Herkunft, Ankunft, Rückkehr, Wiederkehr

by Kristin Schmidt

Die letze Gondelfahrt, 2015, Öl auf Leinwand, 80 cm x 110 cm
Herkunft, 2015, Öl auf Leinwand, 90 cm x 120 cm

Kann eine Hinreise gleichzeitig eine Rückreise sein? Was haben Herkunft und Ankunft gemeinsam? Harlis Schweizer hat in ihrer Gemäldeserie «Bis in den Süden» im Jahre 2015 eine Reise festgehalten, die mehr war als nur eine Fahrt in die Ferien. Mit ihrem Mann und den beiden gemeinsamen Kindern reiste Harlis Schweizer 2014 über Südfrankreich nach Algerien, in das Herkunftsland ihres Mannes. Für die beiden Kinder war es die erste Reise zur algerischen Hochebene Les Aurés – an jene Orte und zu jenen familiären Wurzeln, über die sie bereits so viel gehört, von denen sie bereits so viele Bilder im Kopf hatten.
«Die letzte Gondelfahrt» und «Herkunft» sind das erste und das letzte Gemälde der Serie. Sie porträtieren landschaftliche, klimatische und Lichtkontraste: Da die mit der Gondelbahn erschlossenen Berge und der Blick auf die Hügellandschaft – dort die flach hingestreckte Landschaft mit gerader Horizontlinie. Da Eis und Schnee im bläulichen Licht am Ende eines kurzen Tages – dort die gleissende Helligkeit über ausgetrockneter Erde. Da Schnee- und Eisspuren auf der Scheibe – dort blauer Himmel ohne ein Wölkchen. Die Luftfeuchtigkeit, die Temperaturen, die Gerüche – all das kann die Malerei nicht direkt transportieren, aber die Künstlerin zeigt es mit den beiden Kindern: Sie spüren die heisse Luft im Süden, sie schmecken den Geruch von Stroh und Schaf: «Jetzt stehen sie da, schauen, und das Erzählte und das Sichtbare verbinden sich nur schwerlich,» schreibt Harlis Schweizer über dieses Bild: «Die Kinder wirken nicht fremd, ihre Herkunft ist sichtbar und doch ist ihr Leben ganz anderswo.» Sie sind zum ersten Mal hier und doch ist es eine Rückkehr zu all den Geschichten, die sie bereits in sich tragen.

Harlis Hadjidj-Schweizer ist 1973 in St.Gallen geboren und lebt in Bühler. Sie studierte Malerei an der École de décors de Théâtre in Genf und hat 2010 den Werkbeitrag der Stadt St.Gallen und 2022 den Anerkennungspreis der St.Gallischen Kulturstiftung erhalten.

Bildbogentext Kulturmagazin Obacht Ausgabe No. 43 | 2022/2