Spielpaare – Porträts

by Kristin Schmidt

BigZis – die Rapperin

Sprache hat ein dichtes Regelwerk. Sprache eignet sich zum Spielen. Grammatik und Phonetik können ad absurdum geführt, ignoriert oder repetitiv angewendet werden. Werden Freiheit und Regeln neu und spielerisch ausbalanciert, kann Sprache eine neue Qualität entfalten – so wie in den Songs von BigZis. Die Rapperin mit ausserrhodischen Wurzeln hat keine Kurse besucht und keine Bücher gelesen, sie hat vor dreissig Jahren einfach angefangen zu texten und kann sich auf ihre Erfahrung verlassen: «Ich arbeite mit meiner Sprache. Sie ist wie Musik, wie ein Instrument. Sprache und Klang müssen eins werden, das ist das Allerwichtigste.» Virtuos mischt sie Mundart und Fremdwörter bis Rhythmus und Ton stimmen. Aber auch der Inhalt kommt bei BigZis nicht zu kurz. Sie dreht die sexistische Attitüde des Rap radikal um und transportiert ihre eigene Sicht auf Rollen- und Geschlechterklischees – drastisch und unverblümt: «Ich bringe mit meinen Songs meine pointierte Meinung an die Öffentlichkeit.» Das ist auch deshalb so wirkungsvoll, weil BigZis als Künstlerin von sich selbst ausgeht: «Ich stecke immer drin. Ich trenne Kunst und Leben nicht.» Offensichtlich wird dies auch auf der Bühne: «Als ich meine drei Kinder bekam, hatte ich keine Zeit mehr für Proben. Also haben wir nur noch improvisierte Konzerte gespielt. Das hat meine Idee von Musik ebenso beeinflusst wie mein Schreiben. Es hat mich gelassener und selbstbewusster gemacht. Wenn es funktioniert, weil alles zusammenpasst, weil es einen gemeinsamen Bogen gibt, auf den wir uns verlassen können, und zugleich die Freiheit da ist, alles anders zu machen, dann ist alles ein Riesenspass, ein Spiel.»

Michel Kaufmann – der E-Sportler

Sport oder Spiel? Schliesst das einander aus? Nicht bei den olympischen Spielen. Beim Ballspielen auch nicht, ebenso wenig beim E-Sport. E-Sport ist jedoch jünger als Olympiaden oder Ballspiele, viel jünger. Und doch hat er inzwischen weltweite Präsenz. Die Basis des E-Sports sind Computerspiele. Aber an welchem Punkt wird aus dem Computerspiel ein Sport? Michel Kaufmann kennt die Kriterien und die Szene: «Wenn live Spieler gegen Spieler oder Teams gegen Teams antreten und es competitiv wird, dann ist es E-Sport.» Die Spieler – Männer dominieren hier eindeutig das Geschehen – nehmen an Turnieren teil, kämpfen um die Preisgelder und investieren viel Zeit in das Training: «Mindestens vier Stunden trainieren wir am Tag. Ein Spiel zieht sich oft über Jahre hin und wer seit zehn Jahren dasselbe Spiel spielt, wechselt nicht einfach zu einem anderen Titel.» Kaufmann vergleicht dies mit einem Fussballer, der auch nicht plötzlich Leichtathlet wird. Und wie beim Leistungssport geht es nicht mehr primär darum, Spass zu haben, sondern zu gewinnen: «Ein Spieler muss zu 100% fokussiert sein. Es gibt Ranglisten, auf denen man sich konzentriert hocharbeitet.» Kaufmann hat in Wald die E-Sport-Organisation Let´s Carry This gegründet. Ziel ist es, gute Spieler dem Team anzuschliessen und mit einem guten Team Sponsoren anzusprechen, welche die Reisen, Trikots oder die Turnierteilnahme finanziell unterstützen. Ein bis zwei Mal pro Monat nehmen Michel Kaufmann und seine Teamkollegen an einem Turnier teil. Derzeit noch von zu Hause aus. Aber in der oberen Liga locken dann Wettkämpfe vor Ort: «Das Publikum, die Atmosphäre, das Ambiente – das ist für Spieler sehr motivierend und viel emotionaler als alleine am Computer zu sitzen.»

Claudia Römmel und Moritz Wittensöldner – die Spieleerfinder

«Selber die Regeln zu bestimmen, ist Luxus.» Claudia Roemmel und Moritz Wittensöldner entwickeln Spiele: «Wir erfinden aus dem Nichts heraus Regeln und schauen, was passiert.» Getrieben sind die beiden von der Neugier, etwas zu gestalten, das Regeln hat und Freiheit bietet. Mit ihrem Spieleverlag Arte Ludens, ansässig in Trogen, haben sie bereits neun Spiele entworfen: «Wir sprechen kein Massenpublikum an, sondern Leute, die gern hirnen.» Erstaunt sind sie manchmal, wie gern die Menschen ein vorgegebenes Regelwerk haben: «Für viele ist die Anleitung wichtig, also fixieren wir die Regeln.» Nichtsdestotrotz sind ihre Spiele durchlässig: «Wir bekommen zwar regelmässig Rückfragen, ob unsere Spiele richtig gespielt werden. Aber die Regeln dürfen selbstverständlich ausgelegt oder neu verhandelt werden. Wichtig ist, dass alle einverstanden sind.» Das schliesst den Wettbewerb nicht aus: «Auch bei unseren Spielen geht es ums Gewinnen. Aber wir erfinden Mechanismen, damit diejenigen, die gut sind, auch mal ausgebremst werden, und die weniger Guten wieder aufholen können. Alles hat auch einen sozialen Aspekt.» – und einen Freude-Faktor: «Spiele für vier Personen kann man beispielsweise auch zu zehnt ausprobieren. Das gibt eine ganz neue Dynamik.» Manchmal gibt es in der Entwicklungsphase auch Haken, wenn etwa ein Spiel kein Ende findet. Dann wird getüftelt, bis es passt: «Unser längstes Spiel dauert eine Dreiviertelstunde, die meisten zwanzig bis dreissig Minuten.» Allen gemeinsam ist die Grösse der Schachtel und das Material: «Die Spielsteine sind stets aus Holz und nie in den klassischen Spielefarben rot, grün, gelb und blau.» Da stimmen Haptik und Ästhetik – auch so kommt Spielspass auf.

«Obacht Kultur», Ausgabe SPIEL, N° 40, 2021/2