Geflickte Fotografien

by Kristin Schmidt

Die Galerie Friebe an der Unterstrasse präsentiert in einer kleinen Retrospektive Werke aus dem bisherigen Schaffen von Annegret Soltau. Die deutsche Künstlerin stellt ihre Fotovernähungen und Fotoradierungen aus.

Nadel und Faden werden als Arbeitsinstrumente überwiegend von Frauen benutzt. Das ist bis heute so und gilt sogar für die bildende Kunst. Ein Beispiel dafür zeigt die aktuelle Ausstellung in der Galerie Friebe. Zu sehen sind Werke der deutschen Künstlerin Annegret Soltau. Nadel und Faden dienen ihr allerdings nicht dazu, Textiles aneinanderzufügen. Vielmehr hat sie sich einen Namen mit ihren Fotovernähungen gemacht.

Fotografisches Material, überwiegend autobiographischer Natur, wird dabei mit Nadel und Faden transformiert. Den Anfang machten in den 1970er-Jahren Schwarzweissaufnahmen des eigenen Antlitzes, die Soltau mit Garnnetzen überzogen hat. Das Gesicht wird geschmückt, verschleiert oder akzentuiert. Und zuweilen verschwindet es auch oder präsentiert sich nur noch in den ausgeführten Stichen auf der Rückseite der Näharbeit. Ganz abgesehen vom autobiographischen Bezug der Arbeit stellt Annegret Soltau damit Fragen zur weiblichen Identität zwischen Aussenwirkung, überlieferten Idealen und Frauenbildern im Spannungsfeld des eigentlichen Selbst und der Sicht der anderen.

Kurz darauf entstand die Serie «Schwanger». Hier werden Fotos des eigenen Körpers mit schwarzen Fäden geflickt. Bereits diesen frühen Arbeiten haftet etwas Beklemmendes an, doch Annegret Soltau steigert in der Folge die Drastik ihrer Bildschöpfungen um ein Vielfaches. Sie setzt Gesichter neu zusammen, indem sie Selbstporträts, Bilder ihrer Kinder und Tierköpfe addiert. Hier wird das Lachen zur Fratze, das Kinderauge zum Monsterblick. Ganz bewusst unterläuft die Künstlerin das Niedliche des Ausgangsmaterials. Wenn jedoch hie und da von den schockierenden Wirkungen ihrer Werke die Rede ist, bezieht sich das wohl am ehesten auf Serien wie «Generativ» oder «Transgenerativ», die in der St. Galler Ausstellung wie alle anderen Fotovernähungen in der Kleinversion zu sehen sind. Es existieren jeweils auch grosse Formate.

Die provokative Wirkung der beiden letztgenannten Serien auf manche Rezipienten dürfte eine kalkulierte sein. Annegret Soltau nimmt Aktaufnahmen von Tochter, Mutter und sich selbst oder dem Sohn auseinander, vermischt und vernäht sie mit groben Stichen, die mehr Verletzung sind als Reparatur. Die Ergebnisse sind zwischen Wechselbalg und Chimäre angesiedelt und ironisieren recht deutlich die zeitgenössischen Vorstellungen von Schönheit und Perfektion.

Noch expliziter wird die Künstlerin in «N. Y.-Faces», indem sie Aufnahmen einer Zahnoperation mit Satzfetzen aus Zeitungsartikeln zu den Angriffen auf New Yorks World Trade Center mischt. Da trifft die Spritze aufs Zahnfleisch, und gleichzeitig ist von «Vergeltung» und «Entsetzen» die Rede. Subtil ist das nicht, aber es wirkt.

Im grössten Raum der Galerie sind Soltaus Fotoradierungen zu sehen. Auf der Basis der tradierten Technik der Radierung hat die Künstlerin ein völlig neues Herangehen entwickelt. Mit der Nadel überarbeitet sie Fotonegative und erstellt immer wieder Abzüge der einzelnen Zustände. Auf diese Weise macht sie einerseits einen Prozess sichtbar, andererseits unterlegt sie dem Sujet selbst einen filmischen Ablauf. Aus der hockenden Frau wird Schritt für Schritt ein vogelhaftes Wesen, bis sie immer mehr in der Geste verschwindet und schliesslich im Schwarz untertaucht. Durch die Hängung entgegen der Leserichtung kommt sie jedoch in einer zweiten Serie wieder hervor aus dem schwarzen Quadrat, den Gesten, der Linienabwicklung. Sie inszenierte damit erstmalig einen neuen Ablauf hin zum Körper.

Insgesamt darf diese Ausstellung als kleine Retrospektive bezeichnet werden, versammelt sie doch die wichtigsten Werke Annegret Soltaus aus allen Schaffensphasen und in allen verwendeten Techniken.