gewellte Weiss zu sehen ist. Und einige der weissen Rechtecke schliesslich sind ganz und gar unberührt. Sie liegen stärker links angeordnet, die gefüllten Blätter eher rechts. Die unscheinbare und doch gezielt vorgenommene Verteilung bringt das ganze Feld zum Wogen. Es balanciert zwischen schwer und leicht, zwischen Geste und Konstrukt. Zugleich integriert diese Installation den leicht ocker getönten, ungleichmässigen Boden des Nextex als Rahmen und Hintergrund.

Überhaupt zeigt sich mit „(…) + ! = ()“ einmal mehr, wie gut der Raum am Blumenbergplatz für Ausstellungen geeignet ist, wenn die Künstlerinnen und Künstler das richtige Gespür mitbringen. So wie Adrian Rast, Valentin Beck, Pascale Eiberle, Selina Buess, Sabrina Labis. Die fünf Studierenden der Kunst und Vermittlung an der Hochschule Luzern arbeiten seit über zwei Jahren im gleichen Atelier. Sie sind kein festes Kollektiv, doch immer wieder fusionieren sie für ihre Werke. Und selbst, wenn jeder eigenen Projekten nachgeht, spielen sich gegenseitig Ideen zu. Es ist also konsequent, dass sie im Nextex davon absehen, die Werke den Namen zuzuordnen. Ohnehin verstehen sie ihre Arbeiten nicht als endgültige Werke, sondern suchen und reflektieren damit ihre Erfahrungen und beziehen auch das Publikum ein. Es darf mitspielen, mitwerfen, darf Kreide mitnehmen, um Gedichte auf die Strasse zu schreiben, darf statt eines Cat Walks einen Fat Walk in ausgedienten Friteusekörben unternehmen oder Datteln essen, bis die Kerne als „Never Ending Candy“ im Mund bleiben. Aber auch wer bei zeitgenössischer Kunst lieber schaut, als kaut, hat einiges zu tun. Selbst in der kleinsten Versuchsanordnung noch oder im beiläufigsten Objekt verbirgt sich ein kleiner Kosmos, eine grosse Anspielung oder einfach nur ein guter Witz.

Daneben lohnen die Videos innezuhalten, wenn sich etwa vor einem Frauenschoss ein weisser Plastiksack aufbläht und wieder in sich zusammensinkt. Schon beginnen die Reflexionen über Konsum oder tradierte Frauenbilder. Aber auch Kunstgeschichte und Kunstkommerz sind Themen der Ausstellung. In einer Raumecke sind lackierte Gipstafeln klassisch gehängt wie in einer Galeriesituation. Das junge Künstlerkollektiv probt hier aber das Gegenteil von Marktstrategien: Wie die gesamte Ausstellung wird sich auch diese Installation an den folgenden zwei Donnerstagen verändern. Das Etablierte weicht dem Neuen, der Unbefangenheit, der schlichten Lust auf Kunst.