Abfall in Pop Art Manier

by Kristin Schmidt

Der Goldacher Jonny Müller zeigt aktuelle Arbeiten im Rahmen von „kultur im Bahnhof“. Seine Werke thematisieren den sorglosen Umgang mit Abfall ebenso wie unbewältigte Lebenslagen – dies alles in Pop Art Manier.

Die Pop Art Künstler, allen voran Andy Warhol haben es vorgemacht: Sie haben Konsumartikel oder zumindest Abbilder davon, haben Schlagzeilen, Comics und vorgefundene Bilder allseits bekannter Persönlichkeiten in die Kunst überführt. Andy Warhol beispielsweise hat sich in unzähligen Varianten den Campbell‘s Suppendosen gewidmet. Doch selbst wenn sie mit zerfetztem Etikett daherkommen, thematisieren sie die Verfügbarkeit der Bilder und ihre Reproduzierbarkeit, nicht aber Konsumkritik des Künstlers. Dies ist bei Jonny Müller anders. Der Goldacher zeigt derzeit aktuelle Arbeiten in der Ausstellungsreihe „kultur im bahnhof“.

So manches in seinen Werken erinnert an die Pop Art der 1960er Jahre: die wiedererkennbaren Marken, die Präsenz der Motive, die bekannten Gesichter. Doch anderes ist durchaus eigenständig. Bereits bei der Suche der Sujets wird dies deutlich. Viele der gezeigten Bilder basieren auf Fotografien, die Müller selbst im vergangen Jahr im Sittertobel aufnahm. Am Montag nach dem St. Galler Open Air-Wochenende im vergangenen Jahr zog er mit der Kamera zwischen zurückgelassenen Zelten, zerlegten Campingstühlen und unzähligem Kleinabfall auf dem Gelände umher. Ein andermal ist er mit dem Fotoapparat im eigenen Quartier unterwegs, lichtet die bereit gestellten Güselsäcke ab und das umgekippte Verkehrsschild. Aus diesen Fotografien wählt Müller anschliessend einige geeignete Beispiele aus, bearbeitet sie am Computer und verwendet sie dann als Vorlagen für seine Gemälde. Geeignet heisst dabei, dass sowohl farbliche als auch kompositorische Prinzipien wichtig sind.

Während die genuinen Pop Art-Künstler oft leuchtende Farben verwendeten, setzt Müller auf stärker gebrochene Töne und ihre Dissonanzen. Miteinander kontrastierende Farbflächen stossen aneinander, überlagern sich, bilden Inseln. Ähnliche Farbtöne harmonieren nicht, sondern sorgen für Störungszonen. Immer behält Müller die ästhetischen Qualitäten seiner Motive im Blick. Grosse Aufmerksamkeit widmet er dem Gewirr von Zeltstangen, den Faltenwürfen der Zeltbahnen oder den zerknitterten A’s auf dem Abfallsack. Auch eine Getränkekarton offenbart plötzlich ganz neue Ansichten. Der in Alkoholwerbung verwandelte rote Bulle kehrt auf die Wiese zurück, doch das abgedruckte Etikett gleicht in der extremen Verkürzung eher einem Totenschädel als dass es Tringgenuss verheisst. Daneben steht auf einem Sockel die unversehrte Box. Müller präsentiert sich nicht nur als Maler, sondern zeigt in der Ausstellung auch Objekte.

Leere Dosen treffen sich: „Energy meets Calorie“. Sie verschränken sich, verkeilen sich, werden auf den Sockel gehoben, bemalt und bekommen mit einer Baumnuss eine extra Portion Energie. Müller hebt den Abfall auf, macht ihn zum Protagonisten eigenwilliger Paarungen. Dies alles vor dem Hintergrund seiner ganz eigenen Kritik an der sogenannten Wegwerfmentalität. Der Ausstellungstitel lässt es anklingen: Mit „From Exit to Exit“ benennt Müller die Suche nach Auswegen. Er erkennt einen Trend darin, dass ein jeder aus unliebsamen Lebenssituationen so schnell wie möglich heraus möchte, ohne sich der Situation stellen, ihr begegnen und antworten zu müssen. Statt dessen werden sie entsorgt wie leere, unbrauchbar gewordene Getränkedosen. Von der abfallverseuchten Umwelt zur unbewältigten Lebenslagen und wieder zurück: Unaufdringlich und doch sichtbar kritisch setzt sich Müller in seinen Werken mit aktuellen Fragen auseinander. Schön wäre es, wenn dies dazu führen würde, dass es nach dem nächsten Oben Air etwas weniger zu fotografieren gäbe. Jonny Müller wird sicherlich wieder vor Ort sein.