Dauer und Augenblick – Werke von Teresa Peverelli, Kultur im Bahnhof

by Kristin Schmidt

Wer ein Bild von sich haben möchte oder braucht, eines, das den Blick in den Spiegel überdauert, der lässt sich fotografieren. Die Fotografie ist schnell, genau und lässt sich im digitalen Zeitalter sogar noch mühelos überarbeiten. Warum also ein gemaltes Porträt? Das gemalte Bildnis hat eine lange Tradition. Einerseits war es vor der Erfindung der Fotografie das einzige Medium, in dem das Antlitz der Porträtierten in einem einigermassen handlichen Format festgehalten und also dem Vergessen und Verschwinden entrissen werden konnte. Andererseits diente und dient das Bildnis der Repräsentation – so lassen sich Staatsoberhäupter noch immer in Ölmalerei porträtieren. Ein Ölgemälde vermittelt Wertigkeit, Beständigkeit, Legitimität.

Das Wissen um die Tradition und die Bedeutung des gemalten Bildnisses schwingt auch in Teresa Peverellis aktuellen Gemälden mit, und doch ist vieles in ihnen anders.

DIE POSE

Da sitzt ein junges Mädchen auf dem Sofa. In einem luftigen Sommerkleidchen, die Arme im Schoss. Ganz wohl scheint sie sich in der Situation nicht zu fühlen. Sie wirkt etwas befangen, auch der Gesichtsausdruck ist unentschieden, könnte sowohl in ein Lächeln übergehen als auch in einen abweisenden Blick. Teresa Peverelli hat das Porträt eines Kindes in seinem Zuhause gemalt, in einer lebenstypischen Situation und spart auch die Verzagtheit nicht aus. Einige Jahrhunderte zuvor wäre gerade dies undenkbar gewesen: Die Porträts junger Herrscherinnen und Herrscher im gleichen Alter waren ganz auf Repräsentation ausgerichtet oder dazu gedacht mit Boten zu möglichen Heiratskandidatinnen und -kandidaten geschickt zu werden. Da hatten Gefühle und Zwischentöne wenig Platz und konnten nur bei den ganz grossen Meistern subtil ins Bild gelegt werden.

Mit feinem Gespür arbeitet Teresa Peverelli jene Unsicherheit heraus, die den Abschied von der Kindheit und den Aufbruch ins Erwachsenenleben begleitet. Wie anders wirkt da die nur wenige Jahre jüngere Schwester des Mädchens. Sie sitzt neben ihrem Vater auf dem Sofa und blickt offen und vorbehaltlos in die Welt. Der Unterschied zwischen beiden Kindern ist klein und doch riesengross. Noch anders fühlt sich die Welt für die jüngste der drei Schwestern an: Hier ist die Pose gar keine, sondern das Bild eines intimen Momentes zwischen zwei einander sehr nahestehenden Menschen. Impulsiv schmiegt sich das kleine Kind an seine Mutter. Es ist eine innige Zweierbeziehung, die kein Publikum braucht. Selbst das Fernsehprogramm im Hintergrund bleibt unbeachtet.

Edina und Anna hingegen blicken ihr Gegenüber an. Eindeutig haben die beiden jungen Frauen ihre Position mit dem Wissen um das spätere Bild eingenommen. Trotzdem wird auch hier eine starke Verbindung zwischen den beiden Freundinnen spürbar. Es sind die Gesten, die Mimik, die Blicke, die beredt und deutlich sind. Und es ist wiederum das Gespür der Künstlerin, diese im entscheidenden Moment festzuhalten und auszuwählen für das Bild.

Teresa Peverelli ist eine gute Beobachterin. So entging ihr auch nicht die unermessliche Traurigkeit ihrer Künstlerkollegin Ghislaine Ayer. Obgleich die junge Künstlerin bereits mit dem ersten Porträt einverstanden war, malte Teresa Peverelli noch eines, aber auch diesmal schreibt sich die Persönlichkeit der mit dem Leben hadernden jungen Frau im Bild fort. Es ist ihr Blick, aber auch ihre Haltung, die Kummer, Verzweiflung ausdrückt.

DIE FARBIGKEIT

Die Gemälde Teresa Peverellis sind miteinander verwandt in ihrer leicht violett getönten Farbigkeit. Grüntöne sind die Ausnahme und wirken wie bei jener Pflanze hinter dem Kopf des Porträtierten irritierend. Rottöne, Blau, das Inkarnat, weissliche Töne – alles trägt Violett in sich. Die Wurzeln dafür liegen in einer früheren Schaffensphase Peverellis. 2005 entdeckte die Künstlerin während eines Arbeitsaufenthaltes in Ungarn auf einem Flohmarkt Schachteln mit alten Fotografien. Sie stammten aus der Zeit der beginnenden Farbfotografie. Ausser Magenta waren alle Farben verblichen oder gar nicht mehr vorhanden, für die Künstlerin eine „grosse Farbattraktion“. Der Farbton verlieh den Fotografien etwas Fremdartiges, er schuf eine Distanz zwischen Motiv und Realität. Diese merkwürdige Fremdheit faszinierte Teresa Peverelli und sie malte die Fotografien ab, in genau jenen, ihnen gebliebenen Farbtönen, so dass die Distanz zwischen den fotografierten Personen, Szenen und Dingen und ihrem Abbild gewahrt blieb. Diesen Abstand hält die Künstlerin auch heute noch ein. Ihre Gemälde sind nicht fotorealistisch, sondern wahren bewusst einen Abstand.

DIE AUFNAHME

Abstand zu ihren Modellen nimmt die Künstlerin auch durch die Verschränkung der Techniken ein: Teresa Peverelli fotografiert ihre Modelle. Die Fotografie schafft eine erste Distanz. Die Fotografie abstrahiert, sie hält die Menschen in einem Lebensmoment fest, verleiht diesem Moment aber Dauer. So wirken fotografierte Posen weniger erstarrt – im Kontrast zu den nötigen Porträtsitzungen bei einem direkt vor dem Modell gemalten Bildnis.

Die Menschen verlassen das Atelier wieder, die Fotografien bleiben. Oder die Künstlerin verlässt selbst die Wohnungen ihrer Modelle und kehrt ins Atelier zurück. Teresa Peverelli kann nun ihr Arbeitstempo selbst bestimmen und sie kann sich in Abwesenheit der Modelle umso besser auf sie einlassen. Dabei geht all das, was die Künstlerin bei den Treffen mit ihren Modellen erlebt und wahrgenommen hat, bewusst oder unbewusst ins Gemälde ein. Der ganze Raum, das Ambiente, die Stimmungen und Schwingungen nimmt Peverelli ins Bild auf. Eine jede Situation ist für sich besonders und malenswert. Selbst das durchschnittliche Mobiliar erfährt die Aufmerksamkeit der Künstlerin und damit eine Wertschätzung. Auch in der Wahl der Modelle ist Peverelli äusserst achtsam: Die Künstlerin sucht sich ihre Gegenüber. Es sind nicht die Menschen, die auf sie zukommen mit einem Porträtwunsch, sondern es ist die Künstlerin, die entscheidet, wen sie malen möchte. Es können Freunde, Künstlerkollegin, aber auch Zufallsbekanntschaften sein, die sie interessieren, ja, die sie eigens anspricht und bittet, ins Atelier zu kommen und sich aufnehmen zu lassen, oder die sie daheim besucht. Doch die Porträtierten müssen nicht immer reale Personen sein.

Teresa Peverelli fotografiert immer wieder auch vom Bildschirm ab. Sie nimmt Darsteller in Spielfilmen auf oder auch Personen aus Dokumentarserien. Auf der Basis dieser Aufnahmen entstehen die kleinformatigeren Gemälde. Die Malweise ist hier dynamischer, flüchtiger, ganz dem ursprünglichen Medium entsprechend. Dennoch sind auch diese Bilder getragen von der Aufmerksamkeit der Künstlerin. Indem Peverelli diese Menschen auswählt, sie vom Fernsehbildschirm löst und malt, gibt sie ihnen jene Präsenz zurück, die sie auf dem Bildschirm nicht entfalten können. Es ist die Sinnlichkeit des Denkens und Malens, die in allen Bildern wirkt und sich in den Porträts entfaltet.

Ausstellungstext