Ulrike Kristin Schmidt

Gesammelte Texte

Ausschnitt aus der Gegenwart

«Heimspiel» für das Sammler-Ehepaar Bosshard: In der Alten Fabrik Rapperswil gibt es Einblick in seine Kollektion zeitgenössischer Schweizer Kunst.

Peter Bosshard ist ein Kunstsammler, wie er im Buche steht. Der Anlass seiner Sammlung ist die Leidenschaft für Kunst. Als Entdecker, Freund und Förderer steht der gebürtige Schaffhauser in engem Kontakt zu Künstlern und Künstlerinnen, oft entwickelten sich aus ersten Begegnungen Freundschaften. Bosshard verfolgt die künstlerischen Entwicklungen und in diesem Zusammenhang auch die zunehmende internationale Bedeutung seiner Sammlungskünstler und -künstlerinnen, ein Zeichen dafür, dass ihn sein Gespür selten im Stich lässt.

Sein Blick für das Schaffen der jungen Generation ist stets offen geblieben. Auf diese Weise entstand in den vergangenen 30 Jahren eine Sammlung, die ebenso vielseitig wie spannend ist. Dennoch gibt es einen roten Faden, der alle Werke verbindet: Obgleich es dem erfolgreichen Wirtschaftsanwalt an Gelegenheit nicht mangelte, seine Sammellust international auszudehnen, konzentrierte und konzentriert er sich bewusst auf Schweizer Gegenwartskunst. Dass er sich damit weder inhaltlich noch qualitativ Beschränkungen auferlegt, beweist die aktuelle Ausstellung in der IG Halle in Rapperswil. Hier in der Alten Fabrik ist derzeit mit ausgewählten Neuerwerbungen der vergangenen fünf Jahre ein Ausschnitt aus der Sammlung Bosshard zu sehen. Junge Künstlerinnen wie Zilla Leutenegger oder Dominique Lämmli sind unter einem Dach vereint mit älteren Künstlern wie Klaus Born oder Jürg Moser.

Entsprechend heterogen ist das Gesamtbild aus einer Vielfalt künstlerischer Handschriften, verwendeter Materialien und inhaltlicher Ansätze. Da sind beispielsweise die Computerzeichnungen Yves Netzhammers, skurrile Mutationen und Metamorphosen bekannter Dinge, oder Hugo Suters Assemblagen aus alltäglichen Materialien. Strandgut verwandelt sich hinter einer Milchglasscheibe in eine italienische Landschaft, Kehrichtschaufel und Besen in ein Gesicht. Stefan Gritsch arbeitet mit Farbe, doch ist er eher ein Bildhauer. Stück für Stück trägt er Farbschichten übereinander auf, bis nach zwei Jahre dauernder Arbeit dreidimensionale Farbblöcke entstanden sind. Reto Boller und Mario Sala ersetzen die Farbe in ihren Gemälden teilweise durch Leim, sodass sich dynamische Strukturen ergeben. Carmen Perrin gewinnt den Materialien völlig neue Aspekte ab, ein Tonrelief schwingt sich in Wellen vor der Wand, die Blöcke aus geflochtenem Kautschuk warten auf die nächste Veränderung ihrer Form. Dass die Werke der älteren Generationen an Frische und Lebendigkeit in nichts hinter denen der jüngeren zurückstehen, zeigen besonders die sparsamen Zeichnungen Thomas Müllenbachs, die neue Blicke auf alltägliche Dinge werfen. Die Sujets in Anselm Stalders und Claudio Mosers schwarzen Bildern bleiben schemenhaft. Es geht ihm wie mit den Aufnahmen Annelies Strbas. Die Künstlerin bannt Momente des Lebens aufs Fotopapier und erzielt mit kalkulierten Unschärfen atmosphärische Wirkungen.

Obgleich die Ausstellung nur einen Bruchteil der umfangreichen Sammlung Elisabeth und Peter Bosshards zeigt, verrät sie doch den Spürsinn und die Begeisterung des Paares. Selbst der Ort der Präsentation spricht von diesem Engagement, das vor drei Jahren mit der goldenen Ehrenmedaille des Kantons Zürich gewürdigt wurde, denn Peter Bosshard ist Präsident der Stiftung Geberit, der auch die IG Halle untersteht. Höchste Zeit also, die Sammlung am Wohnort der Bosshards, in Rapperswil, vorzustellen. Einen schönen Anlass gibt es obendrein: Vor wenigen Tagen feierten beide ihren 60. Geburtstag.

Ein Rattan-Auto und nichts drin

Die New Yorkerin Rita McBride präsentiert unter dem Titel «Naked Came the Stranger» ihre raumgreifenden Skulpturen in der neuen Ausstellung im Kunstmuseum Liechtenstein.

Es gibt hierzulande wohl kaum jemanden, der noch nie eine Zehn-Franken-Note in der Hand hatte, jenen Schein nämlich, den das Antlitz Le Corbusiers ziert. Doch die allerwenigsten werden schon einmal einen Schritt gesetzt haben in eines der berühmtesten Bauwerke des Schweizer Architekten: die Villa Savoy in Poissy. Diese weite Reise ist nun nicht mehr nötig, denn Rita McBride hat für das Kunstmuseum Liechtenstein ihre Version der Villa entworfen.

Reduziert auf die Eingangssituation mit Treppenstufen, Säulengang und die für Le Corbusier typische schräge Ebene ist das massstabsgetreue Fragment so im Erdgeschoss des Kunstmuseums Liechtenstein platziert, dass der Betrachter hindurchgehen muss. Damit öffnet die 1960 geborene Künstlerin den Blick nicht nur für Design und Dimension der Villa, sondern auch auf die Sammlung und das Museum in Liechtenstein. Sie verwendet die nüchterne Architektur als Folie für ausgewählte Stücke aus dem Museumsdepot. Werke von Joseph Beuys oder Gerhard Richter lässt sie ebenso in Dialog mit der Installation treten wie Skulpturen von Zeitgenossen Le Corbusiers wie Wilhelm Lehmbruck oder Umberto Boccioni.

Obgleich Rita McBrides Arbeit die skulpturalen und musealen Qualitäten der zitierten Architektur unterstreicht, ist sie nicht als Hommage zu verstehen. Kritisch untersucht sie das Verhältnis von Form zu Inhalt und kommentiert die idealistischen Konzepte der Moderne beispielsweise mit einem pickelartigen Auswuchs an einer der sonst makellosen Säulen oder den künstlich herbeigeführten Gebrauchsspuren im Fussbodenbelag. Rita McBride fragt nach dem Sinn, der Funktion und schliesslich der physischen und psychischen Wirkung von Proportionen, Orten und Architektur. So verbannt sie in einem anderen Werk PacMan, Flipper und Co. von der Bildfläche und zeigt die reine, monochrome Form von Spielmaschinen. Mit einem Mal wird die unheimliche Grösse dieser Geräte bewusst. Ebenso wirkt der aus Rattan geflochtene «Toyota» geradezu riesig. Obgleich bar seines Inhaltes oder gerade weil es nur in zeichenhaften Konturen daherkommt, entlarvt dieses Auto das Funktionsprinzip von Statussymbolen. Auch den violetten Markisen an der Museumswand fehlen wesentliche Details: Im Museum sind sie weder Sonnen- noch Regenschutz. In ihrer sinnentleerten Form paraphrasieren sie einen künstlichen Minimalismus und zeigen zugleich die übermächtige Präsenz und Kraft von Reklame, indem sie hier nun plötzlich fehlt. Während Auto, Markise und Spielautomat ihrer Funktionsfähigkeit beraubt sind, ist die «Arena» ein ausgesprochen praktisches Kunstwerk. Das monumentale und doch leicht wirkende Gebilde im Obergeschoss spreizt sich wie ein Dinosaurierskelett in den Raum hinein, auf dass es zum Leben erweckt wird. Das halbkreisförmig geschwungene Knochengerüst lädt ein, es zu ersteigen und zu besitzen. Der Besucher wird Teil der Skulptur, er wird Akteur oder Zuschauer. Waren die Arenen antiker Zeit mit dem Bewusstsein um Dynamik und Aggressionspotenzial von Menschenmengen an den Stadtrand verbannt, so ist das Exemplar hier an prominent zentraler Stelle positioniert.

In Liechtenstein kann man offenbar mit der Disziplin heutiger Museumsbesucher rechnen und hat ein vielseitiges Begleitprogramm zur Ausstellung entwickelt, für das die «Arena» Kulisse und Zuschauerraum bildet. Als eines der sorgfältig ausgewählten Beispiele aus Rita McBrides aktuellem Schaffen wird sie sinnvoll genutzt und zeigt einmal mehr, wie gut man in Liechtenstein mit der eigenen Museumsarchitektur umzugehen weiss. Begleitet wird die Ausstellung vom Buch «Naked Came the Stranger», das weniger Katalog als Roman ist. Im Stil der Trivialliteratur setzten sich dreizehn Autoren mit der Arbeit der amerikanischen Künstlerin auseinander.

Wird Warhol gar Picasso übertreffen?

Soeben ist der erste von sechs Bänden des Warhol-Werkkatalogs erschienen. Georg Frei plauderte aus der Herausgeberküche.

Sieben Pfund wiegt das Prachtexemplar, doch schwanger gegangen mit ihm war man weit mehr als neun Monate. Bereits seit einem Vierteljahrhundert wird am Warhol-Gesamtverzeichnis gearbeitet, seit 1988 ist der Zürcher Warhol-Experte Georg Frei mit dem Projekt betraut. 546 Nummern zählt der Werkkatalog des ersten, die Jahre 1961-63 umfassenden Bandes. Der zweite Band (64-68) wird bereits 1500 Nummern enthalten.

Das fünfzehnköpfige Forscherteam hat wahre Kettenreaktionen ausgelöst bei der Suche nach Werken des Pop-Künstlers. Frei berichtete am Mittwoch im Kunstmuseum von einem Sammler, der ein prominentes Werk nur ungern zeigen wollte, aber nach einem angeregten Gespräch noch ein anderes Werk aus seinem Lager holte, das verschollen galt. Ohne derartige Erfolgserlebnisse wäre eine solche Arbeit um einiges schwerer durchzustehen. Frei weiss viele Anekdoten zu berichten. Aber der eigentlich spannende Teil seiner Arbeit ist ein anderer: So konnte mit Vorurteilen aufgeräumt werden, an deren Entstehen Warhol nicht ganz unbeteiligt war. Der als schüchtern geltende Sohn tschechischer Einwanderer hatte von sich selbst behauptet, eine Maschine sein zu wollen und die überwiegende Mehrheit seiner Bilder per Siebdruck gefertigt, ein Verfahren, das es per Schablone mühelos ermöglicht, Motive eins zu eins zu übernehmen und massenhaft zu vervielfältigen.

Recherchen ergaben nun, dass er davon nur begrenzt Gebrauch machte. Da der Künstler, dem es nicht einmal gelang, Taxiquittungen wegzuwerfen, alle Zeugnisse seines Alltags in «Zeitkapseln» aufbewahrte, sehen sich die Kunsthistoriker auf der Suche nach Warhol-Vorlagen wahren Schatzkisten gegenüber. Hier finden sich selbst gebastelte Schablonen, eigens gestellte Fotos der Campbell’s-Suppendosen oder penibel aufgelistete Motivvarianten, die man eher einem Buchhalter als einem Künstlerstar zuordnen würde. Und doch war Warhol stets bemüht, als Letzteres zu erscheinen. Sein enigmatisches Auftreten, seine Eigenarten und seine Vorliebe für populäre Sujets sprechen von seiner Sehnsucht, einer der ganz Grossen zu sein. Aber das wichtigste Kriterium schien ihm eine hohe Produktivität. Georg Frei berichtet, dass Warhol bei Begegnungen mit Paloma Picasso immer nur an der Effizienz ihres Vaters interessiert war. Picassos Gesamtkatalog listet beachtliche 20 000 Arbeiten auf. Ob Warhol den Wettkampf gewonnen hat, wird man erst beim sechsten Band des opus magnissimum erfahren. Bis dahin gehen noch Jahre ins Land, aber als Trost warten derzeit einige «Warhols» im Kunstmuseum St. Gallen auf Betrachter.

Linsen und Lupen im Labor

«Kleine Sensationen» im Amt für Lebensmittelkontrolle: Die Installation von Monika Sennhauser wurde in einem Kunst-am-Bau-Wettbewerb für den Neubau des Kantonalen Labors realisiert und nun eingeweiht.

Leise Töne und stille Bilder haben es mitunter schwer in der ständig lauter, bunter und grösser werdenden Alltagshektik. Zu leicht sind sie zu überhören oder zu übersehen. Und doch verpasst, wer achtlos an ihnen vorübergeht, mitunter etwas ganz Grosses. So kann es einem mit diesen «kleinen Sensationen» ergehen. Im Eingangs- und Aufenthaltsbereich des Laborgebäudes begrüsst das Werk die Eintretenden, aber nur die, die genau hinschauen. Monika Sennhauser montierte je sechs Fresnel-Linsen in Augenhöhe auf den je drei Fenster- und Türflächen. Fresnel-Linsen sind starke wie massive Linsen, aber leicht und flach wie Papier. Ihre Oberfläche ist mit konzentrischen prismatischen Rillen versehen, die das Licht sammeln oder zerstreuen.

Über 200 Linsen testete die St. Galler Künstlerin, bis sie entschied, die beeindruckende Erfindung des französischen Physikers Fresnel zu verwenden. Ihr Verfahren lässt sich nicht nur mit der im Labor betriebenen Arbeitsweise vergleichen, sondern ist zugleich ein Ausdruck ihres wissenschaftlichen Interesses und reflektierten Herangehens. Von Anfang an war sie sich der Herausforderung bewusst, dem Bau der Zürcher Architekten I+B Architekten etwas gleich Starkes an die Seite zu stellen. Zwar sind ihre in die Scheiben eingesetzten Linsen ein kleiner Eingriff, doch einer, der ob seiner Präzision überzeugt. Die Linsen greifen sowohl eines der Hauptthemen eines Labors auf, nämlich die Sicht ins Kleine, und entwickeln aber auch eine starke räumliche Präsenz. In ihrer grössenmässig aufsteigenden Anordnung üben sie geradezu einen Sog auf den Eintretenden aus. Zuerst sieht er sich den sechs kleinsten Linsen gegenüber. Sie zeigen die Realität verkleinert, plötzlich ist die gesamte Umgebung in einer nicht einmal handtellergrossen Fläche eingefangen. Auf den Windfangtüren dann zeigen etwas grössere Linsen die Welt auf dem Kopf und entfalten beim ganz nahen Hinsehen eine Lupenwirkung. Gleiches gilt für die am grossen Aussenfenster und der Schiebetür zum Rasensitzplatz angebrachten Linsen. Hier ist jedoch der Lupeneffekt nochmals verstärkt.

Monika Sennhausers Werk verführt dazu, sich zu bewegen: näher hinzuschauen und wieder Abstand zu nehmen, beide Seiten der Linsen zu betrachten und spielerisch unterschiedliche Hintergrundbilder zu fixieren. Reale und künstliche Bilder überlagern und durchdringen sich. Kaleidoskopartig zeigen sich je nach Distanz immer wieder neue Motive. Eine weitere Dimension erhalten die Bilder, wenn sich die betrachteten Bilder, die Passanten, Autos oder Bäume bewegen. Die Linsen lassen Abstände verschwinden und holen die Aussenwelt ins Haus, dem Aussenstehenden gewähren sie Einblicke. Paul Cézanne prägte für diese Phänomene die Worte «Kleine Sensationen», eine Bezeichnung, die Monika Sennhauser ohne weiteres für ihre Arbeit in Anspruch nehmen kann.

Listiges Spiel mit den Ordnungen

Längst ist das Museum Liner in Appenzell mehr als ein Liner-Museum. Es öffnet sich der klassischen Moderne wie auch aktuellen Künstlern. Im Idealfall profitieren beide Seiten – so jetzt mit Beat Zoderer.

Der Schweizer Künstler, Jahrgang 1955, hat eigens für den Eingangsbereich des Museums eine Arbeit entworfen, die nicht nur typisch für sein eigenes Schaffen ist, sondern sich gleichzeitig in vielfältiger Weise auf Liner-Gemälde bezieht. Gut zwei Dutzend alte Bilderrahmen aus dem Depot des Museums hängen aneinander montiert im grossen Südfenster des Raumes. Unter dem Titel «Liners Landschaften» zeigen die leeren Rahmen nicht mehr die gemalte, sondern die reale Appenzeller Landschaft. Und bereits hier offenbart sich sein Gespür für Materialwirkungen und Volumina, Fläche und Raum, für Ordnungen und Geometrie. Die Konstruktion bleibt ebenso sichtbar wie die zerschrammten Oberflächen oder die Klebeschildchen mit ihren Druckfehlern.

Beat Zoderer arrangiert Fundstücke des Alltags zu ebenso geistreichen wie witzigen Reliefs, Skulpturen und Bildern. Der Vielfalt seiner Skulpturen sind allein schon durch die Fülle des Ausgangsmaterials kaum Grenzen gesetzt. Ob alte Bilderrahmen oder bemalte Holzklötzchen, Gummiringe, gefärbtes Blech oder farbiger Passepartoutkarton, ob Papier, gelbe Haftetiketten, Goldfäden oder Nagellack in diversen Rottönen, bunte Wolle oder Klebebandspulen aus Pappe – Zoderer kombiniert, konstruiert, klebt und schneidet. Spätestens seit Dada ist alles kunstwürdig. Und dies ist nicht der einzige kunsthistorische Bezug. Die Assemblagen spielen lustvoll hintersinnig mit den Ideen der Minimal Art und der Konkreten Kunst. Weit entfernt von eklektischer Rückbesinnung persifliert Zoderer jene strengen und klaren Ordnungssysteme mit seinen urwüchsigen oder wuchernden Materialsammlungen. Er entdeckt das Schöne im Hässlichen, das Ungewöhnliche im Banalen, die Ästhetik des Weggeworfenen. Der Ausstellungstitel «Kabinettstücke» bezieht sich ironisch auf dieses Interesse am Verbrauchten und Wertlosen, indem die Exponate zu Preziosen erklärt werden. Die Ausstellung bietet im Sinne einer Retrospektive einen breit angelegten Überblick. Zwar folgt der Ausstellungsparcours formalen Prinzipien – «Addierte Volumen», «Kreisthemen» oder «Fräsungen-Lochungen-Stanzungen» -, doch ergibt sich daraus eine weit gehend chronologische Reihenfolge der Werke, die Tendenzen deutlich macht. Während seine frühen Arbeiten meist monochrom sind, begeistert sich der Künstler seit den frühen Neunzigern mehr und mehr für die mannigfaltige Farbgebung der Werkstoffe und ihre Wirkungen. Er geht schliesslich so weit, nicht mehr nur die bereits vorhandene Farbe seines Ausgangsmaterials in die Arbeiten zu integrieren, sondern die Hölzer zu bemalen oder den Leim zu färben.

In seiner jüngsten Arbeit «Plätzchen» klebt er mittels Farbe Leinwandstückchen aufeinander, sodass sich ein Mosaik aus kleinen weissen Flächen mit bunten Rändern ergibt. Es bleibt offen, ob Zoderer mit dieser Arbeit einen ersten Schritt in Richtung Malerei unternommen hat oder ob sie ein Einzelstück im Œuvre eines Bildhauers bleibt. Er ist in beiden Gattungen zu Hause und spielt hier wie dort sein untrügliches Gespür für Farbkontraste und Kolorit aus.

Der Mensch in Helldunkel

Der Rheintaler Adam Keel und die Zürcherin Maria Török bilden ein beziehungsreiches Gespann in der neuen Doppel-Ausstellung des Museums im Lagerhaus St. Gallen.

Adam Keel ist ein aufmerksamer Beobachter seiner Zeitgenossen. Doch weniger ihre äussere Gestalt interessiert ihn als vielmehr ihr Wesen und ihr Verhalten – die feinen Nuancen im Umgang miteinander, Freud und Leid des Zusammenlebens.

Der 1924 geborene Schweizer, der seit Beginn der Sechzigerjahre im Rheintal lebt, setzt monochrome Farbflächen so aneinander, dass sich niemals zwei ähnliche Farben oder zwei gleich helle Flächen berühren. Am offensichtlichsten wird dieses Prinzip in seinen Papierschnitten, von denen knapp zwanzig im Museum im Lagerhaus zu sehen sind. Jedes Gesicht und jede Pflanze ist aus alternierenden weissen und schwarzen Flächen zusammengesetzt. Trotz der Verwandtschaft mit dem Scherenschnitt strahlen Keels Papierschnitte nichts von heimeliger Stammbuchästhetik aus. Stattdessen erinnern sie an die ausdrucksstarken, emotionsgeladenen Holzschnitte der deutschen Expressionisten. Die Gesichter bestehen kaum aus mehr als zwei Punkten, einer strichförmigen Nase und einem Fleck anstelle des Mundes, und doch besitzt jedes seinen eigenen, starken Charakter. Adam Keel hatte früh den Wunsch, Künstler zu werden. Aber die schwierige wirtschaftliche Lage zwang ihn, als Fabrikarbeiter sein Geld zu verdienen. Die Kunst blieb zunächst Nebensache, 20 Jahre lang, 1961-1981, musste er ganz auf sie verzichten. Die ausgestellten Aquarelle von 1961 zeigen jedoch, dass Keel bereits vor der langen Schaffenspause seinen Stil gefunden hatte. Die abstrahierten, frühen Porträts leben vom Wechsel geschlossener heller und dunkler Flächen, wie er später in den Papierschnitten zum dominierenden Gestaltungsmittel wird und abgewandelt in den späten Buntstiftbildern zum Einsatz kommt. Ein ähnliches Gestaltungsprinzip verwendet Maria Török. Während Keel jedoch oft nur zwei Farben einsetzt und der Buntstiftduktus sichtbar bleibt, fügt Török in ihren jüngsten Arbeiten homogene Farbflächen zu kunterbunten Figuren zusammen.

Dabei begann die in Ungarn geborene Zürcherin, Jahrgang 1907, im Alter von 46 Jahren mit monochromen Bleistiftzeichnungen. Die Striche werden zu dichtem Geflecht verwoben, feste Konturen stehen neben offenen ungegenständlichen Bildstrukturen. In den Werken der Sechzigerjahre breitet Török mit wenigen dunklen Tönen dichte Traumwelten aus. Mit der Zeit wird die Palette reicher und heller. Ausserdem stehen die zuvor in einem labyrinthischen Dickicht gefangenen Formen bald allein, bis ihnen schliesslich regelrecht Leben eingehaucht wird. Als Einzelfiguren, Dialogpartner oder zu dritt bevölkern sie die Serie der Tao-Bilder. Vor weissem Hintergrund agieren sie als «Phänomene aus dem Nichts», wie die Künstlerin sagt. Mal humorvoll, mal melancholisch und mit poetischen Titeln erzählen sie vom Leben.

Staubsauger im Nahkampf

Fragiles und Flauschiges präsentiert Michael Kienzer in der Ausstellung «oben – unten – von – bis – dahinter – davor» bei Paul Hafner.

Michael Kienzer hat einen roten Teppich ausgerollt. Dennoch fühlt sich kaum wie ein König, wer die Galerie betritt, denn der banal gemusterte Läufer passt eher in ein Mietshaus als unter die Sohlen gekrönter Häupter. Ausserdem endet er weder an einer Gangway noch vor den Stufen eines Palastes, sondern ist zu einem riesigen Knäuel aufgewickelt, das jedes Weiterschreiten verunmöglicht. Kaum ist man sich der Absurdität der Situation bewusst geworden, fordern zwei in sich verschlungene Staubsauger nervenzehrend Aufmerksamkeit. An einen Bewegungsmelder gekoppelt, saugen sich die beiden Maschinen gegenseitig aus. Dem einen mag dies als unentwirrbarer Nahkampf vorkommen, den anderen erinnert es an den intimen Austausch von Körpersäften, doch immer ist es der neugierig sich nähernde Betrachter, der die geräuschvolle Aktion der Geräte auslöst, ein Umstand, den Kienzer mit dem Titel «Autonome Skulptur» ironisiert. Eher ungewollt dagegen ist die Ironie der Arbeit «KW 6075 KHZ», eines mit einem endlos langen Kabel vollständig umwickelten Radios, das auf der genannten Frequenz einen internationalen deutschen Sender empfangen sollte, sich aber hier in einem Sendeloch befindet.

Kienzer erweist sich als Virtuose im Umgang mit dem Alltäglichen, Banalen. Allerdings ist der 1962 in Steyr geborene, heute in Wien lebende Künstler keiner, der auf den Spuren des Dadaismus Gebrauchsgegenstände zu Kunst verarbeitet und damit die Grenzen zwischen Kunst und Leben niederreisst. Trotz des profanen Materials wahren die Werke Distanz zum Betrachter. Die unscheinbarsten Dinge wirken plötzlich edel, unnahbar. So verführen die «Teppichzeichnungen» zum Berühren ihrer Oberfläche, gleichzeitig erscheinen sie als Ehrfurcht gebietende Resultate künstlerischer Konzentration. Wie es der Titel verheisst, basieren die Zeichnungen auf handelsüblicher Auslegware. Mit festem Tritt oder Staubsaugerschwüngen wurden die dichten Fasern gekrümmt, verbogen, gepresst. Je nach Lichteinfall zeigt sich die beredte Geschichte dieser Läufer in Form kalligraphisch anmutender Zeichen. Fixiert mit einer Leimlösung, bleiben die kühnen Gesten sogar der Nachwelt erhalten. Kienzer hat das Tafelbild in eine neue, flauschige Qualität überführt und sein Potenzial als Medium expressiven Ausdrucks bewahrt.

Obwohl manche der Arbeiten ihre Dreidimensionalität zunächst verbergen, ist stets spürbar, dass Kienzer ein Bildhauer ist. Seine Arbeiten greifen in den Raum hinein und sind als Volumina wahrnehmbar. Dies gilt auch für die Glasbilder, die aus mehreren über-einander geleimten Glasplatten bestehen und dadurch kaum noch transparent oder zerbrechlich sind. Zwischen den Scheiben warnen Klebebänder «Vorsicht, nicht werfen» oder «Fragile», hinterliess Silikon transparente Zeichnungen oder fordern eingravierte Buchstaben auf, Worte zu entziffern. Kienzer fordert aufmerksame Betrachter. Der erste Blick erschliesst die optischen Reize der vielseitigen Werke, aber erst beim zweiten offenbaren sich die ihnen zugrunde liegenden Gedankenspielereien, Gestaltungsideen und die Ironie.

Punkt, Punkt, Klecks, Strich

John Armleder besinnt sich in seiner Ausstellung bei Susanna Kulli auf Klassiker der Malerei und würzt sie mit einer Prise Partyglamour der Gegenwart.

Der Geruch von frischer Farbe hängt in der Galerie. Erst wenige Minuten vor der Eröffnung seiner Ausstellung beendete John Armleder die Arbeiten an seinen jüngsten Bildern. Sie entstanden alle direkt vor Ort, und wie so oft liess sich der Künstler von den Ausstellungsräumen inspirieren. Die Bilder sind für die Wände gemacht wie die Wände für die Bilder. Es ergibt sich ein ausgewogener Gesamteindruck. Hier wurde alles genau berechnet und aufeinander abgestimmt.

Armleder siedelt seine Arbeiten bewusst in der Nähe zum Dekor an. Das Muster wird zum Inhalt, die Form zum Anlass. Die Gebrauchsgrafik ist nicht weit, aber auch die Op-Art nicht. Da sind die quadratischen Streifenbilder: Im Wechsel überziehen gleichmässige schwarze und weisse vertikale Farbbahnen die Leinwand und kippen nach rechts aus dem Bild heraus – optische Täuschungen, wie sie Victor Vasarely perfektionierte und wie sie Armleder, der stets gern aus den Arsenalen der Kunstgeschichte schöpft, unbefangen wieder aufgreift. Er reflektiert spielerisch und scharfsichtig zugleich das Traditionsgeflecht der zeitgenössischen Kunst. Statt sich auf einen Stil oder ein Material zu beschränken, wechselt Armleder mit Leichtigkeit zwischen den Gattungen und seinen Zitaten der Ismen. Seine «Targets», knallbunte Kreise im Quadrat, sind die geglättete und multiplizierte Version der gleichnamigen Gemälde Jasper Johns’. Die «Pour-Paintings» beschwören die impulsive Geste des Abstrakten Expressionismus herauf, jedoch nur, um sie wieder zu ironisieren, denn in das auf die Leinwand geschüttete Farbgemisch mixt Armleder Glitzerstaub, Glas- und Spiegelsplitter und schafft dadurch eine Atmosphäre, die eher an die Partywelten der Jetztzeit denken lässt als an die Psychogramme der Kunstheroen der Fünfzigerjahre. Gleiches gilt für seine «Splash-Paintings», denn der Fleck ist hier nicht die spontane Ausdrucksform, die dem Tachismus seinen Namen gab, sondern das immer gleiche, weil mit der Schablone erzeugte Gebilde in poppigen Farben.

Mit höchster Präzision geschaffen sind Armleders Bilder. Umso mehr irritiert in diesem Gleichmass der Dinge jede Unregelmässigkeit: die Farbspritzer, die über den Rand der Schablone hinausgelangten, die Reste der Klebstreifen, die übrig gebliebenen Bleistiftmarkierungen, die dazu dienten, in den «Dot-Paintings» den Ansatzpunkt der Kreisschablone festzulegen. Wurden diese verräterischen Spuren aus Versehen nicht getilgt? Aus Nachlässigkeit? Oder um die Perfektion des restlichen Werkes umso stärker hervortreten zu lassen? Wie auch immer die Antwort lauten mag, sind es Zeugnisse der Leichtigkeit und Unbefangenheit, mit der Armleder an Kunst herangeht. Der 1948 geborene Schweizer mit Wohnsitz in Genf und New York machte sich seit den 60er-Jahren einen Namen als Maler, Zeichner, Performer, Produzent, als Galerist, Herausgeber und Kurator. Er ist bekannt für seine multimedialen Installationen wie im 2000 im Kunstmuseum St.Gallen (mit Sylvie Fleury).

Bei Susanna Kulli beschränkt sich Armleder erstmals darauf, nur Gemälde zu zeigen. Und auch damit wie kaum anders zu erwarten reflektiert er eine Tendenz des Kunstbetriebes. Betitelt mit «John Armleders Painting Show» bezieht sich die Präsentation der Gemälde auf die boomenden Malereiausstellungen in letzter Zeit. Armleder greift den Trend auf und gibt in einer Art kleiner Retrospektive einen Überblick über sein eigenes malerisches Werk.

Mit den Waffen der Kunst

Wie weit können, dürfen, sollen politische Inhalte mit künstlerischen Mitteln komuniziert (und unterlaufen) werden? Die Gruppenausstellung «Protest! Respect!» geht den Formen der Ästhetisierung von Politik und Gesellschaft nach.

Im vergangenen Jahr erklärte der Holländer Joep van Lieshout, Gründer des Ateliers van Lieshout, sein Ateliergelände am Rotterdamer Hafen zum Freien Staat. In «AVL-Ville» werden alle Grundbedürfnisse menschlichen Lebens befriedigt. Es ist für Nahrung gesorgt, für Medikamente und Bildung, aber auch für eine eigene Währung und eine Verfassung. Ausserdem produziert «AVL-Ville» Waffen. Diese Kampfwerkzeuge sind derzeit in der Kunsthalle St. Gallen ausgestellt. Unter dem Titel «Protest! Respect!» untersucht Kunsthallenleiter Gianni Jetzer die Schnittstellen zwischen Politik und Ästhetik.

Das Augenmerk liegt auf den Vermittlungsstrategien für gesellschaftspolitische Inhalte, die sowohl im medialen Alltag als auch in der Kunst angewandt werden. Anri Sala, aufgewachsen in Tirana, kombiniert in seiner Videoinstallation «Intervista» einen kommunistischen Propagandafilm, Nachrichtenbilder aus Albanien und neu gefilmte Szenen im Stil des sogenannten Realityfernsehens. Durch den familiär autobiografischen Hintergrund des Filmes werden pauschale Urteile über das kommunistische Regime vermieden und durch eine persönliche Geschichte ersetzt. Im Gegensatz dazu sind die scheinbar realen Akteure in der Arbeit Karla Rockmasters K. nur fiktive Charaktere.

Indem der Zürcher Künstler fundamentalistische Embleme, faschistische Bildsprache, die Optik von Fahndungsfotografien und Pop-Mode mischt, unterwandert er die bekannten Klassifizierungsmöglichkeiten und zeigt, wie verblüffend austauschbar die Bilder und Logos sind. Zugleich offenbart die Arbeit einen zweiten roten Faden innerhalb der Ausstellung: Die Bildung von festen Gruppen funktioniert nur in der bewussten Abgrenzung nach aussen. Erst die Definition des Anderen, des Umliegenden macht ein Territorium zum abgegrenzten Lebensraum einer in sich geschlossenen Gemeinschaft. Während die zur Verteidigung gedachten Waffen des Ateliers van Lieshout verdeutlichen, dass das eigene Territorium ständig gefährdet ist, erzählt die Arbeit des Genfers Gianni Motti vom permanenten Streben mancher Staaten, diese Fläche erweitern zu wollen. «Base of Tranquillity» stellt eine massstabsgetreue Replik der amerikanischen Fahne auf dem Mond dar. Wie knapp bemessen hingegen der einem sowjetischen Staatsbürger im sozialen Wohnungsbau zugedachte Platz war, steckt Olaf Nicolai in seiner Arbeit «Lenin» mit einem paillettenbestickten Stoffstück ab: Acht Quadratmeter glitzern auf dem Boden als Symbol für privaten Lebensraum in einem Eigentum ablehnenden Gesellschaftssystem.

Missstände zeigen

Die westliche Welt mit ihrem gesicherten Recht auf Privatsphäre und Meinungsfreiheit ist das Ziel für Menschen auf der Flucht vor Folter und Vernichtung. Asylanten machen von dem bereits in der Antike entwickelten Recht Gebrauch, das ihnen an bestimmten Stätten Schutz und Obdach garantiert. Bis zur Anerkennung ihres Status leben Asylsuchende oft in der Illegalität und unter ständiger Angst vor Abschiebung. Santiago Serra widmet ihnen besondere Aufmerksamkeit. Der in Mexiko lebende Künstler verpflichtet in seinen international kontrovers diskutierten Aktionen arbeitslose, asylsuchende oder obdachlose Freiwillige, sich für einen Minimallohn tätowieren zu lassen, in Behelfsquartieren zu wohnen oder wie in der Kunsthalle St. Gallen schwere körperliche Arbeit zu verrichten. Mit seinen symbolischen Arbeiten visualisiert Serra soziale Missstände und das harte Gesetz von Angebot und Nachfrage. Die Ausstellung, in der ausserdem Werke von Shahrzad, Annelise Coste, Jens Haaning und San Keller zu sehen sind, will keine politische Manifestation sein. Dennoch werden in den Videos, Installationen, Fotografien und Objekten eindeutige Standpunkte zu kontroversen Themen bezogen und damit auch die Betrachter zur Stellungnahme aufgefordert.

Tausendfach essbarer Big Apple

Die zwischen «sweet and sour», zwischen Cafés und Fleischmarkt angesiedelten Fotografien von Andreas Hilty laden in Buch und Ausstellung zu einer Reise in die Welt der New Yorker Gaumenfreuden. Wahrlich ein Augenschmaus !

Eine Ausstellung wird meist von einem Katalog begleitet. Im Falle der aktuellen Ausstellung in der Galerie Paul Hafner jedoch ist das Gegenteil der Fall: Die Präsentation der Fotografien von Andreas Hilty unter dem Titel «New York – sweet and sour» begleitet den gleichnamigen Bildband. Alle ausgestellten Arbeiten wurden als Aufnahmen für das Buch konzipiert und stellen auch nur einen kleinen Teil aus der Fülle der dort abgebildeten Werke dar. Aber selbst diese Vielzahl ist wieder nur ein kleiner Ausschnitt des gesamten Projektes, für das Andreas Hilty sich vor zweieinhalb Jahren auf den Weg nach New York machte. Sein Ziel: die kulinarische Welt der Millionenmetropole mit ihren Tausenden von Restaurants, Schnellimbissen, Bars, Cafés und Lebensmittelmärkten.
Zwei Monate lang recherchierte Hilty, um die über 800 potenziell für sein Projekt interessanten Lokalitäten auf eine zu bewältigende Anzahl zu begrenzen und dennoch eine grosse Vielfalt an Eindrücken einfangen zu können. So stehen nun Aufnahmen eines rund um die Uhr geöffneten Schnellrestaurants neben Bildern der typischen New Yorker Austerbars, der Fischmarkt neben einem klassischen Steakhaus und ein orientalisch anmutendes Bistro neben dem Szenetreff. Aufwendig dekorierte Etablissements für den luxusverwöhnten Grossstädter sind ebenso abgelichtet wie die gemütliche Dachgartenbeiz für ein Tête-à-Tête.

Andreas Hilty kam nicht von ungefähr zu seiner Projektidee. Der gebürtige St. Galler, Jahrgang 1951, arbeitete viele Jahre als Werbefotograf für die Gastronomie. Doch mit den damaligen kommerziellen Aufgaben hat «New York – sweet and sour» nur das Thema gemein. Während er als Agenturfotograf darauf achten musste, dass kein Aschenbecher und kein schräg gestellter Stuhl das Bild verderben, sind gerade dies die Momente, von denen die freien Arbeiten leben. Hilty folgt zwar auch hier der klassischen Restaurantfotografie mit Frontalansichten und unbelebten Interieurs, aber das warme Licht, die aufmerksam beobachtete Atmosphäre und die spürbare Spannung vor dem Eintreffen der Gäste verraten das anders gelagerte Interesse des konzeptionell arbeitenden Fotografen. Oft beschränkt sich Hilty nicht auf eine Aufnahme pro Ort, sondern kombiniert Aussen- und Innen-, Gross- und Detailansichten. Letztere versteht er zwar als eine Art Bildlegende, dennoch können sie ein beeindruckendes Eigenleben entwickeln, wie etwa die Nahaufnahme eines dunkel gebratenen Steaks, das einen Schnitt in sein rosafarbenes Inneres fast wie ein Wundmal zu präsentieren scheint.

Aber auch die Aussenansichten faszinieren in Bildidee und Aufnahmetechnik. Der nur in den Nachmitternachtsstunden bis zum ganz frühen Morgen geöffnete Fulton Fish Market stellte Hilty vor das Problem, dass beim ersten, nächtlichen Besuch der schwarze Himmel nichts von der Umgebung des Marktes sehen liess. Doch das Bemerkenswerte dieses Ortes ist nun einmal, dass sich das geschäftige Treiben nicht in irgendeinem Hafenstädtchen, sondern vor der Kulisse von Wolkenkratzern abspielt. In der kurzen Zeit zwischen Nacht und Dämmerung ist schliesslich ein in vieler Hinsicht kontrastreiches Foto entstanden, das zu den besten der Ausstellung gehört. Sehenswert ist auch die Präsentation der Arbeiten in der Galerie Paul Hafner. Zu Paaren oder Dreierreihen gruppiert, ergibt sich nicht nur eine logische Abfolge, sondern auch ein optisch stimmiges Gesamtbild.