Die Zerstörung der Zerstörung

by Kristin Schmidt

Das Kunstmuseum Liechtenstein zeigt die Gruppenausstellung „Moderne als Ruine. Eine Archäologie der Gegenwart“

Ein Mann bricht aus – raus aus der täglichen Routine, den herkömmlichen Beziehungsgeflechten. Er vermauert seine Wohnungstür und schlägt ein Loch in die Wand des Mietshauses. In dieser Höhle haust er abseits aller geltenden zivilisatorischen Regeln. «Themroc» mit Michel Piccoli in der Hauptrolle spielt die Idee des Aussteigers in einem gewagten Szenario durch. Statt der Flucht in exotische Ferne, auf einsame Inseln oder in halluzinatorische Geisteswelten bleibt der Protagonist in seiner bisherigen Lebenswelt und wirft dort alle Zwänge ab.

Es ist kein Zufall, dass die Zerstörung des Mietshauses das deutlichste, das sichtbarste Zeichen für diese Absage an die tradierten und allgemein etablierten Lebensformen ist. Mit dem Mietshaus verbinden sich unzählige Geschichten, Zwänge, Klischees, aber auch Hoffnungen, Utopien. Immer wieder traten Architekten an, um es zu revolutionieren, menschlicher oder besonders bewohnenswert zu machen. Nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Zersiedlung der ländlichen Gebiete oder der Übervölkerung der Städte ist das Mietshaus wieder im Fokus. Doch was ist geworden aus den Utopien eines LeCorbusier oder Mies van der Rohe? Was aus den Planstädten und Plattensiedlungen? In welchen Umständen lebt die Mehrzahl der Menschen weltweit?

Mit diesen Fragen setzen sich nicht nur Stadtplaner und Architekten auseinander. Seit einigen Jahrzehnten sind sie immer wieder auch und besonders für Künstler von grossem Interesse. Einer von ihnen war der Amerikaner Gordon Matta-Clark. Er verstarb 1978 mit nur 35 Jahren und hatte bereits Werke von grosser Ausdruckskraft und nachhaltiger Wirkung entwickelt. So zerschnitt er etwa mit der Motorsäge Fassaden, Decken und Böden von bestehenden Gebäuden und schuf damit angewandte Architekturkritik: Seine Arbeiten treten für eine Anarchitecture ein, ein anarchistisches Unterwandern des architektonischen Kanons, wie auch für das Non-Ument, das dem Prozesshaften den Vorzug gibt gegenüber dem Bestehenden. Matta-Clark reflektiert das Temporäre von Architektur. Ein Beispiel dafür ist «Conical Intersect»: In ein zum Abriss vorgesehenes Haus neben dem im Bau befindlichen Centre Pompidou schnitt Matta-Clark ein Loch, durch das man nicht nur hindurch sehen konnte, sondern das auch das Innere des Hauses, seine Geschichte und Struktur öffentlich machte. Die Zerstörung als kreativer Akt geht der eigentlichen Zerstörung voraus, die in diesem Fall durchaus nicht unumstritten war, mussten doch für das Pariser Kulturzentrum Teile des alten Marais-Viertels weichen.

Jedes Bauen verändert die räumlichen Zusammenhänge und kann damit sowohl bereichernd als auch zerstörerisch wirken, letztgenanntes wirkt sich dabei nicht nur auf die Gebäude oder die städtischen Strukturen selbst aus, sondern hat mitunter weitreichende gesellschaftliche Konsequenzen. Künstlern, die ihr Augenmerk darauf lenken, ist die Ausstellung «Die Moderne als Ruine. Eine Archäologie der Gegenwart» gewidmet, die nach der Generali Foundation in Wien nun im Kunstmuseum Liechtenstein zu sehen ist.

Gordon Matta-Clark ist mit sechs wichtigen filmischen Arbeiten in der Ausstellung präsent. Er gehört mit Robert Smithson, Iza Genzken, Dan Graham und Yona Friedmann zu den bereits als klassisch zu bezeichnenden Positionen. Smithson ist unter anderem mit seiner wunderbaren Arbeit «Hotel Palenque» vertreten, einem Diavortrag, der ein im Bau befindliches, aber doch schon wieder verfallenes Hotel in Mexiko auf ebenso eingehende wie amüsante Weise untersucht. Von Yona Friedmann sind drei seiner fragilen Stadtmodelle aus Abfallmaterialien zu sehen. Friedmann stellt die Frage nach dem Vorhandensein und Verfügbarkeit der Ressourcen. Er thematisiert unsere illusionistischen Ansichten über deren Verteilung und die unzulängliche globale Kommunikation darüber. Ein Aspekt dieser Verteilung zeigt sich in der Arbeit «Bantar Gebang» von Jeroen de Rijke und Willem de Rooij. Zehn Minuten lang wird der Betrachter Zeuge des Sonnenaufgangs über einem Slum auf einer indischen Müllhalde. Selbst wenn man diesem Film mit seiner subtilen Farbigkeit und seinem wohltuenden Verweilen bei einer Kameraeinstellung eine ästhetische Komponente abgewinnen kann, ist die Szenerie bedrückend. Etwaige Diskussionen um die ideale Wohnform für den zeitgenössischen Stadtbewohner, oder gar um Flach- oder Spitzdächer erscheinen müssig, solange nicht einmal die elementarsten Bedürfnisse des Menschen befriedigt sind und obendrein der Umgang mit den Ressourcen noch immer derart problematisch ist. De Rijke und de Rooij gehören zu den jüngeren Positionen in der Ausstellung, daneben sind Giuseppe Gabellone, Cyprien Gaillard, Florian Pumhösl und Rob Voerman zu nennen. Letzterer ist mit grossformatigen Zeichnungen sowie einem seiner heterotopischen Bauten vertreten – einer Mischung aus Behausung, Höhle und Urhütte. Stephen Willats schliesslich analysiert in «Wie ich meine Fluchtwege organisiere» die Schrebergartenwelt als Gegenentwurf zum Mietshaus: Idylle kontra Normierung.