Das Violinophon und die Nachtigall

by Kristin Schmidt

Das Kunstmuseum St.Gallen zeigte derzeit Werke des in Herisau und St.Gallen aufgewachsenen Künstlers Francisco Sierra. Die Publikation zur Ausstellung wurde am Freitag vorgestellt.

Es ist eine Grundsatzentscheidung bei jedem Ausstellungskatalog: Soll er pünktlich zur Eröffnung erscheinen? Dann muss auf die fotografische Dokumentation der eben erst fertig installierten Ausstellung verzichtet werden, denn Gestaltung, Druck und Bindung brauchen Zeit. Oder soll das Buch Bilder aus der Ausstellung enthalten, dann aber verspätet erscheinen? Kann dann noch genügend Aufmerksamkeit für die Publikation gewonnen werden? Wie das funktioniert, zeigt das Kunstmuseum St.Gallen mit dem Katalog zur Ausstellung des Manor-Kunstpreisträgers Francisco Sierra.

Das Buch wurde am vergangenen Freitag vorgestellt, die Eröffnung lag da schon einen Monat zurück. Aber das Warten hat sich gelohnt, erstens ist die St.Galler Schau mit ihrer ausgewogenen und grosszügige Hängung auf teilweise intensiv roten Wänden nun auf mehreren Doppelseiten bestens dokumentiert (Fotografien: Stefan Rohner). Andererseits war das Erscheinen des Buches der Anlass für einen eigens gestalteten Abend in Anwesenheit des Künstlers und musikalisch gestaltet von Noëlle-Anne Darbellay. Angekündigt war eine Performance der preisgekrönten Musikerin, die dann zwar etwas kürzer ausfiel als geplant, aber nichtsdestoweniger eindrücklich war.

Darbellay, die Frau des Künstlers, hat wie Sierra selbst ein Violinstudium in Utrecht absolviert. Doch so wie Francisco Sierras Gemälde nie das sind, was sie auf den ersten Blick zu sein scheinen, ist auch eine Violine ein mehrdeutiges Objekt. Sie lässt sich so verwandeln, dass die Streichmusikerin unversehens auch Blasmusik spielt: Sierra und Darbellay haben ein Violinophon kreiert – eine Violine ohne Korpus, dafür mit Schlauch und etwas verbeultem Trichter. Noëlle-Anne Darbellay intonierte Storms Gedicht „Die Nachtigall“ und hat, so wie die Nachtigall, auch selbst noch gleich gesungen. Zwar nicht die ganze Nacht wie der vom Dichter in Verse gebannte Vogel, aber doch immerhin ebenso mit süssem Schall, mit Stormschen Hall und Widerhall.

Noëlle-Anne Darbellay kann aber auch ganz anders. Ein Filmmitschnitt eines Konzertes in der Martinskirche Basel zeigte sie Styropor zergeigend und Bogen zerbrechend. So wild ging es im Kunstmuseum dann doch nicht zu. Statt dessen nahm Direktor Roland Wäspe noch eine Würdigung der Autorin und Autoren des Buches vor. Unter ihnen der auch anwesende Christoph Vögele vom Kunstmuseum Solothurn. Zeitgleich zu St.Gallen präsentiert das Haus eine Ausstellung mit Zeichnungen von Francisco Sierra. diese sind nun ebenfalls im Buch dokumentiert, und eine Raumaufnahme zeigt besonders, wie sich das Werk des 1977 in Chile geborenen Künstlers verzahnt: Das merkwürdige Meringue-Gespenst mit Hitlerschnauz aus dem Gemälde „Im Park“ ist in Solothurn als Skulptur zu sehen. Die Entscheidung, statt zwei kleiner Bücher ein grosses zu veröffentlichen, kommt also nicht nur dem ohnehin schon stattlichen Manor-Kunstpreis-Bücherstapel des Kunstmuseums zugute. Sie erlaubt auch einen umfassenderen Einblick ins Werk des jungen Künstlers.