Fernrohrmegaphon

by Kristin Schmidt

Anastasia Katsidis ist derzeit zu Gast im Atelierhaus des Sitterwerkes. Die Bildhauerin arbeitet an ihren fragilen Aussenraumobjekten.

Kunst im öffentlichen Raum hat viele Aufgaben. Sie soll den Raum auf- oder umwerten, soll funktionalen, intellektuellen und gesellschaftlichen Ansprüchen genügen. Zudem muss sie sich im heterogenen städtischen Umfeld behaupten – oder sie bleibt dekoratives Accessoire, das innert kürzester Zeit nicht mehr wahrgenommen wird. Letzteres will Anastasia Katsidis ihren Arbeiten ersparen. Konsequent entwickelt sie Werke für den Aussenraum. Es sind Objekte, die sich ausserhalb geschützter Bereiche einem Publikum stellen, aber aufgrund ihrer Materialwahl und Machart gerade dort besonders ausgeliefert sind. Sie suchen die Auseinandersetzung und widersetzen sich gleichzeitig dem Ewigkeitsdenken: Nichts muss für immer sein. Auch nicht die Kunst.

Anastasia Katsidis erlaubt es ihren Arbeiten, vergänglich zu sein. Ihre Werkstoffe findet sie in Brockenstuben und Baumärkten. Aktuell sind es Blumentöpfe aus Plastik, Arbeitsböcke, Abflussrohre und einfache Kiefernholzbretter. Im Gastatelier des Sitterwerkes deutet die 1974 in Widnau geborene Künstlerin die Materialien um. Aus den ineinander gesteckten Blumentöpfen wird ein Megaphon. Bretter sind zu einem langgestreckten Polyeder verbaut, das mit Abflussrohrokular zum Fernrohr wird oder als Megaphon verwendet werden kann. In einem weiteren Werk werden die Bretter zu einem Wachhäuschen verschraubt.

Eigentlich sind es sogar zwei symbiotisch verwachsene Wachhäuschen. Aussen sind sie mit den typischen roten Schrägstreifen bemalt. Ihr Inneres ist schwarz. Sie sind gerade gross genug für eine Person, ja sie muten durch ihre Dimension sogar selbst wie eine kantige Figur an. Mit ihrer Streifenzeichnung warnen sie gleich einer Wespe vor allzu viel Nähe. Ihr Innenleben hingegen ist geheimnisvolles Dunkel, das ebenso gut als Projektionsfläche dienen kann. Wenn Katsidis´ Wachhäuschen dereinst im Aussenraum stehen, beziehen sie die Öffentlichkeit ein und fordern auf, Stellung zu nehmen. Aber nur temporär, auf das kein Gewöhnungseffekt eintrete. Denn der ist tödlich für die Kunst. Daher genügt es, dass die Häuschen nur unvollkommen gezimmert sind. Ausserdem möchte die Bildhauerin den üblichen Perfektionismus unterlaufen: Bastelei statt Meisterstück. Darin stecken ein romantischer Grundgedanke und die Sehnsucht nach der Improvisationskraft wie sie die Künstlerin im ägyptischen Alltag erlebt. Neben Zürich lebt sie in Kairo. Ideenreiche Lösungen und Transformationen von Vorgefundenem sind dort Alltagsgut.

Im Sitterwerk geniesst Katsidis die Arbeitsatmosphäre und den Platz. Während sie in ihrem eigenen Atelier mit Konzepten und Modellen arbeiten muss, kann sie die Werke hier direkt in Originalgrösse erstellen. Dies ist kein geradliniger Prozess. Die Bildhauerin probiert aus, verändert, fügt hinzu, entwirft neu. So hat sie beispielsweise ein Kartenhaus aus roh behandelten Holzplatten konstruiert. Es hat bereits mehrfach seine Gestalt verändert und auch jetzt lässt sich noch nicht auf die endgültige Form schliessen. Das Kartenhaus ist Symbol für Katsidis Arbeitsweise. Es deutet Vorhandenes um, ist instabil und doch durchdacht.