Georg Gatsas, Signal The Future, 2008–2014

by Kristin Schmidt

Kunstbeitrag zu Mitten am Rand – Kulturlandsgemeinde 2014 in Schönengrund

Mittendrin und doch für sich. Am Rand und doch mittendrin. Georg Gatsas porträtiert die Vertreter der Londoner UK Bass Music-Szene. Mal fotografiert er sie tanzend im Club, hebt sie mit dem Blitzlicht der analogen Kamera für einen Sekundenbruchteil heraus aus der tanzenden Menge, bannt ihre Bewegung in einem intensiven, flüchtigen Moment ihres Lebens. Oder Gatsas porträtiert sie in den Tanzpausen, im Club, auf der Strasse. Nüchtern und aufmerksam, aber stets auch aus der Sicht des Insiders.

Georg Gatsas bewegt sich seit langem in den Subkulturen der Grossstädte – mittendrin in den Randzonen, dort, wo sich Szenen treffen, sich in schnellem Wechsel auflösen und neu finden. Derzeit ist Georg Gatsas als zweiter Stipendiat des Ausserrhoder Artist-in-Residence-Programms unterwegs. Die Besonderheit des Ausserrhoder Förderprogrammes: Es gibt kein fixes Atelier an einem Ort im Ausland, vielmehr bewerben sich Kunstschaffende für einen von ihnen ausgewählten, für das jeweilige Projekt passenden Ort. Georg Gatsas hat für seinen Aufenthalt London gewählt. Hier will er seine 2008 begonnene Arbeit über die UK Bass-Music-Szene abschliessen, um sie dann als Buch zu publizieren.

UK Bass Music ist eng verknüpft mit den afrokaribischen Einwanderern Londons, der von ihnen mitgebrachten, von Bässen dominierten Musik, aus der Reggae, Dub, Garage und Two Step hervorgingen. Aktuell heissen die daraus entstanden Musikstile Grime, Dubstep, Funky und UK Bass und werden von jungen Produzentinnen und Produzenten (die zumeist aus Migrationsfamilien stammen) stetig variiert, neu definiert und weiterentwickelt. Sie holen ihre Einflüsse von den Strassen britischer Grossstädte und verbreiten ihren Sound über Web-Blogs, spezialisierte Radiosender, Foren und Printmedien. Viele Stücke werden nie zum Verkauf angeboten. Nicht nur deshalb sind die Clubnächte gut besucht. Mit den Soundanlagen der Clubs erreichen auch Bässe unterhalb der menschlichen Hörgrenze die Tanzenden. Licht war dabei lange Zeit überflüssig: Das Publikum setzte sich auf einer stockdunklen Tanzfläche vor schwarz gestrichenen Wänden vollkommen dem Hörerlebnis aus – sehen und gesehen werden spielte keine Rolle. Es ging um Musik, Klang und Gemeinschaftsgefühl. Georg Gatsas fotografierte somit intime Momente. Inzwischen ist er aber auch zum Chronist von Veränderungen geworden, denn die Szene professionalisiert sich, vernetzt sich weltweit, und in den Clubs bleibt das Licht an. Durch neue Medien wie Instagram und whatsapp veränderten sich die Wahrnehmung und das Verhalten der Clubgänger, wie auch das der Produzentinnen und Produzenten. Auch die Immobilienspekulationen treiben die Kommerzialisierung der Szene voran. Die Macher werden immer weiter an den Rand der Stadt gedrängt. Vielleicht wird Gatsas sie in naher Zukunft anderswo als in London treffen.

Gatsas zeigt nicht nur die Menschen, sondern unanhängig von ihnen die menschenleeren, nächtlichen Strassen Londons wie sie sich den Clubbesuchern darbieten – mitten in London, aber am Rande des tagsüber pulsierenden Alltags. Auch der Künstler selbst befindet sich im Spannungsfeld von Zentrum und Perpherie: Gatsas stammt ursprünglich aus Grabs im Rheintal, wuchs in Rorschach auf, lebte für längere Zeit in New York, St. Gallen und Zürich. Seit einigen Jahren lebt er in Waldstatt. Hier schätzt er, in Abgeschiedenheit konzentriert arbeiten zu können, und zugleich ausreichend Platz für die Archivierung seiner Fotosammlung zur Verfügung zu haben. Denn Gatsas fotografiert analog. Auch damit agiert Gatsas nicht im Zentrum, zumindest nicht dem der heutigen Fototechnik, aber die Fotokunst geht seit jeher eigene Wege und Georg Gatsas sowieso.

Obacht Kultur, Nr. 19, Heft 2/2014