Staub und Stücke

by Kristin Schmidt

Die New Yorker Künstlerin Allyson Vieira bereitet im Aterlierhaus des Sitterwerkes ihre Ausstellung in der Kunsthalle Basel vor. Der Abend des offenen Ateliers bietet Einblicke in das Werk der jungen Bildhauerin.

Gesteinsmaterial löst sich nicht einfach auf. Das ist bei geologischen Erosionsprozessen nicht anders als auf der Baustelle oder im Bildhaueratelier. Der durch Wasser, Eis, Wind oder Maschinen abgetragene, manchmal bis zu Staub zerkleinerte Stein landet in Flussbetten oder auf der Schutthalde und ist die Basis für neue Erdformationen. Eines geht aus dem Anderen hervor.

Was abgetragen wird, verschwindet nicht, sondern formt Neues, wird dann wieder abgetragen – ein ewiger Kreislauf, der oft unbemerkt bleibt, da er unendlich langsam und stetig abläuft. Ausser bei Allyson Viera. Die New Yorker Künstlerin (*1979) entwickelt ihre Arbeiten angelehnt an zyklische geologische Prozesse: Eines entsteht aus dem anderen. Zugleich sind die Werke extrahierte Zustandsaufnahmen und somit sichtbare Zeichen dieses Kreislaufes.

Am Anfang steht das industriell gefertigte Produkt. Dieses ist hier in der Schweiz verschieden von jenem Vieiras Heimat. Unterschiede bestehen sowohl im Material, als auch in den Normgrössen, die jenseits des Atlantiks nicht dem metrischen System entsprechen. Zum ersten Mal arbeitet die Künstlerin nun also mit Schweizer Lochziegeln an ihren Untersuchungen des menschlichen Masses weiter: Im Projektatelier des Sitterwerkes sind drei Stelen aus Lochziegelquadern entstanden. Noch ragt aus ihnen oben ein stabilisierender Vierkantstahl heraus, wo später eine Zementröhre die drei Stelen miteinander verbinden wird. Noch stehen sie auf einfachen Holzplatten, gehalten von Spanngurten, aber deutlich zeigt sich bereits ihre Gestalt. Mit einem Hüftschwung schrauben sie sich aufwärts und erinnern nicht zufällig an den Kontrapost klassischer Statuen.

Allyson Vieira setzt sich mit der Tradition der figürlichen Bildhauerei auseinander und schafft eine ganz neuartige Synthese von Plastik und Skulptur. Sie baut ein Objekt auf, um es anschliessend gezielt wieder zu reduzieren und überraschende Durch- und Einblicke freizulegen. So eröffnen sich zerklüftete Landschaften oder futuristische Architekturen, wo die Lochziegelquader aufgefräst wurden. Und nicht nur dort: An der Atelierwand im Sitterwerk sind Reliefs aufgereiht aus Gips, Metallteilen, Kabelbindern und Ziegelsteinfragmenten – Resten der skulpturalen Arbeit; sogar die verbrauchten Frässcheiben sind integriert. Bei der Arbeit an jeder Platte fallen wieder Staub und Stücke an, sie werden erneut gesammelt und in eine künstlerische Ordnung gebracht, zusammengehalten von Gips.

Gips war es auch, der Vieira auf Hans Josephson aufmerksam werden liess. Sie hatte bereits mit Gips gearbeitet, als sie Marcus Spichtigs Dokumentarfilm über den Zürcher Künstler sah. Von Josephsons selbstverständlichem und unkonventionellem Umgang mit dem plastischen Material war sie sofort begeistert und fand dadurch neue eigene Wege. Dass Allyson Vieira nun in direkter Nähe zum Kesselhaus Josephson und somit der Werke des von ihr verehrten Bildhauers arbeiten kann, ist für die Künstlerin ein Glücksfall, der noch mehr gute Seiten hat: „Im Gegensatz zu meinem kleinen New Yorker Studio sehe ich hier alle meiner Arbeiten parallel. Ich nutze verschiedene Zonen für verschiedene Werkgruppen.“ Zudem schätzt es Vieira, innerhalb einer hervorragenden Infrastruktur selbständig und fokussiert arbeiten zu können, schliesslich ist sie etwas unter Zeitdruck: Allyson Vieira ist mitten drin in den Vorarbeiten zu ihrer Ausstellung in der Kunsthalle Basel. Dort wird ab September ihre erste institutionelle Einzelausstellung zu sehen sein und es gibt noch viel zu tun – in Basel, aber auch hier im Atelierhaus des Sitterwerkes.