Bewegte Spiritualität

by Kristin Schmidt

Vincent Scarths allererste Einzelausstellung zeigt unter dem Titel „Kosmische Marmelade“ wie sich Alt und Neu, Spiritualität und Farbe, Gefühl und Gestaltung mischen.

Geplant war es kaum und doch ist es ein passendes Zusammentreffen: Aby Warburg im Kulturraum im Klosterbezirk und Vincent Scarth in der Macelleria d´Arte. Mit Warburgs Mnemosyne-Projekt wird jener wegweisende Ansatz gewürdigt, die Verwandtschaft der Bilder zu ergründen. Der Kunstwissenschaftler stellte vor einhundert Jahren Werke einander gegenüber, verglich, untersuchte Motive, Bedeutungen und deren Entwicklungen im Laufe der Jahrhunderte.

In der aktuellen Kunst sind solche Rezeptionstechniken selbstverständlich geworden. Auch bei den ganz Jungen. Vincent Scarth, 1992 im Thurgauischen Steinebrunn geboren, zeigt in Francesco Bonannos Galerie, wie Kunstaneignung heute aussehen kann. Dabei sind seine Hauptsujets ganz und gar zeitlos: Scarth malt Madonnen, Akte, hinduistische Gottheiten, biblische Gestalten wie Mose oder Jonas. Er malt sie in leuchtenden Farben, mit schwungvollem Pinselgestus und durchsetzt mit Ornamenten, Tupfen oder Mustern. Auf Wellpappe aufgezogen, auf Magazinen, Buchseiten, Broschüren gemalt, hängen die Bilder dicht an dicht in roh gezimmerten Holzrahmen. Der Bezug auf die lange Tradition der Tafelmalerei ist also schon hier gesetzt und doch erfrischend unprätentiös.

In den Sujets geht es weiter: Immer wieder klingt in Haltung und Kontur der Figuren Bekanntes an. Manche der weiblichen Aktfiguren erinnern an die Madonnen Parmigianinos, andere an die stilisierten Akte Modiglianis, an die Intensität bei Schiele. Die dargestellten Schönheiten neigen ihr ovales Antlitz über ihrem wohlgeformten, langen Hals. Ihre Haltung ist stets erhaben – eben göttinnengleich. Formal eigenständig sind sie trotzdem, denn die Malerei ist von Scarths Gemütszuständen getragen. Sie ist impulsiv und geprägt durch die Aufenthalte des Künstlers in Asien und der Karibik.

Noch deutlicher wird der kunsthistorische Bezug in den Animationsfilmen. Der Künstler erzählt darin kleine Geschichten von grossen Themen, etwa die Adaption Mariens durch die Indios. Die Filme entwickeln sich aus Malerei und Zeichnung heraus, sind Zeichnung im Zeitraffer. Scarths linearer Stil ist hier direkt durch Matisse beeinflusst. Scarth, Student an der ZHdK, bekennt sich offen zu dieser Verwandtschaft. In einem Film über Jack Kerouac arbeitet er sogar einen Scherenschnitt Matisses nach. Ausserdem fliessen Realfilmaufnahmen kleiner Lebewesen ein. Selbst gezeichnete Formen werden ausgeschnitten und über gezeichneten Szenen bewegt, so dass sich eine Tiefenwirkung einstellt. Scarth verliert sich nicht in technischer Perfektion.

Die Bilder haben Zeit, sich zu entwickeln. Sie sind mit einfachsten Mitteln animiert und wirken klar, lebendig. Mitunter werden einzelne Sequenzen wiederholt, in einen neuen Kontext gesetzt. So fliessen die Geschichten unaufdringlich und beschwingt dahin. Und alles ist vom Künstler selbst vertont, denn Scarth ist Musiker in einer Funk Band. Die Ausstellung in der Macelleria d´Arte ist seine allererste überhaupt. Zwar sind seiner Filme alle nur hintereinander auf einem einzelnen Monitor zu sehen, aber sie schaffen es mühelos, sich im dichten Interieur der Galerie zu behaupten.