This Infinite World, Set 10 aus der Sammlung des Fotomuseums Winterthur

by Kristin Schmidt

Die Sammlung des Fotomuseums Winterthur begann 1913 bei null. Seither ist sie auf 4000 Werke von 400 Künstlerinnen und Künstlern angewachsen. Bedeutsamer als diese Zahlen sind aber die inhaltlichen Grundsätze des Sammelns und die damit initiierte Bilddiskussion.

Das Fotomuseum Winterthur hat sich nicht wenig vorgenommen: Die Sammlung will zum Bild erziehen, das Wirken der Fotografie vermitteln und die Fotografie in einem gesellschaftlichen und medialen Kontext zeigen. Zwei Linien sind dabei bestimmend: der dokumentarische und der konzeptuelle Ansatz. Doch gerade auf diese Unterscheidung verzichtet Paul Graham. Der Fotokünstler hat die zehnte der Set-Ausstellungen kuratiert. Es ist gleichzeitig die zweite Jubiläumsausstellung im Jahr des 20jährigen Bestehens. Dass Graham dafür gewonnen werden konnte, ist ein schönes Detail, wurde das Haus doch mit einer Einzelpräsentation des damals noch kaum bekannten Briten eröffnet. Nun erhielt er „carte blanche“ und wählte 21 Positionen aus für eine sehr persönliche Ausstellung mit starken assoziativen Verknüpfungen. Innerhalb der einzelnen Räume arbeitet er Harmonien heraus und setzt zugleich Kontraste. So etwa zwischen einem Akt bei Diane Arbus und einem Doppelporträt Rineke Dijkstras: Verletzlich wirken die Abgelichteten in beiden Fällen, doch bei Arbus entblösst er sich, während bei Dijkstras Modell die Nacktheit selbstverständlicher Natur ist.

Überhaupt zieht sich der Mensch, oder mit den Worten Grahams, das, was Künstler im „unendlichen Fluss des Lebens sehen“ als roter Strang durch die Ausstellung. Ganz gleich ob die Werke nun als dokumentarisch kategorisiert werden oder nicht – allen ist der künstlerische Blick gemein. Nur dank diesem können der überbordenden Welt fassbare Bruchstücke abgerungen und miteinander verwoben werden. Letzteres passiert im Fotomuseum so, dass sich über Generationen und Kontinente hinweg Entsprechungen und variierende Untertöne ergeben. Das Interieurthema etwa reicht von Richard Billinghams berühmter Serie über seine Eltern über Bieke Depoorters zurückhaltende Wiedergabe der Lebensumstände einer ägyptischen Familie bis zu Jean-Louis Garnells inszenierter Unordnung.

Im zweiten Raum spannt sich die erzählerische Kraft der Aufnahmen von Jacob Holdts Panorama des amerikanischen Alltags in den 1970er Jahren bis zu William Egglestones künstlerisch in Szene gesetzten Beiläufigkeiten oder Bertien van Manens Schnappschussästhetik in Bildern aus Odessa oder Rybinsk. Im letzten Saal ist Daniela Keisers „Frühstücksgasse“ ein Höhepunkt: 140 Fotos des immer selben Kairoer Viertels im Mittagslicht, bei Sonnenuntergang oder nachts schärfen einmal mehr das Bewusstsein für das Geworfensein im Heideggerschen Sinne.