Leinen los: Das Gewürm dräut

by Kristin Schmidt

Fridolin Schoch, Künstler und Musiker mit ausserrhoder Wurzeln, gestaltet mit «Loopheaven» den Auftritt im Obacht 2/2019

Von Tenedos her winden sich zwei Schlangen durchs Meer und erklimmen das Ufer. Auf wen haben sie es abgesehen? Mit sicherem Schwung greifen die Tiere Laokoon an; zuerst aber ringeln sie sich um die schmächtigen Leiber seiner beiden Söhne. Vergil beschreibt in seiner Aeneis das verzweifelte Ringen, den Schrei des Vaters. Abgebildet ist der schreckliche Todeskampf in einer der meistgerühmten antiken Statuen, der Laokoon-Gruppe. Sie wurde bereits in antiken Schriften gelobt, aber seit der Wiederentdeckung 1506 geradezu gefeiert, von der Wissenschaft wieder und wieder untersucht, interpretiert und gewürdigt. Die Ausdruckskraft der drei Figuren ist für das Interesse ebenso ausschlaggebend wie ihr Ebenmass und das Verhältnis von Ruhe und Dynamik.

Letzteres funktioniert auch ohne Laokoon und seine Söhne: Sind langestreckte Körper mit rundem Querschnitt stark ineinander verschlungen, scheinen sie unentwirrbar zu sein. Die Dynamik der gewundenen, verknoteten Formen ist für einen Moment gebannt. Sie verharrt, bis sie sich wieder selbst entfesselt oder entfesselt wird. Diese Anmutung besitzen auch die Arbeiten von Fridolin Schoch. Der Künstler beschäftigt sich in seinen dreidimensionalen Werken mit der räumlichen und narrativen Wirkung von Knoten, Schlingen und Schlaufen. So scheint etwa das Ende eines Lüftungsschlauches aus der Wand zu wachsen, sich zu einem überdimensionalen Knoten zu verschlingen und anschliessend in den Boden abzutauchen. Oder ist die Reihenfolge genau anders herum? Wo ist der Anfang, wo ist das Ende? Wie kam der Knoten zustande?

Fridolin Schoch entwickelt komplexe räumliche Gebilde. Die Modelle dafür formt er aus Kletterseilen, jenen vielfarbigen Sportutensilien, die zur Absturzsicherung dienen. Mit «Werktitel» stellt er diese Gebrauchsartikel nun erstmals im Vordergrund. Er wickelt sie auf und zusammen, verdreht oder verknotet sie fachmännisch und fotografiert sie schliesslich. Die Fotografie scannt er ein und bearbeitet sie weiter. Die echten Seilenden sind nun nicht mehr zu identifizieren, stattdessen verschwinden sie in der Raumtiefe. Denn obwohl zweidimensional abgebildet, bleibt in der Arbeit der räumliche Eindruck erhalten. Dazu tragen einerseits die starken Schattierungen bei, die Hell-Dunkel-Kontraste, die Wiedergabe der plastischen Seilstrukturen und der kleinen Partikel, die sich in den Seilen festgesetzt haben. Das Auge kann sich den Schlaufen und Schlingen verlieren, die Finger ihnen entlangfahren oder die Binnenform ertasten. Fridolin Schoch ermöglicht hier, was sonst nicht funktioniert: Wo sonst die Knoten dominieren, ist hier nun auch ihr Zwischenraum ein Erlebnis.

Obacht No. 34 | 2019/2