Wird Warhol gar Picasso übertreffen?

by Kristin Schmidt

Soeben ist der erste von sechs Bänden des Warhol-Werkkatalogs erschienen. Georg Frei plauderte aus der Herausgeberküche.

Sieben Pfund wiegt das Prachtexemplar, doch schwanger gegangen mit ihm war man weit mehr als neun Monate. Bereits seit einem Vierteljahrhundert wird am Warhol-Gesamtverzeichnis gearbeitet, seit 1988 ist der Zürcher Warhol-Experte Georg Frei mit dem Projekt betraut. 546 Nummern zählt der Werkkatalog des ersten, die Jahre 1961-63 umfassenden Bandes. Der zweite Band (64-68) wird bereits 1500 Nummern enthalten.

Das fünfzehnköpfige Forscherteam hat wahre Kettenreaktionen ausgelöst bei der Suche nach Werken des Pop-Künstlers. Frei berichtete am Mittwoch im Kunstmuseum von einem Sammler, der ein prominentes Werk nur ungern zeigen wollte, aber nach einem angeregten Gespräch noch ein anderes Werk aus seinem Lager holte, das verschollen galt. Ohne derartige Erfolgserlebnisse wäre eine solche Arbeit um einiges schwerer durchzustehen. Frei weiss viele Anekdoten zu berichten. Aber der eigentlich spannende Teil seiner Arbeit ist ein anderer: So konnte mit Vorurteilen aufgeräumt werden, an deren Entstehen Warhol nicht ganz unbeteiligt war. Der als schüchtern geltende Sohn tschechischer Einwanderer hatte von sich selbst behauptet, eine Maschine sein zu wollen und die überwiegende Mehrheit seiner Bilder per Siebdruck gefertigt, ein Verfahren, das es per Schablone mühelos ermöglicht, Motive eins zu eins zu übernehmen und massenhaft zu vervielfältigen.

Recherchen ergaben nun, dass er davon nur begrenzt Gebrauch machte. Da der Künstler, dem es nicht einmal gelang, Taxiquittungen wegzuwerfen, alle Zeugnisse seines Alltags in «Zeitkapseln» aufbewahrte, sehen sich die Kunsthistoriker auf der Suche nach Warhol-Vorlagen wahren Schatzkisten gegenüber. Hier finden sich selbst gebastelte Schablonen, eigens gestellte Fotos der Campbell’s-Suppendosen oder penibel aufgelistete Motivvarianten, die man eher einem Buchhalter als einem Künstlerstar zuordnen würde. Und doch war Warhol stets bemüht, als Letzteres zu erscheinen. Sein enigmatisches Auftreten, seine Eigenarten und seine Vorliebe für populäre Sujets sprechen von seiner Sehnsucht, einer der ganz Grossen zu sein. Aber das wichtigste Kriterium schien ihm eine hohe Produktivität. Georg Frei berichtet, dass Warhol bei Begegnungen mit Paloma Picasso immer nur an der Effizienz ihres Vaters interessiert war. Picassos Gesamtkatalog listet beachtliche 20 000 Arbeiten auf. Ob Warhol den Wettkampf gewonnen hat, wird man erst beim sechsten Band des opus magnissimum erfahren. Bis dahin gehen noch Jahre ins Land, aber als Trost warten derzeit einige «Warhols» im Kunstmuseum St. Gallen auf Betrachter.