Fernanda Figueiredo
by Kristin Schmidt
Stein am Rhein — Vielleicht sind sie einander begegnet. Möglich ist es, schliesslich weilten die brasilianische Künstlerin Tarsila do Amaral (1886–1973) und die Schweizerin Sophie Taeuber-Arp (1889–1943) zur gleichen Zeit in Paris und verkehrten in ähnlichen künstlerischen Kreisen. Ein Treffen der beiden ist jedoch nicht belegt. Zusammen gefunden haben sie trotzdem: dank Fernanda Figueiredo (*1978). Die in Berlin lebende Brasilianerin hat aus dem Werk der beiden Künstlerinnen eine einzigartige Symbiose entwickelt. Mit der Akribie einer Restauratorin hat sie Farbstudien angefertigt und Malmaterialien untersucht. Mit wissenschaftlichem Blick hat sie die Formensprache der Avantgardistinnen analysiert und sich eine fundierte Basis erarbeitet: Figueiredo kombiniert die klare Geometrie und die wohlausbalancierte Farbigkeit der Skizzen und Bilder von Sophie Taeuber-Arp mit den prallen organischen Formen aus den Gemälden von Tarsila do Amaral. Sie verwendet Taeuber-Arps Textilentwürfe als Bildhintergrund oder entnimmt ihnen einzelne Elemente. Diese setzt sie neu zusammen und mischt sie mit Versatzstücken aus do Amarals opulenten Bildwelten. Bäume, Palmenblätter in üppigem Grün, leuchtende Blüten und Früchte erhalten durch klare geometrische Flächen einen Rahmen und eine Ordnung.
Auf diese Weise trifft Ungegenständlichkeit auf Abstraktion und Zweidimensionalität auf Schattierungen und Lichteffekte, die eine räumliche Illusion erzeugen.
Figueiredo konstruiert aus den beiden modernen Positionen neue, eigene Bildräume. Ihre Gemälde in ‹Stattdessenfarbe› im Kulturhaus Obere Stube zeigen eine grosse Pracht an Farben und Formen. Zudem gibt die Ausstellung einen Einblick in die Werkstatt der Künstlerin. Figueiredo war 2021 Stipendiatin der Artist Residency Chretzeturm in Stein am Rhein und hat sich auch in dieser Zeit mit künstlerischen Referenzen und Einflüssen beschäftigt. In Vitrinen sind Reproduktionen der Werke von do Amaral und Taeuber-Arp zu sehen, auf die sie sich bezieht, sowie Schriften und Entwürfe der beiden Künstlerinnen. Ausgestellt ist das Milimeterpapier, auf dem Figueiredo versucht, möglichst genau die verwendeten Farbtöne zu treffen. Auf Transparentpapier überträgt sie die Motive. Auf Baumwolle prüft sie, wie sich das Farbmaterial verhält. Den Gemälden ist dieses Herantasten nicht mehr anzumerken. Sie sind kompositorisch ausgewogen, präzise in der Formensetzung und motivisch voller Erzählfreude.
Kulturhaus Obere Stube, bis 8. Juni
kulturhaus-oberestube.ch