Von Kronen, Königinnen und Kolonnen
by Kristin Schmidt
Nach dem Geisterbahnschwarz kommt im Nextex das Zahnweiss: Die aktuelle Ausstellung am Blumenbergplatz lockt mit elfenbeinfarbenen Sitzkissen im weissen Raum, dazwischen sorgen exotische und pseudowissenschaftliche Einsprengsel für bunte Töne.
Die magische Dreizehn und das Gold: Im Märchen ist ein güldener Teller zu wenig und die dreizehnte Fee nicht zum königlichen Fest eingeladen. In der Kunst ist der dreizehnte Zahn ein goldener und erhält sogar einen Sockel. Dort erhebt er sich nun einer Krone gleich über seine weissen und Plaque-gelben Gefährten.
Aber ein Zahn aus echtem Gold ist immer auch ein falscher. Typisch diese Ambivalenz: Zähne sind unentbehrlich, aber sie tun weh, wenn sie kommen, sie tun weh, wenn sie gehen und auch sonst oft genug. Les reines Prochaines-Mitglied Fränzi Madörin kann ein Lied davon singen und das tut sie auch, mehr als eines. Die Musikerin musste schon einige ihrer Zähne gehen lassen und setzt ihnen in der aktuellen Ausstellung im Nextex ein akustisches, kuscheliges Denkmal. Weich liegen sie da: ein ganzes Dutzend kolossaler unversehrter Zähne. Sie erinnern ein wenig an Claes Oldenburgs Soft Sculptures. Doch sie sind mehr als Skulptur, sie sind Gebrauchsobjekte, sind Kissen oder Sitz; auf dass sich darauf Madörins poetisch-musikalische Zahnreflexionen noch besser geniessen lassen. Ausserdem schweift der Blick von hier aus zu den anderen drei künstlerischen Positionen.
Allerdings lohnt es sich, dafür dann doch aufzustehen. Beispielsweise für Martina Gmürs Installation. Die Basler Künstlerin und Manorpreisträgerin des Kanton Wallis war 2003 zu Gast in einer Exex-Ausstellung und hat jetzt für das Nextex eine dreiwöchige Chinareise verarbeitet. Weisse Gipsballons hängen an geschwungenen Trägern und offenbaren sich erst in der Rumdumsicht als kleine Globen. Statt der Kontinente tragen sie Reiseskizzen, Erinnerungsbilder und ornamentalen Schmuck. Sowohl in den Bildern als auch in den weissen Schmuck- und Architekturelementen mischt Gmür Andeutungen und Erfahrungen, individuelle und kollektive Bilder, Asiatisches und Europäisches. Am Ende ist kaum mehr voneinander zu unterscheiden, was vertraut und was fremd ist, was Realität und Projektion.
Projektionen interessieren auch Olga Titus. Die Winterthurerin mit schweizerischen, südindischen und malaiischen Wurzeln untersucht das Selbst- und Fremdbild der Frau und Künstlerin. Den Auftakt macht ein Videoobjekt: Die Künstlerin selbst zeigt im bewegten Bild innerhalb eines goldenen Prunkrahmens mit sanftem Lidschlag ihre Rehaugen. Soviel süssliche, naive, ja unterwürfige Pose ist kaum zu ertragen. Sie relativiert sich jedoch im Kontext der anderen Werke. Hier schlüpft Titus in immer wieder andere Rollen, mimt die Fitnesskönigin der 1980er Jahre, die Hobbykünstlerin, die adrette Hausfrau. Je nach Bedarf montiert sie im Hintergrund einen Schuss Exotik oder Zeichen der Hippiekultur. Das variantenreiche Spiel wirft kritische Blicke auf die Rollenzuschreibungen von aussen her, aber auch auf die Art und Weise, wie sich Frauen diesen Zuschreibungen gefügt haben und immer noch fügen.
Wem dies zu ausformuliert ist, wird Mia Dieners Arbeiten schätzen. Sie leben vom Widerspruch zwischen Ordnungssystem und Inhalt. Auf kleinen Blättern suggerieren Diagramme, Tabellen, Schemata und Wortkolonnen übersichtlich visualisierte Sachverhalte. Doch wer sich an der Entschlüsselung versucht, wird scheitern. Zwar sind die per Monotypie gedruckten Grafiken mit allerlei Ziffern versehen und farbig gestaltet, aber die Codes lassen sich nicht dechriffrieren, ihre Logik referiert ausschliesslich auf sich selbst. Damit sind die Werke der jungen Winterthurer Künstlerin einerseits Sinnbilder für die Hermetik hochspezialisierten Wissens und andererseits für die Poesie wissenschaftlicher Darstellungen. Da kommt sogar ein Gebiss auf Schmetterlingsflügeln daher und versöhnt mit all den schon erlittenen oder noch drohenden Zahnverlusten.