Liebe, Schmerz und Kunst

by Kristin Schmidt

Das Birli in Wald AR ist als Haus für Artists in Residence immer neu für Überraschungen gut. Lena Münch, die jetzige Stipendiatin, hat einen dreitägigen «Kunstgipfel» organisiert.

«House of Love and Pain» – das weckt spontan Erinnerungen an den Aufenthalt von Gelitin, damals noch als Gelatin, im Haus Birli der Schlesinger-Stiftung. 2002 war das und ziemlich wild. Doch das Motto des Wochenendes will weder einen Ort sadomasochistischer Spielchen ankündigen noch das Bauernhaus in einen Dark Room verwandeln. Dunkel war am vergangenen Wochenende nur die Kleidung der anwesenden Künstler und Künstlerinnen und ihrer Freunde.

Lena Münch, die derzeitige Stipendiatin der Schlesinger-Stiftung, hatte zum Kunstgipfel geladen. Der Garten der Lüste sollte wiederauferstehen, inklusive Sündenfall und erweitert um Schlaraffien. Also blubbert das Käsefondue über offenem Feuer, just an jener Stelle, an der im vergangenen Jahr die Mitglieder der Künstlergruppe Palatti die zwei Schweine Flekki und Spekki gemästet hatten. Zum Knistern des Feuers mischt sich elektronische Musik, dazu Kuhglockengetön und Mobilgerätegeklingel. Wir sind schliesslich im Hier und Heute, auch wenn die Aussicht nach Rehetobel die grosse Welt vergessen lässt.

Was findet hier statt – ein gemütliches Zusammensein unter Gleichen? Die Kunst ist erst auf den zweiten Blick zu sehen, etwa in einer fragilen Installation aus Schnüren und Zweiglein am Baum, Gemälden im Garten und gebündelten Palisaden auf der Weide. Dramatischer wird es dann zwischen den Hecken: Ein Skelett in der frisch ausgehobenen Grube. Haben Liebe und Schmerz ein erstes Opfer gefordert?

Zum Glück wurde das Motto des Wochenendes nicht überall so wörtlich genommen. Zum Beispiel vom Kunstkollektiv WBNG: Im Erdgeschoss des Hauses nahmen sich die Stuttgarter des Weltschmerzes an. Da strahlt ein Feuer aus Leuchtstoffröhren kaltes Licht statt Wärme ab, und die tief abgehängte Decke über den alten Tischen schafft eine bedrohliche Atmosphäre wie in einer Edgar Allan Poe-Erzählung. Enge korrespondierte mit Leere. Dazu sind die Fensterscheiben mit Alufolie abgeklebt oder mit Erde zugeschüttet – lebendig begraben, isoliert. Und die Projektionen der meistgeklickten Youtubevideos auf einen toten Fernseher machen deutlich, dass das Individuum zwar Teil einer globalen Gruppe ist, damit aber noch längst keine Empathie oder Nähe hergestellt ist.

Derweil rumpelt es treppauf, treppab im alten Haus. An einer Tür hängt die Nachricht, dass wegen einer «Trommelreise» derzeit geschlossen ist, anderswo wird vor Publikum tätowiert. Die Grenzen zwischen Wohnen und Installation verschwimmen. Matratzenlager können auch Konzertraum sein und das Treppenhaus eine Projektionsfläche, beispielsweise für eine Arbeit der Ausserrhoder Künstlerin Michaela Müller. Sie aber weilte am Wochenende längst wieder in ihrer Arbeitsstätte in New York.

Trotzdem: Initiantin Lena Münch klang zufrieden. Sie hat während ihres Aufenthaltes ihre eigene Arbeit weitergetrieben, hat neu das Schreiben für sich entdeckt, hat das Konzept für dieses Wochenende entwickelt und damit viele Begegnungen gestiftet. Es wird wohl jeder etwas mitnehmen, der am Wochenende hier war, und sei es nur einen Eindruck davon, was in Ausserrhoden zwischen grünen Weiden und unter imposanten Wolkenbergen alles möglich ist.

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