Die Kunsthalle in Türkis: Aida Kidane setzt sich in Arbon mit der kolonialen Vergangenheit Eritreas auseinander
by Kristin Schmidt
Unter dem Titel «Casa M» präsentiert Aida Kidane in der Kunsthalle Arbon ihre aktuellen Recherchen. Die in Eritrea geborene Künstlerin setzt den Industriebau in Analogie zum italienisch geprägten baulichen Erbe in der eritreischen Hauptstadt Asmara.
Die Kunsthalle Arbon ist in Türkis getaucht. Sanft breitet sich die Farbe überall hin aus: Sie liegt über den Wänden und den dort hängenden Fotografien, sie umhüllt die Eintretenden und färbt die Stahlträger und den rauen Boden der Industriehalle ein. Der Effekt wird durch farbige Folien an den hoch angesetzten Fensterreihen erzeugt. Mit dem einfachen, aber wirkungsvollen Kniff hat Aida Kidane den Ausstellungsraum verwandelt – und die Welt draussen vor dem Hallentor gleich mit. Denn wer sich zurückwendet, erblickt die Welt draussen vor dem geöffneten Tor in Rosa. Die Komplementärfarbe bleibt jedoch eine Nebendarstellerin in dieser Ausstellung, die Hauptrolle gehört dem Türkis. Mit ihm setzt Aida Kidane optische und inhaltliche Bezügen zu Asmana. Dort, in der eritreischen Hauptstadt, ist die Künstlerin aufgewachsen, bis sie als Kind in den 1980er Jahren mit ihrer Familie nach Europa auswanderte. Sie studierte Architektur in Köln und Kunst in Linz und Basel – und ist inzwischen wiederholt nach Asmara zurückgekehrt.
Die modernistische Hauptstadt
Kidane setzt sich intensiv mit der Stadt, ihren Bauten, dem Leben dort und der Geschichte Eritreas auseinander. Das Land stand von 1890 bis 1941 unter italienischer Kolonialherrschaft. Die 1930er Jahre waren auch architektonisch eine prägende Zeit. Die modernistischen Bauten italienischer Architekten überlagerten in Asmara lokale Bautraditionen und formten die Stadt neu. Dieses Gesamtbild ist mit dem Label als UNESCO-Weltkulturerbe ausgezeichnet, birgt aber viele soziale und ästhetische Brüche. Aida Kidane analysiert diese in ihren Schwarzweissfotografien aufmerksam und unaufgeregt. Es sind teilweise Schnappschüsse, teilweise gezielte Aufnahmen. Mehrere Belichtungen überlagern sich und die Bilder sind in der Negativansicht zu sehen. Sie gleichen damit Röntgenbildern, mit denen die Künstlerin den Blick ins Innere der baulichen und gesellschaftlichen Struktur ihrer Geburtsstadt lenkt. So liesse sich anhand eines langen Flures mit Kronleuchter, eines Treppenhauses, eines rudimentär eingerichteten Zimmers fragen, was daran eritreisch ist. Es ist weniger das Besondere als das Universelle, das hier hervorsticht. Einzig die Beschriftungen der Häuser verweisen mit ihren Familiennamen oder Beschriftungen auf Eritrea.
Eine Leerstelle in Form eines Hauses
Was also macht Asmara aus? Es sind die Menschen: die Läuferinnen in der Nähe des Flughafens, die muslimischen Mädchen auf dem Schulweg, der Mann vor dem Postgebäude, die Frau vor der Apotheke. Und es sind die «Häuser, die langsam in die Knie gehen», wie es die Künstlerin anschaulich umschreibt. Die Architektur ist austauschbar, aber ihr Zustand ist spezifisch. So sind heute Räume oft in jenem markanten Türkis gestrichen, das die gesamte Ausstellung überstrahlt.
Leise aber pointiert kritisiert Aida Kidane italienische Kolonisation anhand ihrer baulichen Spuren auch im Video «Casa M». Hierfür hat sie ein Haus in Asmara vermessen und die Form des Grundrisses in Italien ausgraben lassen. Sie kehrt damit die Machtverhältnisse um: Italienische Bauarbeiter erhalten eine Aufgabe durch die Künstlerin. Diese wiederum baut nicht, sondern gräbt ein Loch, sie verkehrt die Positiv- in die Negativform. Diese Arbeiten sind im Video dokumentiert und mit einem pulsierenden Sound unterlegt. Bis in die Nacht hinein dauern die Arbeiten. Was bleibt, ist der aufgerissene Boden – eine Wunde im Erdreich. Aida Kidane findet im Rahmen ihrer künstlerischen Forschungsarbeit ebenso eindrückliche wie schlüssige Bilder.