Ulrike Kristin Schmidt

Gesammelte Texte

Von Bäumen und Schönheit

Das St. Galler Künstlerduo Com & Com stellt auf Einladung der Stadt im Architekturforum im Lagerhaus aus. Unter dem Titel „Holzweg“ werden Arbeiten der letzten drei Jahre gezeigt.

Der Hauptdarsteller ist abwesend. Verreist ins Ausland, dienstlich. Dennoch ist er präsent, ist zu sehen und zu spüren. Seine Aura, die ihn wie alle grossen Persönlichkeiten umgibt, wirkt über seine physische Gestalt hinaus. Sie durchströmt die gesamte Ausstellung im Architekturforum.

Das Bloch 23781 ist ein stattlicher 5 Meter hoher Fichtenstamm. Das St. Galler Künstlerduo Com & Com hat bei der jährlichen Blochversteigerung in Urnäsch den Zuschlag bekommen mit dem höchsten Gebot in der Geschichte dieses Fastnachtsbrauches. Statt nun vor Ort zu Möbeln oder Schindeln weiterverarbeitet zu werden, reiste das Bloch zunächst einmal in die Kunstgiesserei, um dort seinen Stammabdruck zu hinterlassen (siehe Tagblatt 6. März 2012), dann weiter nach Bern, nach Berlin – bis es in zwei Jahren auf allen Kontinenten gewesen sein wird. In der Ausstellung ist das Bloch daher nicht selbst zu sehen, aber dafür hat es Spuren hinterlassen und wird von Verwandten vertreten.

Com & Com befinden sich seit längerem auf dem „Holzweg“. Allerdings nicht in metaphorischer, sondern in wörtlicher Bedeutung. Schon in ihrer Retrospektive im Centre Pasquart in Biel 2010 räumten sie einem Baum einen besonderen Platz ein. Sie gruben einen Apfelbaum aus und legten ihn frei, so dass sich Wurzelwerk und Krone zu spiegeln scheinen. Nach der Präsentation im Museum wurde er in einer Performance filetiert. Die Stücke wurden nummeriert und verschenkt. Ein Video und Fotografien dokumentieren das Werk. Einmal mehr zeigen sich hier die Kernelemente des Schaffens von Johannes M. Hedinger und Marcus Gossolt. So ist das Werk ein Abbild eines Prozesses aus vielen Arbeitsschritten. Wichtig sind ausserdem seine sozialen und kulturellen Aspekte: Indem die abgesägten Äste verschenkt wurden, haben sie sich weiterverzweigt hinaus in das Leben, in die Welt. Ganz ähnlich wie das Bloch sind sie auf die Reise gegangen. Und nicht zuletzt ist da der ästhetische Aspekt der Kunst. Ein Kunstwerk darf auch einfach schön sein, schön wie ein schwebender Apfelbaum.

Com & Com verfassten 2008 ein „Post-Irony“ Manifest. Darin fordern Sie Mut zum Pathos, Mut zur Schönheit. Sie selbst machen vor, wie es geht. Sie verbinden die ästhetische mit der künstlerischen Absicht. Zunächst einmal loten sie aus, wo die kleinste Geste beginnt. Beispielsweise dort, wo im Wald der Unterschied zwischen herumliegenden Zweigen und bewusst platzierten sichtbar wird. Überhaupt haben es die kleinen Zweige dem Künstlerduo besonders angetan. Sie lassen sich zu Beinkühen schnitzen. Diese wiederum offenbaren in einer Zeichnungsserie ihre Ähnlichkeit mit Panzersperren, Lawinenverbauungen oder einer Kuh, die konsequenterweise keine Hinterbeine hat. Ausserdem lassen sich die Äste und Zweige transformieren zu filigranen, keramischen Objekten, den „Endern“, die dann wiederum zehnfach vergrössert in eine Holzskulptur übertragen werden.

Die Werke von Hedinger und Gossolt stehen miteinander in Beziehung und eröffnen immer neue Möglichkeiten. Von einem Inspirationspunkt aus entwickelt die Arbeit eine Dynamik, die mitunter die Künstler selbst zu erstaunen scheint. So auch beim Bloch. Er verwandelte sich bereits in eine Bühne, ein Podest, einen Tanzpartner und wurde für manch ein Mitglied der Urnäscher Blochgesellschaft der Anlass zur allerersten Auslandsreise. Und bei aller Konzeptualität spielt auch der Zufall eine Rolle. Wie der untere Querschnitt des Blochs aussehen würde, liess sich nicht vorhersehen, dass er nun so viel Ähnlichkeit mit dem Victory-Zeichen und der „Shaka“-Geste hat, hätten selbst Com & Com nicht besser planen können.

Kunstbauten im Kubel

LANDSCHAFT UND KUNSTBAUTEN –
EIN PERSÖNLICHES INVENTAR VON JÜRG CONZETT,
FOTOGRAFIERT VON MARTIN LINSI

Im Kubel fing alles an und findet nun einen Höhepunkt. Im Februar 2010 startete Jürg Conzett, begleitet von Fotograf Martin Linsi hier im Kraftwerk Kubel seine Reise zu ausgewählten Schweizer Kunstbauten. Das Bundesamt für Kultur hatte ihn mit dem Schweizer Beitrag für die Architekturbiennale 2010 betraut und Conzett suchte, versammelte und dokumentierte, was ihn beeindruckte. Die entstandene Ausstellung mit den prägnanten Texten, den Schwarzweissfotografien und Modellen begeisterte nicht nur Fachleute. Es sprach sich weit herum, dass da einer mit persönlichem Blick die Qualität der Ingenieurbauten herausarbeitet. Dabei geht es Conzett keineswegs nur um technische Meisterschaft. Ebenso wichtig ist ihm der bewusste Umgang mit dem Ort, der Umgebung, wo gebaut wird. Und da ist das Sitterviadukt hoch über dem Kraftwerk Kubel ein ausgezeichnetes Beispiel. Wer hier aus dem Fenster blickt, den überwältigt die Monumentalität des Brückenpfeilers ebenso wie ihn die Atmosphäre des Tobels einnimmt.

Zweieinhalb Jahre später nun sind Conzetts während jener Reise erfasste baukünstlerische Favoriten hier im Kubel zu sehen. Und nicht nur das. Das ursprüngliche Konvolut wurde um Ostschweizer Bauten erweitert. So sind beispielsweise das Bundesverwaltungsgericht, die Vonwilbrücke, der Gaiserbahnhof, Robert Maillarts Felsenbrücke über der Mühlenenschlucht und die ehemalige Goldzack Gummibandweberei in Gossau dokumentiert. Sie stehen nun neben Trouvaillen wie dem eigens inszenierten Wasserfall auf der Berner Seite der Sustenpassstrasse, neben der S-förmigen Ganterbrücke oder Conzetts Dorfbrücke in Vals.

So mancher Ostschweizer Bau hatte es bereits in die Biennaleausstellung geschafft, nicht nur das Sitterviadukt der SOB. Auch Hans Ulrich Grubenmanns  „sprechende Brücke“ über die Urnäsch oder das Goldachviadukt: Für Conzett stellt die Brücke mit ihrer Spannweite von 90 Metern einen Tribut an die Landschaft dar. Ihre Proportionen sind schön, wirken ungezwungen. Dies ist allen fotografierten Bauten gemeinsam. Indem das Konzept trägt, entfaltet sich die Ästhetik. Jürg Conzett formuliert es so: „Mit dem Eingriff in die Landschaft entsteht eine neue Wirklichkeit, die in sich selber wirkt.“

Möge die dicht bestückte Ausstellung an diesem passenden Ort einmal mehr für Infrastrukturbauten sensibilisieren, auf dass sich so ein bedauernswerter Abbruch wie jener der Maillartschen Filterhalle des Wasserwerks in Goldach nicht wiederholt.

Ausgewogen?!

Grundfragen des Bauens sind auch für die Kunst relevant. Das reicht von Gestalt und Konstruktion bis hin zu sozialen Aspekten. Künstlerinnen und Künstler erarbeiten konkrete Entwürfe oder Bauten, beschäftigen sich mit den plastischen, bildhaften und gesellschaftlichen Qualitäten von Architektur oder allgemeiner mit Raum, Volumen, Konstruktion und Illusion. Das Feld ist weit. So weit, dass es in der Eröffnungsausstellung des Zeughauses Teufen von Karin Bühlers in Stukkatur übertragenen Baubeschrieb bis zu Roman Signers wörtlich genommener Luftbrücke, von Michael Pfisters hölzernem Spannungsbogen bis Christian Kathriners Asphaltzeichnung und noch um einiges weiter reicht.

Der Titel der Ausstellung „Ausgewogen“ kommt mit einem Frage- und einem Ausrufezeichen daher und das Fragezeichen ist in diesem Falle das einleuchtendere, denn die Ausgewogenheit lässt doch manches offen. Wird sie mit Balance gleichgesetzt, ist auch das Kippen nicht fern. Ist Schönheit, Gleichmass gemeint, könnte der Reiz fehlen. Und die Ausstellung selbst? Sie bekennt sich zu Vielfalt, Wagnis und Vergänglichkeit. Viele der Arbeiten wurden eigens für das Zeughaus entwickelt. Mit der Grubenmannsammlung existiert hier eine anspruchsvolle Vorlage, die so frei und unbefangen interpretiert noch für so manches weitere Ausstellungsprojekt taugt.

Zeitreisen am Beiztisch

Barbara Hauser und Nicole Schmid verwandeln das Nextex in einen Ort der Genüsse und Gespäche. Ihre Ausstellung widmet sich Fiktion und Vergangenheit. Zudem hat Jeannice Keller die Bar neu gestaltet.

St. Gallen hat eine neue Erststockbeiz. Sie ist nur temporär geöffnet und Speisen werden auschliesslich geladenen Gästen aufgetragen. Einen Besuch ist sie dennoch wert, denn der Speisesaal ist gleichzeitig Kunst- und Denkraum. Barbara Hauser und Nicole Schmid nutzen das Nextex weniger als Ausstellungsfläche denn als Gesprächsort. Sie verwandeln es in eine Zone der Begegnung und Diskussion.

Essen und Trinken ist hier Nebensache, wenn auch auf hohem Niveau. Das Ambiente ist gediegen, drei Tische sind stilvoll gedeckt, gekocht wird von Vreni Giger, Grand Dame der Schweizer Bioküche. Allerdings nur dreimal während der Ausstellungsdauer. Nämlich immer dann, wenn die Künstlerinnen mit ausgewählten Gästen tafeln. Sie haben unter anderem Sprachwissenschaftler, Schriftsteller, Kunsthistoriker, einen Philosophen, eine Literaturwissenschaftlerin, einen Biologen und einen Archäologe geladen über Fragen der Realität und ihrer Gegenstücke nachzudenken. In drei Gesprächen geht es um Kraft des Imaginären, um Realität, Fiktion und Narration und schliesslich um Geschicht(s/en)schreibung.

Aber warum nicht in drei Podiumsgesprächen? Warum an jeweils einem Tisch bei guter Bewirtung, mit Kristallglas und Blumenschmuck? Warum beäugt von zwei Jagdtrophäen? Die Tische und Stühle, Geschirr und Besteck sind Leihgaben aus Gasthäusern oder Brockenhausfunde. Sie und die Art, sie zu arrangieren, bergen selbst eine Geschichte. Gleichzeitig schaffen die Künstlerinnen mit ihrer Hilfe die Basis für Wohlgefühl. So könnte also die Atmosphäre die Gedanken beeinflussen, auf jeden Fall sorgt sie dafür, dass die Gespräche einen anderen zeitlichen Verlauf nehmen. Die Wahrnehmung füreinander schärft sich und es entstehen neue Fragen, da die Umgebung eine anregende ist. So verheisst es denn auch der Untertitel der Ausstellung: Imago. Über die Sinnlichkeit des Gegenwärtigen.

Was aber bleibt davon den Besuchern des Nextex? Zum einen sind sie eingeladen, die Gesprächsrunden als Publikum zu verfolgen. Zum anderen bilden sich die Gespräche in der künstlerischen Rauminstallation ab. Mittels Projektion und Lautsprecher wird die abendliche Runde zu sehen und zu hören sein. Und was noch viel wichtiger im Gesamtkonzept ist: Nach jedem Essen bleiben verbleibt der Tisch in dem Zustand, wie ihn die Gäste verlassen haben. Die beiden Zürcher Künstlerinnen setzen damit nicht nur der Vergänglichkeit ein Denkmal, sondern fordern bei den Betrachtern die Kraft der Imagination heraus. Der Abend kann in ihrer Vorstellung wieder auferstehen.

Nicht auferstehen werden die beiden Rehe an der Wand, sie bleiben Vanitassymbole. In diesen Kontext passen auch die Uhren im Gang zum Ausstellungsraum – eine normallaufende, eine rückwärtsgehende, eine deren Sekundenzeiger über das Zifferblatt rast und eine, wo einzig das Pendel den Fluss der Zeit anzeigt, da Zeiger und Ziffern fehlen. Die Zeit hat viele Facetten. An ihr unaufhaltsames Fliessen erinnert auch die Arbeit von Jeannice Keller.

Die Basler Künstlerin bespielt das Nextex in der Reihe „in der Bar“. Ihre Intervention ist die fünfte und kann als Bild dafür gelesen werden, wie sich Früheres, längst Vergessenes im Nachfolgenden einschreibt. Keller hat die Wände hinter, vor und an der Bar, ja sogar den Boden mit weisser oder silberner Folie beklebt und mit Flächen aus dicht aneinandergefügtem Servierpapier. Die Zonen muten wie Schichten aus verschiedenen Zeiten an, wie übereinander geklebte Tapeten in einem Zimmer. Und somit schliesst sich mit dieser Rauminstallation der Kreis: Die Kraft der Vorstellung arbeitet, die Zeit vergeht.

Zweimal Tanz in der Lokremise

Der Tanzabend in der Lokremise vereint zwei Stücke unterschiedlichen Charakters. Cie Prototype Status zeigen eine Solochoreographie. Das eigens entwickelte TanzPlan Stück holt sogar Laien auf die Bühne.

Wer dreimal „Ja!“ sagt, ist nicht unbedingt einverstanden. Wer dreimal „Ja!“ sagt, will mitunter nichts mehr hören, nichts wissen. Von diesen Zwischentönen menschlicher Kommunikation erzählt das eigens für das Festival TanzPlan Ost 2012 entwickelte Stück „Ja! Ja! Ja!“. Es stellt die Beziehungen der Menschen in den Mittelpunkt und bildet einen deutlichen Kontrast zum ersten Stück des Tanzabends in der Lokremise: Den Auftakt gestalten Cie Prototype Status aus Vevey mit ihrer Choreographie „Caso & Caos“. Das Solostück lebt von der tänzerischen Perfektion Elina Müller Meyers und dem Bühnenbild. Letzteres wird  unter den Händen und Füssen der Tänzerin zum Requisit und steuert obendrein den Ton bei: Müller Meyer bewegt sich in einem kreisrunden Feld aus Sand. In Zeitlupentempo durchmisst sie die begrenzte Fläche, spannt sich bis in die Zehenspitzen, richtet sich auf und gleitet zu Boden, schleift sich durch den Sand. Sie verwandelt das Rund in eine Manege, eine Leinwand oder ein Zimmer und verwischt die Verweise sofort wieder. Jede Interpretation tritt in den Hintergrund angesichts der Ästhetik von Bewegung und Körper. Hier wird die Form zelebriert.

Das zweite Stück des Abends setzt einen anderen Schwerpunkt. Die Amerikanerin Sara Pearson und der aus dem Toggenburg stammende Patrik Widrig haben es in den vergangenen Wochen gemeinsam mit acht Tänzerinnen und Tänzern entwickelt. Diese Entstehungsgeschichte spiegelt sich in der Choreographie. Die Mitwirkenden bringen sich mit ihrer ganzen Persönlichkeit ins Stück ein. Es lebt von ihrem Leben, von ihren Erfahrungen auch dann, wenn die Tanzschaffenden in verschiedene Rollen schlüpfen. Die Sprache ist dabei ein wichtiges Instrument. Dank kurzer Monologe oder Gesprächsfragmente, gepaart mit Solosequenzen und Duetten, ergeben sich kleine Stücke im Stück. Der rote Faden sind dabei die alltäglichen Irrungen und Wirrungen des Zusammenseins. Und wie bei diesen wechseln im Stück die Tempi. Innige Sequenzen folgen auf Passagen unbändigen Bewegungsdranges. Die Tänzerinnen und Tänzer jagen zur eigens komponierten Musik von Pauchi Sasaki über die Bühne, um dann wieder zu sich oder ihrem Gegenüber zu finden. Ebenso mühelos wie unaufdringlich löst das Stück das diesjährige Motto des TanzPlan Ost ein: Der „Sprung über Generationen“ funktioniert bei den Profis wie auch bei den ausgewählten Laien, die das Stück im Duett mit den Tänzerinnen und Tänzern beschliessen.

Technik versus Kunst?

Auf Einladung des Architekturforums sprach Aita Flury über das Verhältnis von Architekt und Ingenieur. Der Vortrag fand als erste Veranstaltung im Rahmen der Ausstellung „Landschaften und Kunstbauten“ im Kraftwerk Kubel statt.

Brauchen Architekten Ingenieure? Und umgekehrt?  Vor den Zeiten der industriellen Revolution stellten sich solche Fragen nicht. Baumeister waren Universalgenies und lieferten alles von der Baugestalt über die Tragwerksberechnung bis zur Finanzierung. Erst mit dem Ingenieursberuf etablierte sich die Vorstellung vom Techniksachverständigen auf der einen Seite und dem Architekten als Gestalter auf der anderen Seite – eine Trennung, die weder dem einen noch dem anderen gerecht wird.

Aita Flury beschäftigt sich seit Jahren mit dem Gespräch der verschwisterten Disziplinen. Dabei kann die Architektin einerseits auf eigene praktische Erfahrungen zurückgreifen. Andererseits hat sie sich auch theoretisch mit dem „Dialog der Konstrukteure“ auseinandergesetzt und unter anderem die Publikation „Kooperation“ herausgegeben.

Die Zürcherin beleuchtet nicht nur die Themen und Potentiale der Zusammenarbeit, sondern auch die Grenzen: Auch wenn Interdisziplinarität in aller Munde ist, muss zuallererst das eigene Metier beherrscht werden. Erst dann lässt sich auf hohem Niveau spielen. Es ist kein Zufall, dass Flury darüber im Kraftwerk Kubel spricht. Im Mittelpunkt der Ausstellung im Kraftwerk stehen Kunstbauten, die den Ingenieur Jürg Conzett beeindruckten. Conzett wiederum ist für die ästhetische Qualität seiner eigenen Bauten bekannt. Und er hat mit Flury zusammen an einigen Projekten gearbeitet. Die Architektin stellte einige davon in ihrem Vortrag unter dem Motto „Raum und Konstruktion“ vor. Darunter der Wettbewerbsbeitrag zum Neubau des Naturmuseums St. Gallen. Die Fassade des Entwurfes lebt von Plastizität und Tiefe, sie ist abstrahiertes Behältnis, hatte aber mit der Tragwerkslösung noch nicht zusammengefunden.

Oft sind die glatten Fassadenoberflächen dem Dilemma heutiger Bauanforderungen geschuldet: Fassadendämmung verhindert, dass Strukturen sichtbar sind. Immerhin darf sich St. Gallen rühmen, mit dem neuen Bundesverwaltungsgericht eines der seltenen Beispiele einer statisch tragenden Fassade zu besitzen.

Ist nun aber der Ingenieur ein Dienstleister des Architekten? Aita Flury lässt keinen Zweifel daran, dass es zwischen Ingenieur und Architekten ernste Meinungsverschiedenheiten gibt; und dass sich der Ingenieur in ästhetischen Fragen einmischen kann und soll. Bei der Planung für ein Badhaus in der Taminatherme in Bad Ragaz waren Jürg Conzett die geplanten Kuppeln mit Sternenhimmel viel zu wenig zeitgenössisch. Gemeinsam mit Flury entwickelte er eine abgeflachte Lösung, die in der Ingenieurssprache dann kurz und knapp als „mit Diagonalrippen gestützte Platte“ daherkommt. Der Ingenieur nun also doch als unromantischer Techniker? Mitnichten. Er bringt sein kalkulatorisches Wissen ein und verankert gleichzeitig die Bauwerke typologisch und architekturhistorisch. Architekten können zusätzlich den städtebaulichen Bezug leisten, eine Silhouette etablieren und Passantenflüsse mitdenken. Das Ideal sind Architekten und Ingenieure die gemeinsam für Raumfragen begeistern und zum bewussten Hinsehen anregen.

Tanz mit und ohne Alter

Das Tanzfestival Tanzplan Ost geht in die zweite Runde. Die St. Galler Aufführungen für Jung und Alt finden ab nächsten Donnerstag in der Lokremise statt. Aber auch in Altersheimen und im Stadtpark wird getanzt.

Viel wird über das Alter geredet. Oft geht es dabei um Probleme. Tanzplan Ost packt das Thema von ungewohnter Seite an. «Tanz in Generationensprüngen» heisst die zweite Auflage des Tanzfestivals der acht Ostschweizer Kantone und des Fürstentums Liechtensteins. Es will nicht nur das Publikum über alle Altersschranken hinweg ansprechen, sondern die Grenzen auf der Bühne niederreissen.

Eigentlich steht der Tanz, ob klassisch oder zeitgenössisch, nicht für fortgeschrittenes Alter. Im Gegenteil, oft gehören Tanzschaffende ab 35 zum «alten Eisen». Die Gründe scheinen auf der Hand zu liegen, sind doch die physischen Anforderungen gewaltig. Aber sie sind nicht alles.

Tanz ist mehr als akrobatisch anspruchsvolle Bewegung. Tanz lebt von der Präsenz der Tänzerinnen und Tänzer, ihrer Erfahrung und technischen Präzision. Davon kann sich das Publikum kommende Woche in der Lokremise überzeugen.

Den Auftakt machen Cie Prototype Status mit «Caso & Caos» und die Produktion «Ja! Ja! Ja!», eigens für das Tanzfestival entwickelt von der Amerikanerin Sara Pearson und dem aus dem Toggenburg stammenden Patrik Widrig. Die beiden Choreographen arbeiten mit acht Tanzschaffenden aus der Region zusammen: Ältere und Junge sind in diesem Projekt gemeinsam auf der Bühne. Widrig und Pearson nutzen «die besondere Alchemie» der Mitwirkenden, bringen den Erfahrungs- und Lebensaustausch in Gang.

Freie Szene vernetzen

Das Stück entsteht vor allem für Profitänzerinnen und -tänzer, aber auch Laien werden in einer kurzen Sequenz einbezogen. Es ist ein energiegeladenes Stück mit überraschenden Paarungen und eigens komponierter Musik. Der zweite Abend umfasst vier Kurzstücke, eines davon vom Ausserrhoder Philip Amann und Kilian Haselbeck aus Rotterdam. Die beiden haben sich auf der Tournée von Tanzplan Ost 2010 kennengelernt – ein schönes Detail im Rahmen des Tanzfestivals, hat es sich doch auf die Fahnen geschrieben, die freie Szene nicht nur zu fördern, sondern zu vernetzen. Beim Vermittlungsangebot stehen die Laien im Mittelpunkt, so laden die Portugiesin Sonja Ruch und der Schweizer Oliver Dähler in zwei Altersheimen zum bewegten Ausdruck ein. Die Jugend kommt beim Breakdance im Stadtpark zum Zuge. Die Kompanien 9z Crew und Webo Sisters aus dem Jura veranstalten dort mit sechzig Hip Hoppern der Region einen Workshop.

An die ganz Jungen richtet sich die Produktion «Pic Pac» von Bollwerk. Hier wirken Kinder ab zwei Jahren ganz automatisch mit, ihre spontanen Reaktionen werden ins Stück eingebaut. Kinder ab fünf sind zu «ganz und gar wandelbar» der Company Mafalda eingeladen. Im Anschluss dürfen sie und ihre Eltern sich in einem Workshop selbst verwandeln.

Sehgewohnheiten reflektieren

Die Sonntagsmatinée schliesslich regt unter dem Motto «wir tanzen weiter» mit vier Kurzstücken älterer Tanzschaffender die Besucherinnen und Besucher an, Sehgewohnheiten und ästhetisches Empfinden zu reflektieren und zu hinterfragen. Tanz bewegt und will bewegen – auf der Bühne und im Publikum.

Hausfragmente als Erinnerungsbrocken

Die Kunsthalle St. Gallen zeigt aktuelle Arbeiten von Petrit Halilaj. Der Künstler erschafft ausgehend von seiner persönlichen Biografie komplexe, monumentale Installationen.

Ein liegender Vierkantreif aus Stahl, innen hohl, an einer Stelle unterbrochen, mit Ziegelstaub gefüllt, ein weiterer Reif an der Wand lehnend – eine Minimal Art Skulptur? Die offenen Enden sind mit einem geborgenen Rohr verbunden. Sieht die Skulptur nicht aus wie ein Paar riesengrosse Ohrringe?

Angesichts der benachbarten Arbeiten schärft sich der Blick: Jene aneinandergereihten Metallkuben, gefüllt mit grauem, kleinteiligen Schutt fügen sich zu einem überdimensionalen Collier. Die Rhomben mit filigraner Binnenstruktur und voller gelbem Steinstaub erinnern ebenfalls an Ohrgehänge.

Indem die Besucher der aktuellen Ausstellung der Kunsthalle St. Gallen die Gestalt der Werke und ihre gegenständliche Vorlage entdecken, tauchen sie bereits tief in die Inhalte ein. Tatsächlich beziehen sich alle Arbeiten im ersten Saal auf ganz reale Vorbilder: Petrit Halilaj zeigt Schmuckstücke seiner Mutter in hundertfacher Vergrösserung. Auf ebenso subtile wie eindrucksvolle Weise thematisiert er damit nicht nur die eigene Biographie, sondern leistet Erinnerungsarbeit in europäischem Kontext: Halilaj wurde 1986 im Kosovo geboren. Seine Mutter hatte während des Kosovokrieges (1998-1999) ihren Schmuck zusammen mit Kinderzeichnungen ihres Sohnes zum Schutz vor Plünderern auf ihrem Grundstück in Kostërrc vergraben.

Das Grundstück und die Ruine des von seinem Grossvater in den 40er Jahren erbauten und im Krieg zerstörten Familienhauses durchziehen als Verweise, Bilder und in realen Elementen das Schaffen des Künstlers. So liess er steinerne Überreste des Hauses eigens für die Ausstellung nach St. Gallen transportieren und transformieren. Als Gesteinsstaub bedecken sie nicht nur die überdimensionalen Nachbildungen der Schmuckstücke sondern türmen sich im dritten Ausstellungsraum zu einem spitzen Kegel aus dem heraus Stahlbänder in den Raum ausschwingen. Sie tragen gerahmte Zeichnungen exotischer Vögel und Landschaften. Die Bilder stammen aus der vergrabenen Truhe von Halilajs Mutter, sind also frühe Arbeiten des Künstlers. All die Papageien und Kakadus wirken nicht nur in hiesigem Kontext fremd, sondern auch dort, wo sie entstanden. Spiegelt sich in ihnen die pure Lust an Farbe und Form? Sind es Sinnbilder einer Sehnsucht? Zeigt sich in ihnen bereits die Imaginationskraft des Künstlers? Petrit Halilajs Installationen eröffnen ausgehend von der persönlichen Geschichte weite Assoziationsspielräume. Dies gilt auch für sein Video „Who does the earth belong to while painting the wind?!“. Wer sich auf den Gesteinsbrocken des ehemaligen Familienhauses niederlässt, die sich als Sitzgelegenheiten anbieten, erblickt die Umgebung eben dieses Hauses. Eine Hügellandschaft mit Gräsern und Blumen, sich paarenden Käfern, einer Spinne, Faltern – farbenfroh, bewegt, lebendig. Die Natur präsentiert sich so intakt, als wäre es hier nie anders gewesen als idyllisch. Dazwischen sind Archivbilder eingeblendet, die den 13jährigen Halilaj im Kirschenbaum sitzend zeigen, kurz nach der Rückkehr aus dem Flüchtlingslager. Alles Vorherige scheint vergessen und ist es doch gerade nicht. In den unbefangen, unpathetischen Blicken ist alles enthalten, ohne sich aufzudrängen. Auch das Hintergrundwissen zu den Arbeiten schränkt die persönlichen Reflexionsmöglichkeiten nicht ein. Zudem sind die Werke so sorgfältig ausgearbeitet, dass sich auch auf der formal-ästhetischen Ebene zahlreiche Zugänge und Verknüpfungen erschliessen. So wie sich etwa im Video die flirrenden Farben und Formen zu bunten Lichtpunkten auflösen sind die Steine zu Pigmenten zermahlen. Ganz unmittelbar wird hier die Vergangenheit zum Arbeitsmaterial des Künstlers: Aus der Zerstörung heraus entsteht bei Halilaj das Neue.

Zeughaus Teufen

Teufen hat ein Kulturzentrum bekommen. Das sanierte Artillerie-Zeughaus beherbergt seit Anfang Juni das Grubenmann-Museum, eine Gemäldesammlung, einen Ausstellungsraum und den Mehrzwecksaal im Erdgeschoss. Herzstück des Hauses ist das Grubenmann-Museum. Hier werden begreifbare Informationen zu den Holzbauten der Teufener Baumeisterfamilie Grubenmann präsentiert. Mit ihren weit gespannten Konstruktionen wurden sie im 18. Jahrhundert über die Landesgrenzen hinaus berühmt. So passt es ausgezeichnet, dass ihr Werk unter den mächtigen Holzbalken im Dachgeschoss des Zeughauses präsentiert wird. In einem nach fünf Seiten geöffnete Kubus sind unter anderem Modelle, Werkzeuge und Bilderzyklen zu sehen. Daneben ist der Raum bis tief unter die Dachschrägen genutzt für Schaulager, Arbeitsplätze und Archiv. Der erste Stock des von Ueli Vogt kuratierten Zeughauses bietet Sonderausstellungen Platz. Die Eröffnungsausstellung ‘Ausgewogen?!‘ zeigt zeitgenössische künstlerische Positionen, die sich im weitesten Sinne ‘Gewicht und Lasten‘ widmen und damit an die Holzbaukünstler anknüpfen. Zudem wird in zwei Kabinetten das Werk des Appenzeller Landschafts- und Portrait-Malers Hans Zeller (1897 – 1983)  präsentiert.

Das Kornhaus als Kino oder: Die Wut des Gärtners

In der aktuellen Ausstellung im Parterre des Kornhauses Rorschach sind Animationsfilme von Michaela Müller und Nino Christen zu sehen. Ausserdem wird der Entstehungsprozess der Filme gezeigt.

Der Papierstapel ist über 30 Zentimeter hoch. Es sind 3´500 Zeichnungen die da auf einem Sockel liegen. Zwölf von ihnen ergeben eine Sekunde Filmzeit, alle gemeinsam den sechsminütigen Zeichentrickfilm „Little Eden“. Sechs Monate lang hat Nino Christen an den sechs Minuten gearbeitet. Michaela Müllers „Miramare“ hingegen ist acht Minuten lang, er basiert auf nicht weniger als 5´000 Einzelzeichnungen mit Temperafarbe auf eine Glasplatte.

Solch eindrucksvolle Fakten bleiben bei Animationsfilmen zumeist im Hintergrund. Die aktuelle Ausstellung des Vereins Kulturfrühling Rorschach holt sie ins Bewusstsein und mehr noch: Anhand der Originalmaterialien wird der Weg von den ersten Skizzen bis zum fertigen Werk gezeigt.

Sobald die erste Idee trägt, entwickeln die Filmemacher die Charaktere, die Figuren. Bei Nino Christen ist das ein ordnungsfanatischer Schrebergärtner. Der St. Galler Künstler hatte auf seinen Bahnfahrten die Kleingartenvereine entdeckt oder vielmehr das, was man von ihnen durch die Zugfenster sah: in Reih und Glied angeordnete Parzellen, gehisste Flaggen, Enge und Abgrenzung. Daraus entstand die Geschichte eines Kleingärtners, der mit seinem Kontrollzwang die Natur nur vorübergehend bändigen kann. Im Animatic, dem gefilmten Storyboard, wird der gesamte Ablauf festgehalten. Die nächsten Schritte sind die Gestaltung der Hintergründe und die Bewegungsstudien, bei denen der Filmer auch schon mal sich selbst abfilmt. Sind schliesslich die Vorder- und Hintergründe zusammengeführt, folgt die Rohfassung. Dann wird der Sound kreiert und hinzugefügt. Vielleicht liegt es ja am visuellen Geschick der Animateurfilmer, dass sogar Tonkonzepte ein Hingucker sein können so wie bei Michaela Müller.

Ihr Film erzählt in fliessenden, malerischen Bildern, wie sich am Mittelmeer Familienurlaub und Migrantenschicksal für einen Moment lang treffen. „Miramare“ hat weltweit 18 Auszeichnungen gewonnen. Das darf jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass sich Animationsfilmer immer noch in einer Nische bewegen. Oft wird der Trickfilm als lustige Unterhaltung für Kinder gewertet. Dass solche Urteile den Kosmos Animation nicht im Mindesten erfassen, arbeitete Otto Alder anlässlich der Eröffnung der Ausstellung heraus. Der Dozent für Animation an der Hochschule Luzern zeigte das universelle Wesen der Trickfilme auf, das Qualitäten des Spielfilmes weit hinter sich lässt. Der Animationsfilm muss sich keinerlei Gesetzen unterwerfen. Selbst die Schwerkraft kann mühelos umgangen werden. Ein einzelner Künstler kann eine neue Welt erschaffen. Ästhetisch ist laut Alder der Animationsfilm die Symbiose aus Poesie und Karikatur. Letztere verdichtet, reduziert und minimiert, erstere ist verantwortlich für Rhythmus, Symbolik und Metamorphose. Dies lässt sich anhand der beiden Filme aufs Trefflichste studieren. In wenigen Minuten wird der Betrachter in „Miramare“ auf eine Ferienreise mitgenommen, die so manches vertrautes Gefühl weckt und es doch nicht zu behaglich werden lässt. In „Little Eden“ kommen Wohlgefühle von vornherein nicht auf. Und doch stösst der unerbittliche Kleingärtner nicht nur ab. Mitleid stellt sich ein, wenn er in seiner kleinen, begradigten Welt wütet. Hier wird deutlich, was Alder meint, wenn er feststellt: „Animation ist Konzentration der Gefühle“.