«Die Welt ist so voller Bilder . . .»

by Kristin Schmidt

Die Ausstellung  «The Story of W. Tassilo» in der Galerie Paul Hafner zeigt eine umfangreiche Fotoinstallation von Ulrich Langenbach. Der Künstler begibt sich in 576 Einzelbildern auf die Spur eines fiktiven Helden.

Wer ist W. Tassilo? Ein Walter oder eine Walburga? Europäischer oder amerikanischer Herkunft? Lebt er oder sie zurückgezogen oder haben wir es eher mit einem extrovertierten Typ zu tun? Fast alles, was man möglicherweise schon immer über W. Tassilo wissen wollte, erfahrt der Besucher in der Präsentation in der Galerie Paul Hafner. Der Ausstellungstitel verspricht «The Story of W. Tassilo» und erzählt wird sie von Ulrich Langenbach aus Siegen in Deutschland.

In einem Panoptikum aus 576 Einzelbildern lässt er uns teilhaben am Leben eines bestimmten Individuums. Sehr schnell stellt sich die Gewissheit ein, dass es sich um eine Person männlichen Geschlechts handeln muss, denn zahlreich sind die auf erotische Verstrickungen mit üppigen Gespielinnen hindeutenden Bilder. Wir lernen Bärbel Kleinmann kennen oder Vera in ihrer Nürnberger Wohnung oder die Dame namens Schneider, die verblüffende Ähnlichkeit mit Marilyn Monroe aufweist. Oder war es doch Blondie?

Einerseits ist es dieses Oszillieren zwischen Bekanntem und Unbekanntem, das den Betrachter stutzen lässt. Andererseits ist es das unwillkürliche Scheitern bei dem Versuch, die A4-formatigen Blätter historisch einzuordnen oder auch nur eine Chronologie innerhalb ihrer Hängung zu finden. Es gibt keinen Anfang und kein Ende und keinen Erzählstrang. Manche Motive scheinen nicht älter als einige Jahre zu sein, andere muten wie Überbleibsel aus den Fünfzigern an. Doch über all die Heterogenität legt sich der gelbliche Ton des Papiers wie ein alles in lang vergangene Jahrzehnte zurückweisender Schleier. Die Reduktion auf Schwarzweisstöne verstärkt diesen Eindruck noch. Und dennoch ist hier nichts das, was es zu sein scheint. Weder handelt es sich um alte fotografische Abzüge noch um das Fotoreservoir eines tatsächlich existierenden Protagonisten.Ulrich Langenbach schöpft seine Bildauswahl aus einem über viele Jahre zusammengetragenen Fundus von knapp 40 000 Motiven aus Zeitungen, dem Internet, privaten Fotoalben und solchen von Freunden oder Bekannten. Daraus ergibt sich ein schier unerschöpfliches Spektrum an Vorlagen für die weitere Bearbeitung.

Jedes Bild wird vom Künstler am Rechner verändert und anschliessend noch von Hand ergänzt. Da finden sich Markierungen wie etwa die rot übermalten Lippen einer Frau oder zahlreiche handschriftliche Anmerkungen, die der Bildserie etwas sehr Persönliches verleihen. So lassen sich in der Installation mehrere Ebenen von Autorschaft erkennen. Zum einen sind da die dem Betrachter unbekannt bleibenden tatsächlichen Fotografen. Zweitens ist da Langenbach, der überarbeitet und auswählt, denn wie heisst es im Titel zu einem anderen ausgestellten Werk: «Die Welt ist so voller Bilder, dass jemand anderes sicher ein anderes Bild ausgewählt hätte.» Drittens wird als Autor der fiktive Tassilo vorgestellt. Und dann ist da noch der in eine Voyeursituation gedrängte Betrachter, der zwangsläufig versucht, eine Geschichte aus der Ansammlung von Motiven herauszulesen oder zu konstruieren. Ulrich Langenbachs vielschichtige Fotoinstallation war erst kürzlich anlässlich des Projektes «Walter Benjamin und die Kunst der Gegenwart: Schrift – Bilder – Denken» in Berlin zu sehen. Im Zentrum standen dort Benjamins Überlegungen zu Legendenbildung und Aura, Erinnerung und Reproduzierbarkeit – Fragen, die auch Langenbach stellt. Er trägt sie mit gewisser Beiläufigkeit vor, scheut sich auch vor alltäglichen oder trivialen Anspielungen nicht, erreicht aber in der Summe seiner motivischen Auseinandersetzung ein hohes Mass an Reflexionsmöglichkeiten.