Im Sog der Winterstille

by Kristin Schmidt

Hans Schweizer stellt mit «Mal du pays – Bilder 2002-2003» zu Katharinen seine neuen Gemälde aus. Sie bieten ungewohnte und mitunter dennoch vertraute Blicke auf St. Gallen und Umgebung.

Der Winter gab seinen zweiten Einstand genau zum richtigen Zeitpunkt. St. Gallen bekam langsam eine Schneedecke, während in Katharinen eine Ausstellung mit neuen Bildern Hans Schweizers eröffnet wurde – mit Bildern, die verschneites Land zeigen. Und so, wie der Winter der städtischen und ländlichen Umgebung deren Farben nimmt und alles gleichmässig in neutrales Weiss hüllt, konzentriert sich der 1942 in Herisau geborene Künstler in seinen jüngsten Werken auf wenige Töne. Einige der über dreissig ausgestellten Arbeiten sind vollständig in Abstufungen von kräftigem Rosarot gemalt, andere in Türkis und wieder andere in Blaugrün oder Violett, allesamt Farben also, die für Landschaftsdarstellungen zunächst ungewohnt wirken, insbesondere wenn sie ausschliesslich verwendet werden.

Doch genau diese seltsame Monochromie verleiht den Bildern eine eigentümliche, aber nachvollziehbare Atmosphäre. Sie strahlen dadurch eine spürbare Stille aus, so wie auch die dicke winterliche Schneedecke die Geräusche dämpft und die Welt unwirklich, verzaubert wirkt. Das gilt ebenso für die Scheune im Niemandsland wie für den symbolträchtig einsam auf weiter Flur stehenden Baum oder das schemenhaft in einer Parklandschaft auftauchende Anwesen. Nie deutet etwas auf die Anwesenheit von Tieren oder Menschen hin. Nicht einmal wenn Hans Schweizer sich vom Land weg hinein in die städtische Welt begibt, ist das anders. In einem Hochhausturm brennt ein einziges Licht, in einem anderen gar keines. Die Türme wirken wie Monolithen in einer menschenleeren Einöde. Sogar der Turm des St. Galler Postgebäudes bekommt etwas Geisterhaftes, dunkel ragt er vor ebenso dunklem Hintergrund auf und blickt mit der erleuchteten Uhr in die Nacht. Nächtliche Stimmung breitet sich auch über dem Waldessaum aus. Hier erinnern die dicht stehenden Bäume zwar einerseits an die alte Liedzeile «Still steht der Wald und schweiget», andererseits drängen sich ganz zeitgenössische Eindrücke auf, erinnern die hell vor dunklem Hintergrund stehenden Bäume doch an nächtliche Autofahrten, wenn die Scheinwerfer die Umgebung sekundenlang aus dem Dunkel holen, um sie gleich danach wieder im schwarzen Nichts verschwinden zu lassen.

Auch die scheinbare Unschärfe der Dinge fügt sich in dieses Bild und erinnert gleichzeitig an einen anderen visuellen Effekt. Schweizers Gemälde besitzen filmischen Charakter. Wie Stills, die immer nur eine Momentaufnahme des grossen Ganzen sind, geben die Bilder ausschnitthaft die Landschaft wieder. Immer ist bewusst, dass dem kurzen Innehalten weiteres folgen wird. Die Präsentation unterstützt diesen Eindruck. Hans Schweizer hängt alle Werke mit nur wenigen Zentimetern Zwischenraum aneinander. Bilder mit gleicher Farbigkeit bilden geschlossene Blöcke innerhalb dieser Reihung. Es entsteht ein Sog von Bild zu Bild zu Bild. Jedes Einzelne vermag zu fesseln ob seiner malerischen Qualität und der dargestellten Szenerie, doch schon zieht das nächste Werk die Aufmerksamkeit an. Auf diese Weise gelingt es Hans Schweizer, den durchaus nicht leicht zu bespielenden Raum zu meistern. Schweizer porträtiert die uns umgebende Welt zwischen St. Gallen, Herisau und Säntis in ihrer ganzen Ambivalenz. Hier ist nichts mehr das, was es zu sein scheint. Die Natur ist längst mehr Naherholungsgebiet statt unversehrter Lebensraum, die Stadt industrielles Ballungszentrum statt gewachsene Siedlung, die Landschaft mehr genutzte Umgebung denn gewachsene, homogene Lebenswelt. Hier wird gewohnt, gearbeitet und Tourismus betrieben. Die den Bildern dennoch eigene Poesie ist demnach auch weniger von Romantik als von zeitgenössischer, auf neuen Reizen beruhender Ästhetik geprägt.