Ein Kasten aus Kisten

by Kristin Schmidt

Die Ledi ist in Gais angekommen. Für die vierte Station der Wanderbühne haben die Kunstschaffenden Katrin Keller und Simon Kindle einen demokratischen Setzkasten entworfen.

Eine merkwürdige Einladung landete im Juni in sämtlichen Briefkästen in Gais und Bühler: Unter dem Titel „Beste Stücke“ wurden alle Einwohnerinnen und Einwohner aufgefordert, sich mit einem Messwerkzeug ins Wohnzimmer zu begeben, um einen dort ausgestellten Gegenstand zu vermessen. Danach galt es, einen Anmeldetalon für einen Setzkasten auszufüllen, damit anschliessend ein passendes Behältnis gebaut und das Objekt auf dem Gaiser Dorfplatz ausgestellt werden kann. Dort nämlich ist die vierte Station der Ledi-Wanderbühne. Und wie schon zuvor in Herisau, Appenzell und Urnäsch bietet das Untergeschoss Platz für einen ganz besonderen Schopf: eine temporäre Kunst- und Wunderkammer. An jeder Station der Ledi nimmt sie eine andere Gestalt an, überall ist sie mit anderem Ausstellungsgut gefüllt. Für Gais und Bühler haben Katrin Keller und Simon Kindle die Idee eines riesigen Setzkastens entwickelt und umgesetzt.

Längst sind Setzkästen nicht mehr nur Sortierkästen für die Lettern im Bleisatz, viel öfter dienen sie dazu, kleine, persönliche Sammlungen zu ordnen und zu zeigen. Diese Sammlungen verlassen den privaten Raum selten. Aber Keller und Kindle präsentieren nun einen Setzkasten für die Dorföffentlichkeit. Oder verwandeln sie den Dorfplatz in ein Wohnzimmer? Die Künstlerin mit Wurzeln in Herisau und ihr ehemaliger Studienkollege an der Hochschule Luzern verwischen mit ihrer Installation bewusst die Grenzen. Der Setzkasten ist selbst bildhauerisches Kunstwerk und zugleich begehbarer Rahmen. Er ist ein intimer Raum zum Verweilen und wird doch auch dem repräsentativen Anspruch einer Sammlung gerecht.

Wie Preziosen in passgenauen Schatullen sind die Ausstellungsstücke in den eigens geschaffenen Holzkästen zu sehen. Deren Bau war Teil des Projektes und diente nicht allein dazu, die Konstruktion zu erstellen: Katrin Keller und Simon Kindle werkelten fast drei Wochen lang auf dem Dorfplatz in Gais. Sie verarbeiteten die Bretter, die Stefan Inauen für sein Ledi-Kunstprojekt in Appenzell gebraucht hatte. Während nun bei schönstem Sommerwetter Kiste für Kiste entstand, gab es viel Gelegenheit zu Gesprächen mit Neugierigen, Schaulustigen und zufällig Vorbeigehenden. Und nicht nur das: War der Rücklauf auf die Einladung, die persönlichen Herzstücke auszuleihen, erst noch etwas spärlich, so stieg er nun im direkten Kontakt. Entsprechend gross ist das Spektrum der Gegenstände im Setzkasten. Es reicht vom Postkutschenmodell des Bühler Wagenbauers über das Melioskop, das seiner Besitzerin Ausblicke aus dem Alltag beschert, oder den fleischfarbigen Kiesel eines Pflästerers bis hin zu den dienstlichen Hinterlassenschaften eines Dorfpolizisten inklusive der Bussenquittungen und der Anleitung für die Polizeiwaffe. Auch Kunst ist zu sehen, allerdings geniesst sie inmitten der eigereichten Alltagsobjekte und Raritäten keinen Sonderstatus, was wohl so manchen lokalen Kunstschaffenden davon abgehalten haben mag, seine Arbeiten in diesem Kontext zu zeigen.

Keller und Kindle geht es aber ohnehin mehr um die Menschen als um die Objekte, um persönliche Erinnerungen und den individuellen Zugang zur Welt. So ergibt sich ein vielfältiges Bild aus den Dingen, die in Wohnzimmern aufbewahrt werden und die bei weitem nicht nur aus Gais oder Bühler stammen. Sogar eine Bibel des Jahres 1667 ist zu sehen. Der Vater der jetzigen Besitzerin entdeckte sie in Zürich, wo das gewichtige Buch einer alten Dame als Podest für den Waschzuber diente. Als er ihr daraufhin einen Schemel baute, bekam er die Bibel geschenkt. Solche Geschichten sind es, die den Dingen zusätzliche Würze geben. Zu erfahren sind sie direkt von Simon Keller und Katrin Kindle oder in den Objektbeschreibungen. Auf jeden Fall aber auf dem Dorfplatz in Gais.