Eine Messe für die Jungen

by Kristin Schmidt

Evelyne Fenner hat vor 20 Jahren die Kunst Zürich gegründet. Die gebürtige Wienerin braucht die Kunst wie den Sauerstoff.

«Zürich ist der bessere Messeplatz, der bessere Kunstplatz.» Evelyne Fenner ist sich sicher und das seit mehr als 20 Jahren – so sicher, dass sie 1994 eine neue Kunstmesse gründete: die Kunst Zürich. Einfach so? Fast. Die gebürtige Wienerin ist seit beinahe 30 Jahren für die Kunstbeilagen der Handelszeitung zuständig. Und sie ist von der Kunst in einem Ausmass gepackt, dass diese in ihrem Leben eine ständige Rolle spielt, privat, beruflich, überall. Für Fenner ist das selbstverständlich: «Ich atme ja auch und sage nicht, mein Gott, ich muss schon wieder atmen.»

Zürich macht es ihr leicht, nah dran zu sein an der Kunst. Zwar gibt es auch in Wien viele namhafte Galerien und Museen von Weltrang, aber seit Fenner als 17jähriges Aupairmädchen in die Limmatstadt kam, hat sie die hiesige Kunstszene nicht mehr losgelassen. Ihr Büro hat sie in der Mühle Tiefenbrunnen: «Hier habe ich ursprünglich begonnen. Damals, vor 30 Jahren fuhr ich bei Nacht und Nebel mit dem Velo durch die Stadt, entdeckte die Mühle und mietete sie bald darauf für die Kunstaktion der Handelszeitung» Die Mühle wurde bald auch von Künstlerinnen und Künstlern entdeckt; und vor drei Jahren ergab sich die Chance hier Büroräume zu mieten, das war für Fenner wie eine Heimkehr.

«Gruppe 44 / Kunst Zürich» steht auf dem Türschild, aber die ausgebildete Marketingplanerin geht hier seit 20 Jahren beiden Hauptberufen nach: Kunstbeilage und Messe. Sie ergänzen einander und konkurrieren auch: «Wenn ich die Beilage zur Art Basel herausgebe, läuft der Endspurt für die Anmeldeunterlagen für die Kunst Zürich. Und wenn die Messevorbereitung auf Hochtouren läuft ist Redaktionsschluss für die Herbstbeilage.»

Die Beilagen der Handelszeitung nennt Fenner ihr «Erstgeborenes». Ohne die Beilagen oder vielmehr ohne das Mutterblatt gäbe es die Messe nicht, wie Fenner betont. Als sie

1993 den Wunsch hatte, eine grosse Messe zu gründen, war nicht nur ihr damaliger Partner Raphael Karrer sofort dabei, sondern auch die Verantwortlichen der Handelszeitung. Nun brauchte es noch den richtigen Platz. Es fügte sich so, wie schon mit der Mühle klappte und besser kaum hätte kommen können: Fenner und Karrer entdeckten die Fabrikationshallen der ABB in Zürich-Oerlikon und waren begeistert, ja sogar «Hals über Kopf verliebt». Diese grossen Emotionen für den alten Industriebau haben nicht nur mit der Atmosphäre der Halle zu tun, sondern auch mit Fenners Kindheitserinnerungen: «Meine Grosseltern hatten eine Bauschlosserei, dieser Geruch hat sich mir eingeprägt und er ist positiv besetzt.» Als die Messe 1994 in die Hallen einzog, wurde dort noch produziert. In den ersten Jahren erhielten die Arbeiter Gratiseintritte für die Messe und kamen; stolz auf ihre Halle und neugierig auf die Kunst. Später wurde die Halle um ein Drittel verkleinert und umgebaut. Inzwischen wird Fenners Liebe zu diesem Gebäude manchmal auf die Probe gestellt – hin und wieder regnet es rein, hin und wieder müssen die Löcher im Dach gestopft werden. Dass dies so achtsam wie möglich geschehe, wünscht sich Fenner, «denn bis auf diese Mängel ist es ideal. Der Geist der Halle muss unbedingt erhalten bleiben.»

Längst ersetzen Bauten mit Charakter die makellose Neutralität der White Cubes. Die ABB Halle zeigt beispielhaft, warum dies funktioniert: Der besondere produktive Charakter, die 100 Jahre währende Geschichte als Fabrikationsort strahlen auch auf die Kunstpräsentationen aus. Fenner beschreibt die Stimmung der Halle als so angenehm und befruchtend, dass sogar Konkurrenzkämpfe unter Ausstellenden gar nicht erst aufkommen. Aber selbst wenn sich der Charme der Halle für immer erhalten liesse, es gibt ein anderes Problem: Sie ist längst zu klein geworden für die Messe. Der Gedanke, sie aufstocken zu lassen, ist verlockend, aber Fenner bleibt realistisch und weiss zugleich, dass es praktisch unmöglich ist, eine grössere Halle für die Kunst Zürich zu finden, schon gar keine mit demselben Flair. Also bleibt die Zahl der teilnehmenden Galerien begrenzt. Ja, sie hat sich in den vergangenen Jahren sogar noch reduziert: «Früher waren mehr Galerien an der Kunst Zürich, aber die Galerien buchen immer grössere Stände,» so die Messechefin. Aktuell sind 76 Galerien dabei, jeder Meter ist ausgebucht. Etwa 100 bis 120 Galeristinnen und Galeristen müssen jedes Jahr abgewiesen werden, zudem wird vorsondiert: «Es ist mir wichtig, mit welchen Galerien ich zusammen arbeite. Ich möchte meine Sicht der Kunst widerspiegeln.» Es ist eine junge Sicht, so wie die Kunst Zürich eine junge Messe ist. Die grosse Schwester in Basel ist immerhin 25 Jahre älter. Jung waren auch auch die Galeristinnen und Galeristen, an die sich die Messe vor allen Dingen richtet. Im ersten Jahr waren sie es, die das grosse Potential der Messe sahen, so Fenner: «Die Alteingesessenen waren anfangs eher dagegen. Sie hatten Angst, dass ausländische Galeristinnen und Galeristen kommen und ihnen die Schweizer Sammlerinnen und Sammler wegschnappen.» Diese Sorge war von Anfang an unbegründet. Es ging viel mehr darum, der hervorragenden jungen Galerienszene, die es in Zürich und anderswo in der Schweiz schon vor 20 Jahren gab, eine Plattform zu geben: «Die grossen, die etablierten Galerien hatten ihre Art Basel, aber die Jungen waren schnell begeistert. Die Kunst Zürich ist kein Ableger und kein Auffanglager, es war die erste Messe für junge Galerien.» Darüber hinaus sieht Fenner in der Kunst Zürich die Initialzündung, dass auch die Art Basel auf die junge Galerienszene setzte und sich wieder näher am Markt positionieren konnte. Der Kunst Zürich hat das nicht geschadet. Ein grosser Teil der Galerien nimmt an beiden Messen teil. Möglich ist das nicht zuletzt deshalb, weil die eine im Frühjahr und die andere im Herbst stattfindet.

Die Kunst Zürich richtet sich nicht nur an die jungen Galeristinnen und Galeristinnen. Für die jungen Kunstschaffenden gibt es seit letztem Jahr gibt es einen Förderpreis von 25´000 Franken, der von der Messeleitung ausgeschrieben und von einer professionell besetzten Jury vergeben wird. Die Messe also als Mäzenin? Fenner betont, der Preis werde frei von Einflüssen oder wirtschaftlichen Interessen vergeben. Gleichzeitig ist sie pragmatisch: «Förderung funktioniert nur dank des Marktes. In der Kunstszene ist Platz für alles, aber das Geld muss reinkommen.» Das Potential der Entdeckungen liegt auf der Hand: «Die Bluechips von heute sind gesetzt, mich interessieren die Bluechips von morgen.» Fenner kennt die Vorbehalte der Kulturszene gegenüber der Kommerzialisierung und gesteht sie ihr zu: «Die Jugend darf sich Verweigerung erlauben, aber auch die Jungen kommen auf die Welt und haben Hunger.»

Und die ganz Jungen? Evelyne Fenners Kinder haben die Leidenschaft der Messegründerin von Anfang an miterlebt: «Meine Tochter wurde ausserhalb des Spitals das erste Mal in der Galerie Jamileh Weber gewickelt. Inzwischen kümmert sie sich um das Messemarketing und den Katalog.» Fenners Sohn ist inzwischen für den Standbau verantwortlich. So jung die Kunst Zürich ist, sie ist bereist ein Generationenprojekt.

NZZ am Sonntag, Kunstmarktbeilage