Humberto Díaz – Mensch und Natur in Winterthur

by Kristin Schmidt

Die Stiftung Sulzberg, 1999 von der Winterthurer Musikpädagogin Doris Sträuli-Keller gegründet, stellt in der Villa Sträuli in Winterthur drei Studios für internationale Kunst- und Kulturschaffende jeglicher Sparte und Herkunft zur Verfügung. Die Aufenthalte sollen in einer anregenden Umgebung den interkulturellen Austausch fördern. Erstmals ist ein Künstler während der Internationalen Kurzfilmtage Winterthur zu Gast: Der kubanische Künstler Humberto Díaz. Geboren in Santa Clara, 1975, vertritt er ausserdem sein Land dieses Jahr an der Biennale Venedig.

Die Fensterflügel sind weit geöffnet. Zweige, Blätter sind zum Greifen nah. Das Grün scheint in die hellen Räume hineinzuwachsen, gleicht vor jedem Fensterausschnitt einem Landschaftsbild. Und das mitten in der Stadt. Eine Idylle. Humberto Díaz geniesst sie. Seit Mitte September ist der kubanische Künstler als Artist in Residence zu Gast in der Winterthurer Villa Sträuli. Dieser Platz, mitten im baumbestandenen, grünen Museumsquartier, ist ideal für ihn, sind doch die Natur und deren vom Menschen verursachte Veränderungen wichtige Aspekte seiner Arbeit. Das reicht von der real in Szene gesetzten Überschwemmungskatastrophe an der Biennale in Havanna 2006 bis zu Dachziegeltsunamis wie etwa an der Biennale St.Petersburg 2009. Mit solchen aufwendigen, spektakulären Produktionen ist Díaz bekannt geworden. Aber nicht immer wird es so ausufernd. Auf Humberto Díaz Arbeitstisch im Gastatelier liegt neben dem Klapprechner eine Mappe voller Tuschezeichnungen. Einige davon sind bereits im vergangenen Jahr entstanden, einige hier in Winterthur. Zum Beispiel „Double Dead“. Klare, sicher gezogene Linien zeigen einen vom Baumstamm zerschlagenen Tisch. Der Baum ist gefällt, der Tisch kaputt, doch der tote Baum birgt neues Material. Auf anderen Zeichnungen schlagen Äste aus, aber hervor wachsen keine neuen Zweiglein und Blätter, sondern Äxte, Hämmer oder Hot Dogs.

Die Ambivalenz zwischen Objekt, Werkstoff und Natur beschäftigt Humberto Díaz genauso wie die Wahrnehmung von Natur. Und die ist in der Schweiz ganz anders als in Kuba. Hier sind die Bäume in der Stadt unversehrt, die Grünflächen werden gehegt und gepflegt. In Kubas Städten wird den Bäumen schnell einmal mit der Motorsäge zu Leibe gerückt, und zwar ohne baumpflegerischen Anspruch. Sie werden gestutzt ohne Rücksicht auf ihre natürliche Form. Díaz´ äussert offen sein Bedauern angesichts dieser Verstümmelungen. Anders empfindet er die Verhältnisse in der Natur jenseits des städtischen Raumes. Kubas Wälder wachsen wild, während Díaz hier die Struktur der Landschaft auffällt, ihre Ordnung und Unterordnung. Wird dies ein Thema seiner Arbeit hier sein? Gut möglich. Humberto Diaz ist nicht mit einer konkreten Projektidee nach Winterthur gekommen. Statt dessen will er hier vor Ort eine neue Arbeit entwickeln, so wie er auch in der Vergangenheit oft und gern situationsbezogen gearbeitet hat.

Ein Thema waren der ortsbezogenen Arbeiten waren immer wieder Überwachungskameras. In Havanna beispielsweise ging er von Kamera zu Kamera und blickte sie jeweils eine Minute lang an. So wurden den Menschen dieses neue Phänomen des Überwachtwerdens überhaupt erst zu Bewusstsein gebracht.

Noch ist nicht definiert, in welche Richtung die Arbeit in Winterthur gehen wird, aber Humberto Díaz´ Sinne sind geschärft; und das Wichtigste: Er ist unterwegs. Er streift durch die Stadt und knüpft Kontakte. Er kommt mit den Winterthurern leicht und gern ins Gespräch. Diese Offenheit schätzt Díaz sehr, nicht immer hat er das bei seinen zahlreichen Auslandsaufenthalten so erlebt. Etwa in Warschau dieses Jahr: Humberto Díaz war in der Fundacji Spazio 13 zu Gast und fühlte sich recht isoliert. Interaktionen waren fast ausschliesslich über die Institution möglich. Auf diese Situation reagierte Díaz mit der Performance „Paranoid Dreams“: In jede Steckdose der Warschauer Künstlerwohnung hatte er einen Stecker mit Kabel gesteckt, es bis ins Schlafzimmer geführt und um sein Haupt gewickelt. Der Kopf des Liegenden war vollständig von weissen Kabeln umhüllt, abgeschottet.

Welche Einschränkung die damalige Isolation für den Künstler bedeutet haben muss, zeigt der Kontrast zu seinem Leben in Winterthur. Selbst Díaz aktuelle Lektüre ist ein aussagekräftiges Bild dafür: Auf einem kleinen Tischlein liegen Augustinus´ Confessiones. Die Autobiographie des christliche Philosophen ist nicht nur Selbstreflexion, sondern Schilderung des eigenen Lebenszusammenhanges und Blick nach aussen. So spürt auch Díaz von sich ausgehend der Befindlichkeit des Menschen und der Prägung durch das Umfeld nach. Die Sprache ist da nur ein Mittel. Ebenso wichtig ist es für ihn, Gesten und Bewegungen zu beobachten. Da passt es gut, dass er die Winterthurerinnen und Winterthurer in diesem warmen Spätsommer kennenlernt. Noch spielt sich das Leben draussen ab. Díaz ist begeistert davon, wie die Menschen diese Zeit und ihre Stadt geniessen, wie sie im Park sitzen, sich ausruhen, unterhalten, und vor allem: dass sie das, was sie tun, bewusst und ganzheitlich tun. Den Kontrast dazu sieht der Künstler auf Kuba: Während die Menschen dort das eine tun, denken sie bereits an das andere, das nächste. Die Menschen sind getrieben und stecken in ihren Alltagszwängen fest.

Auch Díaz ist nicht ganz frei und ungetrieben: Anfang Oktober eröffnet seine Ausstellung in der Galerie knoerle & baettig contemporary im Sulzer-Areal. Und Díaz´ hat grosse Pläne für die Schau, die eine Woche vor der Vernissage noch ihrer Realisierung harren. Mit dieser Ausstellung erfüllt sich eine Anforderung an die Gastkünstlerinnen und -künstler der Villa Sträuli, sollen sie doch während ihres Aufenthalt aktiv am Leben in Winterthur teilnehmen und in kulturelle Aktivitäten der Stadt involviert sein. So ist schliesslich auch ein Künstlergespräch in der Villa geplant und der Auftritt an den Winterthurer Kurzfilmtagen.