Zeit der Zeichen

by Kristin Schmidt

Die Macelleria d’arte zeigt bis Ende Jahr aktuelle Arbeiten von François Bonjour. Der Tessiner Künstler arbeitet an einer komplexen Zeichensprache.

Die Menge der weltweit verfügbaren Informationen nimmt zu, vieles muss von vielen und überall verstanden werden. Das bedingt leicht lesbare und universell einsetzbare Zeichensysteme. Sie erst ermöglichen die globale Kommunikation. Dennoch gibt es immer auch jene andere Zeichensprache, die geheimnisvoll und rätselhaft ist, die sich kaum oder gar nicht lesen lässt. Und gerade darin liegt ihr Reiz. Sie entzieht sich der schnellen Deutung und weckt besonders deswegen das Interesse.

Die Werke François Bonjours spielen mit dieser Ambivalenz. Die Arbeiten des Tessiner Künstlers sind derzeit in der Macelleria d’arte ausgestellt. Dicht an dicht hängen die Tafeln und verbergen mehr, als sie preisgeben – und das, obwohl sie mal dicht, mal weniger dicht mit Schriftzeichen bedeckt sind. Hie und da lässt sich ein Wort in italienischer Sprache entziffern, doch nur um den Betrachter dann wieder tief in den Dschungel der Lineaturen zu führen. Dort mischen sich Anklänge an Keilschrift, Hieroglyphen, an fernöstliche Schriften, an arabische, hebräische und schliesslich auch an die vertrauten lateinischen Lettern. Die Fülle an Formen und Elementen mündet aber nicht in eine Fülle von Informationen, sondern lässt im Gegenteil alles offen, alles ungesagt.

«Messaggi e scritture dall’infinito» nennt der Künstler seine Ausstellung und benennt damit Botschaften, die ebenso gut aus einer weit entfernten Zeit stammen könnten, wie sie auch das Ewige, also unaufhörliches Weiterschreiben und Sammeln des Wissens in der Gegenwart meinen. Es ist ein unendlicher Prozess, der hier in Bilder übertragen wird, ein Prozess, der einerseits in ein Sinnbild für die Unübersichtlichkeit der heute verfügbaren Informationsmenge mündet und andererseits dennoch strukturiert erscheint. Denn trotz der Menge an Zeichen, die Bonjour über- und nebeneinander festhält, bilden sich Strukturen.

Die Werke sind deutlich sichtbar komponiert. Die Schrift bildet Raster und sichtbar voneinander getrennte Ebenen, sie fliesst und überlagert sich. Letzteres erreicht Bonjour nicht allein durch das mehrfache Überschreiben seiner Zeichen, sondern auch den komplexen materiellen Aufbau seiner Werke. Holz, Karton, Glas werden mit verschieden deckenden Farbschichten bemalt. Mal wird in Form von Fensterrahmen der Blick auf die Zeichen freigegeben, mal sind sie Buchseiten nachempfunden und stellen so offensichtlich den Bezug zu einem Medium der Wissensüberlieferung her.

Und so ist es vielleicht kein Zufall, dass Galerist Francesco Bonanno im Zusammenhang zu gerade dieser Ausstellung die erste Monographie realisiert hat. Entstanden ist ein sorgfältig gemachter Band mit zahlreichen Abbildungen und zwei Texten. Das Buchprojekt war schon länger geplant. Schliesslich ist François Bonjour nicht nur einer jener Künstler, die beim ersten von der Macelleria organisierten Austausch «Interscambio» zwischen Lugano und St. Gallen mit dabei waren. Er wird auch mit Werken vertreten sein, wenn der Kulturaustausch nun in seine fünfte Runde geht. Zehn Kunstschaffende der St. Galler Galerie werden diesen Monat in Vittoria auf Sizilien ausstellen.