Adieu in der Lokremise

by Kristin Schmidt

Mit einem Abend aus neun Stücken verabschieden sich das Contemporary Dance Study Program und die 3 x 1 Tanzkompanie in der Lokremise.

Es ist ein Abschied ohne Tränen, aber nicht ohne Gefühle. Ein Abschied, der gefeiert wird, und der dennoch den Verlust offenbart, den er bedeutet. Nach 21 Jahren Arbeit verabschieden sich das Contemporary Dance Study Program und die 3 x 1 Tanzkompanie mit dem eigens entwickelten Projekt „Abschied“ in der Lokremise. Statt eines metaphernschweren Stückes werden mit viel Schwung neun kurze Choreographien getanzt. Das Abschiedsthema wird dabei mal deutlicher, mal vage berührt und dient letztlich nur als thematische Klammer, um einmal mehr den Tanz selbst in den Mittelpunkt zu stellen.

Als formale Klammer des Abends wirken die Tänzerinnen selbst mit ihrer Präsenz auch zwischen den Stücken. Die Bühne ist nach allen Seiten hin offen, der vorhandene Raum in der Lokremise wird vollständig genutzt und so erlebt das Publikum die kurzen, bühnenseitigen Absprachen der fünf Tänzerinnen, ihre unbeschwerten Standort- und Kostümwechsel mit. Nicht immer wirkt die Unbeschwertheit ganz echt, mitunter werden die Grenzen zwischen Inszenierung und Zwischenspiel bewusst verwischt. Doch stets überrascht, wie Marula Eugster, Karin Hollenstein, Selina Minder, Sue Zolliger und Fabienne Zubler nach dem lockeren Nebeneinander am Bühnenrand wieder mühelos zur Konzentration übergehen, wie sie ein perfekt durchgearbeiteten Tanz präsentieren.

Der „Abschied“ beginnt mit einer Begrüssung. Zu Frank Sinatras „Hello“ fliessen Elemente des klassischen Revuetanzes in eine leichtfüssige Choreographie rund um eine Malerleiter ein. Sodann verwandeln sich die Tänzerinnen in Vamps, die den Abschied aus der Gruppe testen um sich in der Zweisamkeit wiederzufinden. Mit Paarkonstellationen in brombeerfarbenen Tüllkleidern geht es weiter. Aktive und passive Haltungen ergeben spannungsvolle Duette. Wie in sämtlichen Stücken geht es auch hier nicht so sehr darum, Bilder zu entwickeln oder Geschichten zu erzählen, sondern dem Tanz Leben einzuhauchen. Zitate des klassischen Tanzes kontrastieren mit akrobatischen Sprüngen, kraftvolle Dynamik findet ihren Widerpart im sanften Berühren,  feminine Haltungen gipfeln in fliessenden, raumgreifenden Bewegungen. Letzteres wird im „Solo“ von Fabienne Zubler zelebriert, bei ihr ist bis zum Innehalten jede Geste eine Augenweide.

Die fünf Tanzstudentinnen legen ihr ganzes Wesen, ihr ganzes Gefühl in den Tanz und schaffen es gleichzeitig, nicht nur als Individuum zu agieren, sondern im Miteinander mal zarte Beziehungsgespinste, mal eruptive Spannungen darzustellen. In luftigen Kleidern verleihen sie in „Chairs“ selbst dem allerletzten Abschied eine Spur Leichtigkeit. Das energiegeladene „Memoirs“ hingegen spart auch aggressive Gesten nicht aus. Die flüchtigen Erinnerungen werden von bildhaften Andeutungen getragen mit Präzision bis in die Fingerspitzen.

Eine der Choreographien wurde Eugster und Hollenstein selbst entwickelt, die Tänzerinnen agieren dabei als gegenseitige Impulsgeber, sie nähern sich einander an, verstossen sich und kommen wieder zueinander. Neben den Tempowechseln überzeugen auch der sorgfältig austarierten Bewegungsvolumen. Im vorletzten Stück wird es dann noch überraschend klamaukig. Zu Bellinis Norma, gesunden von Maria Callas, wird das Pathos der Diva hinterfragt. Ein grosses grünes Tuch verwandelt sich und die Tänzerinnen, es wird zum Kleid, zum Schleier, zum Leichentuch.

Schliesslich sind die Taschen gepackt, nach den vielen kleinen Abschieden naht das letzte Adieu. Für die hervorragend ausgebildeten Tänzerinnen jedoch wird es weitergehen, es wäre schön, sie auch einmal wieder auf hiesigen Bühnen zu sehen.

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Rut Ackermann gründete 1991 die 3 x 1 Tanzkompanie als Sprungbrett für junge TänzerInnen und ChoreografInnen. Gleichzeitig startete die 3-jährige Vollzeitausbildung Contemporary Dance Study Program als Tanzstudium für zeitgenössischen Bühnentanz. Nach 21 Jahren beendet Ackermann nun dieses Programm vor dem Hintergrund einer fortschreitenden Akademisierung der Ausbildung und den konkreten Plänen von Schweizer Hochschulen auch hierzulande einen Bachelor in zeitgenössischem Tanz zu etablieren. Ruth Ackermann wird auch in Zukunft ganz für das Rorschacher Danceloft aktiv bleiben.