Kisten für Kunst im Dorf

by Kristin Schmidt

Das Pfingstwochende brachte in Appenzell den «Kleinen Frühling» zum Blühen. Im Dorf verteilt lockten vier Kunstpavillons zu einem Spaziergang.

Was ändern? Der zeitgenössischen Kunst im Dorf Appenzell mehr Präsenz verleihen? Wie gelingt eine Präsenz, um die niemand drum herum kommt, für die keine Umwege nötig sind und keine Ausreden möglich? Der beste Platz dafür ist da, wo in Appenzell die meisten Menschen sind, mitten im Dorf nämlich. Aber genau dort ist es eng. Doch Agathe Nisple, seit Jahrzehnten engagierte Vermittlerin für die zeitgenössische Kunst, hat auf knappem Platz vier Kunsträume ins Leben gerufen. Jeder nur wenige Quadratmeter gross, aber dennoch so dimensioniert, dass darin ein künstlerisches Werk gezeigt werden konnte.

Kunstguckkasten

Wie Guckkästen, Schaubühnen oder Schachteln kamen die vier grossen Holzkisten daher. Sie waren als Stecksystem konzipiert, mit möglichst wenig Verschnitt der Spezialplatten, und werden heute bereits wieder abgebaut und anschliessend als Baumaterial weiter verwendet – ein kurzer Auftritt, aber ein intensiver.

Wer beispielsweise vom Brauereiplatz kommend zum Ortszentrum schlenderte, begegnete der ersten Kiste am Adlerplatz. Hier, wo Roman Signer als Kind lebte und in der nahen Sitter spielte, hatte der Künstler den Holzkubus in ein «Spiel- und Lesezimmer» verwandelt. Er schlug darin einen Bogen von seinen eigenen Arbeiten über die Weltchronik und wieder zurück. Altnordische Dichtung und Prosa bot sich ebenso zur Lektüre an wie der jüngste Band des umfangreichen Werkkataloges. Daneben feierte eine frühe Vulkanarbeit ihre Auferstehung und funktionierte als formales Pendant zur Signers nur fünf Meter entfernten «Drehscheibe Adlerplatz».

Ein paar Dutzend Schritte weiter brachte auch Ursula Palla die Bücher ins Spiel. In ihrer Videoinstallation «Blume und Buch» glitten fallende Bücher über die Wand und verloren dabei ihre Texte und Geschichten. Flüsternd breiteten sie sich im Raum aus und schufen die perfekte inhaltliche Klammer für das Buch-Kunst-Fest.

Veränderung mit Kartoffeln

Etwas versteckt erwartete Markus Müllers Holzkiste ihre Gäste. Der Künstler lud mit den selbst gebauten Sesseln mit Schaumstoffkissen zum Rollentausch ein. Er hatte die Kiste in ein Schauwohnzimmer verwandelt, wie es in grossen Möbelhäusern auf Kundschaft wartet. Während sich dort immer öfter Teenager zu entspannten Treffen verabreden, durfte sich hier das Kunstpublikum betrachten lassen und wie nebenbei über die veränderten Materialqualitäten im Möbelbau sinnieren: Die billigen Spanplatten waren mit aufwendiger Holzimitatmalerei verziert, ein Handwerk, das längst dem Laminat weichen musste, aber ähnliche Oberflächeneffekte hervorbringt.

Der vierte Kunstpavillon schliesslich kündigte sich bereits akustisch an. Muda Mathis und Sus Zwick präsentierten darin ein Versteckspiel mit einem Schopf und riefen zum eigens produzierten «Aufbruch mit Kartoffeln» auf. Wie so oft mit ihren Arbeiten brachte das Künstlerduo das Denken in Schwung. Es fing ganz harmlos an: «Stellen Sie sich vor, Sie sind mit einem Fahrrad unterwegs auf einer grossen Strasse.». Aber «plötzlich haben Sie den angenehmen Wunsch, Ihr Leben zu verändern.» Das ganze gipfelte in einer neu gegründeten Religion, die selbst vor den Haustieren nicht Halt macht. Doch so weit muss es gar nicht gehen. Ideologiefrei und niederschwellig unterbrechen die Kunstpavillons die Routine im Dorf. Sie lassen innehalten und provozieren Perspektivwechsel, also: Veränderung. Ein Impuls, der hoffentlich lange anhält, denn erst in zwei Jahren wird es den nächsten «Kleinen Frühling» geben.