Buchstadt bleibt Buchstadt

by Kristin Schmidt

An diesem Wochenende treffen sich international bekannte Buch- und Schriftgestalter an der Schule für Gestaltung St.Gallen. Zum zweiten Mal findet dort das Typografie-Symposium Tÿpo statt, diesmal unter dem Motto „Weissraum“.

Eine Buchseite – weisses Papier und schwarz gedruckter Text. Leere und Buchstaben. Nichts und Etwas. Aber auch das Nichts ist Etwas, und es hat sogar einen Namen: Weissraum nennen die Typographen jenen Raum, der die Buchstaben umschliesst. Er ist viel mehr als unbedruckte Fläche. Er ist der Gegenpart der Buchstaben, formt sie und lässt den Text erst lesbar werden. Ist der Weissraum, also der Zwischenraum der Buchstaben und der Umraum des Textes bewusst und gut gestaltet, hilft dies der Konzentration und dem Lesefluss. Aber der Weissraum kostet Geld, denn Druck und Papier sind teuer. Also wird der Weissraum allzu gern reduziert. Zum Glück nicht in allen Druckzeugnissen. Denn es gibt sie nach wie vor, die gut gesetzten Bücher. Und es gibt die engagieren Gestalter und Gestalterinnen. An diesem Wochenende treffen sie sich in St.Gallen an der Tÿpo.

Es ist die zweite Ausgabe des dreitägigen Typografie-Symposiums. Es findet wie schon vor zwei Jahren an der Schule für Gestaltung statt. Ein guter Ort für so eine hochkarätig besetzte Tagung. Der St.Galler Typograph und Gestalter Roland Stieger, Programmleiter des Symposiums, gerät ins Schwärmen, wenn er über die Schule und ihre Schüler spricht. Und darüber, wie es die Tÿpo bereits geschafft hat Schulen zu vernetzen. So ist St.Gallen in engem Kontakt mit der Schule für Gestaltung der FH Nordwestschweiz in Basel. Die Schüler dort haben eigens Druckerzeugnisse zum Thema Weissraum entworfen. Aber auch die internationale Vernetzung funktioniert: Die angereisten Koryphäen kommen aus Österreich, Tschechien, den Niederlanden, Deutschland, den USA und natürlich der Schweiz. Sie referieren über Ideen und Konzepte, über Historisches und Kunsthistorisches, über den Unterschied lateinischer zu asiatischen Schriften, über den Weissraum im Bild oder laden zum Typospaziergang durch St.Gallen. Aber vor allem gestalten sie Bücher, die in die heutige Zeit passen und trotzdem in bester Form Buch bleiben. Inhalt und Form finden hier zu einer Einheit. Das trifft auch auf Jost Hochulis Bücher zu.

Der St.Galler Grafiker und Buchgestalter präsentiert an der Tÿpo aber nicht nur seine jüngsten Druckwerke. Er hat eigens für die Veranstaltung auch eine Ausstellung eingerichtet: Eine Woche lang sind im Foyer der GBS „Einige von Hand geschriebene Briefe“ zu sehen. Denn auch Schreiben ist Gestalten, ist Formen mit dem Körper. Der Brite Alfred Fairbank entwickelte in den 1920er Jahren eine „lesbare, mühelos zu schreibende und formal erfreuliche Handschrift“ wie es in Jost Hochulis Broschüre zur Ausstellung heisst. Die Briefe sind aus Hochulis Fundus und wie könnte es anders sein: Sie bilden zugleich den Schriftverkehr weltberühmter Gestalter ab. Ein solcher Fokus innerhalb der Tÿpo mag anachronistisch wirken, aber das Symposium ist es ganz und gar nicht. Samuel Bänziger, Rosario Florio, Larissa Kasper aus St.Gallen beispielsweise stehen für ein junges Büro, das sich in Buch- und Onlinewelten gleichermassen souverän bewegt. Ohnehin ist gute Gestaltung mehr als ein Handwerk, es ist Ausdruck einer Lebenshaltung. Profitieren davon kann jeder, denn Schriftgestaltung fängt bei der Zahnpastatube an und hört bei der Weinflasche nicht auf.

Und das E-Book? Es wird an der Veranstaltung nicht eigens thematisiert, aber längst reagieren Verlage auf das Bedürfnis nach gestalteten Texten und dem sinnlichen Erlebnis beim Lesen. Haptik, Optik, ja sogar der Geruch der Druckerfarbe und des Papiers lassen sich eben nicht so leicht digitalisieren. Die Buchstadt St.Gallen muss also nicht so bald in E-Bookstadt umbenannt werden.