Zumthor im Zumthorbau

by Kristin Schmidt

«Ich nehme meine Leute mit auf eine Reise» – und nicht nur die eigenen. Peter Zumthor nimmt im Kunsthaus Bregenz all jene mit auf eine Reise, die sich mit seinem Arbeitsgeist, seinem Gespür für Orte und seinen Haltungen befassen wollen.

Eigentlich ist ein Ausstellungshaus primär ein Gefäss für die Kunst. Dies gilt besonders dann, wenn es von Anfang an als solches konzipiert und geplant wurde. Aber das Kunsthaus Bregenz braucht keine Kunst, es ist keine Kulisse. Es ist ein Solitär. Seine Aussenhaut, die Raumanordnung, die Lichtführung, die Böden, die Wände – alles ist in seiner Materialität autonom und aussagekräftig. Das Haus steht für sich selbst und bietet der Kunst deshalb einen natürlichen Widerstand. Versucht die Kunst, diese Kraft zu ignorieren oder zu negieren, scheitert sie. Keine der guten Ausstellungen in den vergangenen zwanzig Jahren – es gab auch schlechte – kam darum herum, sich der starken Architektur Zumthors zu stellen, auf sie zu reagieren oder sie sogar zum Teil der künstlerischen Arbeit zu machen. Erinnert sei etwa an Santiago Sierras 300 Tonnen-Installation, an Christian Höllers Spiegelflächen oder an Heimo Zobernigs Deinstallation der Lichtdecke.

Salon statt Foyer

Angesichts der Qualität des Baukörpers lag es nahe, ihm und seinem Architekten anlässlich des zwanzigjährigen Jubiläums des Kunsthauses einen besonderen Auftritt zu verschaffen. Die Idee der Einladung ist schlüssig – und sie ist offenbart eine Schwäche. Denn was Peter Zumthor lehrt und was ihm wichtig ist, manifestiert sich in seiner Architektur und ist dank seiner zahlreichen öffentlichen Gebäude leicht zugänglich. Daneben lässt sich die Arbeitsweise des Pritzker-Preisträgers in seinen Modellen ablesen, aber diese waren bereits 2012 in einer umfangreichen Auswahl in Bregenz ausgestellt. Das Kunsthaus Bregenz selbst in den Mittelpunkt einer Schau zu rücken wäre ebenfalls keine taugliche Alternative gewesen, gehen doch bei einer solchen Selbstreflexion genau jene Reibungsflächen mit dem Anderen verloren, die den Bau auszeichnen.

«Dear To Me» ist der gelungene Ausweg aus dem Dilemma. Zumthor hat Plattformen entworfen für die Anderen, für die Musik, die Literatur, die Kunst und selbstverständlich für die Menschen, die musizierenden, die schreibenden und lesenden, die gestaltenden, kurz: für diejenigen, «die ihn interessieren», wie es im Programmbuch zur Jubiläumsausstellung heisst. Die kleine Publikation ist fingerdick und das Programm deutlich mehr als nur begleitend: Die Konzerte, Gespräche und Lesungen sind integraler Bestandteil der Ausstellung und finden auf eigens entworfenen Bühnen statt.

Das Erdgeschoss wurde mit Podest, bequemen Sesseln, den Raum neu definierenden Wand- und Deckenpaneelen in einen Salon verwandelt. Selbstverständlich steht ein blank polierter Flügel bereit. Im Stockwerk darüber gehen Ton, Bild und Architektur einen stimmigen Dreiklang ein. Die Mitte des Raumes beherrscht eine Spieluhr der österreichischen Komponistin Olga Neuwirth und ein mehrere Meter langes Lochband. Die Struktur der Komposition zeigt sich im Raster der Löcher und verweist auf das Raster der gepflasterten Wege der Akropolis, geplant von Dimitris Pikionis, einem Lieblingsarchitekten Zumthors. Zu sehen sind sie in den Schwarzweissaufnahmen der Tessinerin Hélène Binet. Millionen von Füssen haben die Steine glattgeschliffen, hell glänzen sie in der Sonne, die tiefen Fugen liegen in dunklem Schatten.

Übersichtlicher Dschungel

Beim Aufgang in das nächste Stockwerk scheint die nachmittägliche Wintersonne tief ins Treppenhaus hinein – die Architektur bringt sich in Erinnerung, bevor eine andere Sparte ihren Auftritt hat: Im zweiten Obergeschoss schliessen sich gebogene Bücherwände um ein einladendes Lesezimmer. Inmitten der Bibliothek des Antiquars Walter Lietha aus Chur lädt es ein zu schmökern oder einer der Lesungen zu folgen.

Von der Literatur führt die Reise zur Kunst: Im dritten Obergeschoss haben Gerda Steiner und Jörg Lenzlinger einen wohlgeordneten Dschungel installiert. Es summt, zwitschert und zirpt, ein Urwaldvogel schreit. Unwegsam oder unübersichtlich wird es jedoch nie, und die Interaktion mit dem Raum ist denn auch weniger überzeugend als Steiner & Lenzlingers «Seelenwärmer» in der Stiftsbibliothek St.Gallen.

Also zurück zu den Bühnen und das Programmheft gezückt: In der Auswahl der Veranstaltungen zeigt sich einmal mehr die Handschrift des Architekten. Der Meister selbst spricht in loser Folge am Sonntagmorgen um 11 Uhr mit seinen Gästen über ihre Kunst. Seiner eigenen Kunst lässt sich indessen in Christoph Schaubs sehenswerter Interviewcollage im Erdgeschoss näher kommen. Eine der zumthorschen Empfehlungen an den Architekturnachwuchs lautet da etwa: «Alles so planen und bauen als ob es für die eigene Mutter wäre.»

Zumthor im Zumthorbau