Willi Kunz – Wolkenfenster

by Kristin Schmidt

Cumulonimbus, Cirrocumulus, Altostratus, Stratocumulus – Wolken sind dynamisch, vielfältig, unterschiedlich. Selbst dann, wenn die Ränder scharf umgrenzt erscheinen, sind Wolkenformen kaum in Worte zu fassen. Wolken sind das Gegenteil geometrischer Figuren: Hier die mit klaren Termini zu benennende Fläche, dort die aufquellende, ausufernde Dreidimensionalität.

Wolken und Geometrie – im Fenster begegnen sie einander. Die rechteckige Wandöffnung erlaubt den Blick in den Himmel. Die Wolkenformationen ziehen scharf begrenzt am Auge vorbei – formale Kontraste, die dank Willi Kunz zwischen die Obacht-Seiten passen: Eine Wolkenfotografie trifft auf ein gestanztes, zweimal gefalztes Blatt Papier. Vier Lagen Papier liegen übereinander. Aufgefaltet ist das Blatt viermal so gross wie zu Beginn und das kleine Quadrat ist nun eines von vier Segmenten eines grossen Quadrates. Jedes der Segmente ist anders gestaltet: Schmale Ränder begrenzen die Flächen, erweitert um Halbkreise, Rechtecke sowie um spitz- und stumpfwinklige Flächen.

Unwillkürlich stellt sich die Frage nach der Positivform und der Negativform: Sind die Leerstellen die jeweilige Grundform oder sind es die Flächen? Schieben sich die Flächen in die Ausblicke oder haben die Durchblicke das Papier verdrängt? Durchblicke, die beim Zusammenfalten des gestanzten Blattes, übereinander liegen, addiert zu einem kleinen, von Kreissegmenten begrenzten Ausschnitt.

In «Wolkenfenster» zeigt sich Willi Kunz´ Interesse an Variationen eines Grundvokabulars. Auch in seinen typografischen und grafischen Werken arbeitet er mit einem Formenrepertoire, das seine Kraft aus der Reduktion und dem Variantenreichtum entfaltet. In seinen freien, künstlerischen Werken setzt sich dies fort. Für eine 2011 begonnene Skizzenserie beschränkte Kunz sich beispielsweise darauf, ausschliesslich mit gebogenen und geraden Linien zu zeichnen, inspiriert von alphanumerischen Zeichen, Symbolen und geometrischen Elementen. Die Linien fügen sich zu Formen und erhalten nach der Ausführung per Computer eine verstärkte grafische Qualität. Sie sind mehr Balken als Linie und spielen schier unendliche Möglichkeiten durch.

Auch Schere und anschliessend die Stanze wirken wie der Computer: Die Konturen des weissen Papieres sind regelmässig und geradlinig. Willi Kunz konfrontiert in «Wolkenfenster» das Raster mit den organischen Wolkenformen. Ein Widerspruch ist das nicht, sondern ein Kontrast, der in beide Richtungen den Blick schärft.

Willi Kunz, aufgewachsen in Frauenfeld, arbeitet seit 1970 als Typograf, grafischer Gestalter, Künstler und Autor in New York und im Sommer in Teufen AR. Seine Arbeiten sind in international bedeutenden Sammlungen vertreten und vielfach publiziert.

Obacht Kultur, Ausgabe GRAPHIC DESIGN, No. 38 | 2020/3