„Wir erben – wir Erben“

by Kristin Schmidt

Anita Zimmermanns künstlerischer Beitrag zur Kulturlandsgemeinde 2015

Leben bedeutet erben – in materieller Hinsicht ebenso wie geistig, kulturell und gesellschaftlich. Das Vorherige bricht mitunter kraftvoll in die Gegenwart, mitunter ist es nur noch in der Erinnerung einiger weniger Menschen verankert. Kann man dieses vielgestaltige Erbe in Bilder fassen? Anita Zimmermann lässt alle Motive zu. Die Künstlerin entwickelt ihre Zeichnungen gleich einem Strom von Bildern. Sujets ergänzen einander oder beginnen neue Assoziationsketten. Sie verzweigen sich und legen wieder neue Blickfährten. Die Vielfalt der Bilder und daraus erwachsenden Erzählstränge gleichen der Appenzeller Landschaft wie sie Anita Zimmermann beschreibt: «Unterwegs im Appenzeller Land gibt es alle vier Minuten einen Szenenwechsel».

Zeichnen ist bei Anita Zimmermann Konzentration auf das Wesentliche, auf die charakteristische Gestalt und Binnenzeichnung. Die Reduktion ist in den kreisrunden Gesichtern auf den Höhepunkt getrieben: Sie erinnern an die im elektronischen Nachrichtenverkehr verwendeten Emoticons und wirken doch ganz anders mit ihren Unregelmässigkeiten und Tropfspuren. Sie schauen verzagt oder fröhlich, resigniert oder mutig. Sie fallen oder steigen, schweben in der Fläche. Einzig der grosse Affe gibt ihnen Halt. Er hat sich eines auserwählt und greift vorsichtig nach dem Zweiten. Ist er fürsorglich oder forsch? Anita Zimmermann gibt keine Deutungen vor. Die Gesichter sind universale Zeichen für die Menschen: Auch wenn sie noch so verschieden sind, sind sie Früchte ein- und desselben Stammbaumes. Auch wenn sie einander noch so ähnlich sind, haben sie doch alle etwas Anderes geerbt. Es kann sich in äusserlichen Merkmalen manifestieren oder im Verhalten.

Seit einigen Jahren arbeitet Anita Zimmermann mit der Airbrush-Pistole auf grossen Formate und entwickelt die Bilder linear aus der Bewegung heraus. Als Bildträger verwendet sie Ausschusspapiere von Druckhintergründen der Textilfirma Jakob Schläpfer AG. Schwach sind die Stoffmuster noch sichtbar. Sie sind Überbleibsel des Vorherigen und Basis für das Neue. So wie die vorhandenen Muster und Farben das Bild durchdringen, so sind die ererbten Merkmale, Traditionen und Werte der Bodensatz auf dem das Individuum agiert.

Kurztext für Obacht Kultur, Sonderausgabe Kulturlandsgemeinde 2015