Ulrike Kristin Schmidt

Gesammelte Texte

Spiel mit Schnittstellen

In der Galerie Paul Hafner sind neue Werke von Pascal Seiler zu sehen. Der Walliser Künstler experimentiert mit Landschaft und Farbe.

Formt der Himmel den Berg? Oder formt der Berg den Himmel? Es kommt darauf an. Wird der Himmel mit dem Wetter assoziiert, mag das eine stimmen, wenn aber die Kontur der Horizontlinie betrachtet wird, das andere. In der Landschaftsmalerei müsste folglich die Form des Himmels stets der Silhouette des Berges geschuldet sein. Dieser Logik  verweigern sich Pascal Seilers Gemälde. Der 1965 in Steg im Wallis geborene Künstler lotet in seinen Gemälden beide Möglichkeiten aus. Mal schiebt sich ein hellblauer Halbkreis in eine grau-weiss strukturierte Fläche, die nur noch entfernt an schneebedeckte Felsen erinnert. Mal wachsen gipfelartige Zacken ins lichte Blau. Mal senkt es sich herab. Oder alles beginnt, sich umeinander zu drehen. Das Himmelsblau erscheint wie ein weit entfernter Punkt oberhalb eines riesigen Strudels. Wann ist der Himmel noch als solcher erkennbar? Ab welchem Abstraktionsgrad funktioniert dies nicht mehr?

Pascal Seiler hat bereits in früheren Werkphasen die visuelle Prägnanz der Landschaft studiert. Der Walliser Künstler übermalte Landschaftsdetails mit feinem Raster bis sie beinahe verschwanden; aber doch nicht ganz. Auch seine aktuellen, in der Galerie Paul Hafner ausgestellten Bilder sind in jenem Bereich angesiedelt, wo sich die Landschaft gerade noch oder schon nicht mehr fixieren lässt. Per Bildbearbeitungsprogramm wird die fotografische Vorlage verzerrt und dann vergrössert in Airbrushtechnik auf die Leinwand aufgetragen. Mit diesem letzten Schritt, der Übersetzung des digitalen Bildes, reiht Seiler seine Werke in die lange Tradition der Landschaftsmalerei ein. Daneben nutzt er Wege der Landschaftsdarstellung, die nur wenigen offen stehen. Seiler ist Helikopterpilot und hat vor einem seiner Flüge das Cockpitfenster mit Sternen beklebt und in der Luft gegen den Himmel fotografiert. Das wahrgenommene Grössenverhältnis von Sternen und Mond verkehrt sich so ins Gegenteil.

Immer wieder spielt Pascal Seiler mit derartigen Verschiebungen. Seine „Skystones“ haben die Form von Steinen, die Farbe des Himmels und sind Polyesterobjekte an der Wand. Daneben geht über Bergen eine rosafarbene Lawine herunter. Eine Christbaumkugel bohrt sich in einen silbernen Ballon. Und zwischen all dem sitzt ein rosafarbener Hase, einen Ballon zwischen den Läufen, auf einer Zitrone – ebenfalls in Rosa. Die langen Ohren stehen aufgereckt und in steifem Kontrast zu den quellenden Formen unter ihm. Die Assoziationen nehmen unwillkürlich ihren Lauf und das sollen sie, obgleich der Künstler für sich in Anspruch nimmt, zumindest die Farbe ohne alle Hintergedanken gewählt zu haben. Hingegen leben die zweidimensionalen Wolken an der Wand hinter dem Hasentier vom bewusst kalkulierten Kontrast zwischen Rosa und Blau. Oder wie es der Pilot Seiler ausdrückt: „Hier stossen Kaltfronten an Warmfronten und an den Schnittstellen passiert etwas Kräftiges.“

Wer die Schnittstellen in der Ausstellung sucht, sollte sich unbedingt zwischen die beiden Fenster des Galerieraumes stellen und den Blick in den Raum richten, nur so offenbart sich die ausgesprochen gute Hängung der Werke durch den Galeristen. Sie erst zeigt sowohl die kalkulierten als auch spontan entstehende Querbezüge: Ballon gesellt sich zu Ballon, Oval zu Oval, Blau korrespondiert mit Blau, Silberballon mit Silberstein, Stein mit Berg. Wer dann noch ein kleines Stück nach links wechselt, entdeckt zweimal Rosa und zwei Täler – den Wettbewerb um die tiefste Schlucht gewinnen die Hasenohren.

Das Gesehene im Neuen. Porträt Brenda Osterwalder

Der Strom der Bilder wächst ständig, er fliesst durch Internet, Printmedien und Fernsehen. Die Bilder sind verfügbar geworden. Jede und jeder hat die Freiheit, sie sich anzueignen, sie weiterzuverbreiten, zu manipulieren, bereits einfachste technische Ausstattung genügt. Um in dieser Bilderflut nicht entweder in Belanglosigkeit abzugleiten oder ganz und gar unterzugehen, braucht es ein gutes Konzept.

Brenda Osterwalder betreibt Bildforschung. Sie sammelt, was sie berührt: „Ich bin Sammlerin und Verwerterin. Ich sammle Bilder und Sätze, die etwas in mir anstossen. Sie sind das Grundmaterial für meine ganz private, unwissenschaftlich postmoderne Forschungsmethode: Indem ich Worte und Bilder isoliere, in einen anderen Kontext stelle, sie verändere, ergänze, zusammenführe und neu betitle, privatisiere ich sie, eigne ich sie mir an.“ Brenda Osterwalder speichert das Material, aber noch selten digital. Die Künstlerin schneidet aus, scannt, druckt aus, kopiert und klebt. Die Bilder füllen dicke leinengebundene Bücher. Zwischen den Fotografien: Sätze, Zeichnungen, filmstripartige Sequenzen. Letztere verweisen nicht zufällig auf Osterwalders Ausbildung: Studiert hat sie Film an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin.

Osterwalders Bücher offenbaren ein intuitiv angelegtes Weltbild, eine künstlerische Brain Box. Sie nimmt die Bilder in Besitz, um sie weiterzuverarbeiten. Als die gebürtige Rheintalerin Anfang der 90er Jahre die Schule für Gestaltung in St. Gallen besuchte, wurde noch ausgiebig nach der Natur skizziert und streng getrennt zwischen Gebrauchsgrafik und elitärem Kunstanspruch. Darin empfand die Künstlerin schon damals oft eine Diskrepanz zur Lebensrealität: „Es gibt so viele Wirklichkeiten.“ Und schier unendliche künstlerische Möglichkeiten: „Ein gefundenes Bild muss nicht weniger wert sein als ein selbst gezeichnetes.“ Wichtig ist sein inhaltliches Potential. Vor drei Jahren begann die in Speicher lebende Künstlerin zu malen. Sie setzte von Anfang an auf intuitiv ausgewählte und malerisch prägnant umgesetzte Motive. Die Serie zu Bruno Manser etwa ist in dramatischen Rottönen gemalt. Weisse Farbe bringt Leuchten und Tiefe ins Bild, ebenso die gezielt eingesetzten, wenigen Kontrastfarben.

Gefördert mit einem Werkbeitrag des Kantons St.Gallen arbeitet Osterwalder derzeit an ihrem Projekt „Holzfällen“. Ausgehend von einem hundertfünfzig Jahre alten Foto eines gefällten Redwood-Baumes untersucht sie die damalige Bildkultur, den unbefangenen Umgang mit der Natur: Was war damals abbildenswert? Wie wurden die Fotografien inszeniert? Welche Gesinnung schwingt in ihnen mit? Wie wirkt der damals als heroisch wahrgenommene Akt des Baumfällens heute? Eine kleine Schwarzweissfotografie ist der Auslöser für eine viele Bilder umfassende Recherche.

Osterwalder setzt sich intensiv mit ihren Bildern auseinander. Dazu gehört, dass sie ein Thema oft über mehrere Werke hinweg verfolgt, dass Gemälde mitunter die Chronologie der Ereignisse spiegeln und dass ein Motiv immer wieder in anderen Kontexten auftauchen kann. Damit reflektiert die 1971 geborene Künstlerin einerseits den heutigen Bilderkonsum. Andererseits bekommt das einzelne Bild immer neue Dialogpartner zugewiesen und kann uns immer neue Geschichten erzählen.

Kunstraum Kreuzlingen: Drunk in Charge of a Bicycle. Rachel Lumsden

Rachel Lumsdens jüngste Gemälde zeigen Menschen beim Spiel. Was jedoch zunächst wie harmloses Roulette, Bingo oder Bowling aussieht, sind verstörende Bilder heutiger Lebensrealität. Motive, Farbauftrag und die dreckig und grau anmutenden Farbtöne gehen eine Symbiose ein.

„Watergiven“: Was fehlt jenen Figuren in roten Jacken und weissen Hosen, mit Reiterhelm und Reitstiefeln? Die Pferde, der Fuchs? Die Männer stehen und gehen in einem ummauerten Geviert; sie halten die Zügel, doch Pferde und Fuchs sind nicht zu sehen. Die ehemals Berittenen scheinen darob nicht sonderlich beeindruckt. Sie verfolgen ihr Tun, auch wenn es seine Grundlage verloren hat, sie halten sich an längst überholte Regeln. Schillers Erkenntnis, der Mensch spiele nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und sei nur da ganz Mensch, wo er spielt, bekommt angesichts der Gestalten in Rachel Lumsdens Gemälden einen seltsamen Beigeschmack.

Die Künstlerin (1968 geboren in Newcastle upon Tyne und seit 2002 in St. Gallen) entlarvt die Jagd als Spiel und das Spiel als sinnentleerten Zeitvertreib gleichgeschalteter Individuen. Dies geschieht jedoch nicht vordergründig kritisch oder dogmatisch, sondern getragen von einem aufmerksamen Blick für die brüchigen Stellen des Lebens, für die Leere hinter der Ordnung, für die Angst hinter der Fassade, getragen ausserdem von der Malerei selbst.

Wo zeitgenössische Malerei allzu oft das eine oder das andere verfolgt – das Medium untersucht und hinterfragt, oder das Motivische in dem Mittelpunkt rückt, sind in Rachel Lumsdens Gemälden das Motiv, der Gestus und die Farbe zu einer Einheit verwoben. In „Pitstop“ etwa stehen Glücksspieler in Hemd und Krawatte am Spieltisch, sorgfältig gestapelte Spielchips vor sich widmen sie sich unbeirrt ihrem Tun, obgleich der Spieltisch beginnt, sich aufzulösen. Die nummerierten roten und schwarzen Rechtecke verschwinden in sumpfigen Farben – ein schwarzgrüner Schlund tut sich auf, bereit, alles zu verschlingen.

Die Farbe löst sich von Gegenstand und Form und verselbständigt sich zu einem rein materiellen Farbereignis, das aber wiederum im Bild eine Rückkopplung erfährt. Teppiche, Wandflächen, Decken bieten in Rachel Lumsdens Gemälden nicht nur Handlungsraum für die Protagonisten der Bilder, sondern sind gestalteter Gegenpart. In vielen der im  Kunstraum Kreuzlingen ausgestellten Bilder frisst sich Schwarz in die anderen Farben hinein und bringt sie gleichzeitig zum Leuchten, obwohl sie gar nicht strahlend sind. Eher wirken die abgetönten Farben verunreinigt, verdreckt, giftig. Gerade darin aber spiegeln sie die Verlorenheit der Spieler und die Realität menschlicher Beziehungen glaubwürdiger als jeder reine Ton.

Kunstmuseum Lichtenstein: Tony Smith, Seton Smith, Kiki Smith

Tony Smith, Kiki Smith, Seton Smith – Werke des Vaters und seiner Töchter, dieser profane Ansatz überrascht zunächst: eine Verwandtschaftsbeziehung als Anlass für eine gross angelegte Ausstellung im Kunstmuseum Liechtenstein? Gibt es da neben der Frage der Bezugnahme der Töchter auf den Vater auch noch etwas anderes zu entdecken? Gibt es. Kiki Smith und Seton Smith haben ohnehin eigenständige Positionen entwickelt. Kiki Smith verwebt kulturhistorisches Wissen und Erleben ineinander. Den wahrgenommenen Einfluss des sozialen und kulturellen Umfeldes auf Körper und Geist übersetzt sie in komplexe Körperskulpturen, Tapisserien, Bilder. Seton Smith konzentriert sich hingegen auf den Einfluss des gebauten Raumes auf das Individuum. Aus der Alltagsbeobachtung heraus entstehen Fotografien, in denen stets das Unheimliche, Fremde mitschwingt. Während die Architekten der Vatergeneration konstruktive Strukturen entwickeln, deckt Seton Smith die Fallen dieser Strukturen auf. Die eigentliche Entdeckung in der ursprünglich für die Kunsthalle Bielefeld kuratierten Ausstellung sind gerade jene architektonischen Arbeiten Tony Smiths. Erstmals werden seine Gemälde sowie die Modelle und zeichnerischen Entwürfe in Europa gezeigt. Sie sind die logische Vorstufe zu „DIE“, dem ersten autonomen Kubus der Kunstgeschichte – auch in Vaduz zu sehen.

Coalmine Gallery, Winterthur: Bournout. Dimitris Michalakis

Kürzungspaket, Steuererhöhungen, Abbau der Verwaltung, Gehaltssenkungen: Diese Begriffe beherrschen die Berichte über die griechische Staatsfinanzkrise. Auch von Demonstrationen ist die Rede, von Arbeitslosigkeit und Protesten, aber was bedeutet das alles konkret? Wie sieht es in einem Land aus, das sich seit fünf Jahren in einer tiefen Rezession befindet? Dimitris Michalakis fotografiert die Menschen, das Land, öffentliche Plätze und Interieurs. Etwa ein leerstehendes Bett in der Psychiatrie – das Sparpaket erlaubt keine adäquate Betreuung der Insassen mehr; oder einen gehbehinderten Mann, der in seinem Auto lebt; drei herausgebrochene Zahnkronen.

Die Krise hat ihre lauten Seiten, Michalakis konzentriert sich auf die leisen Aspekte, jene, die im Ausland wenig wahrgenommen werden. Strassenschlachten klammert der Fotograf nicht aus, zeigt sie aber in berührenden Nahansichten. So sagt der abweisende, durchdringende Blick eines Polizisten über seinem Schild mehr über den Konflikt des Systems aus, als Krawalle und Brandsätze. Auch die Aufnahme einer menschenleeren, von geworfenen Steinen übersähten Strasse ist ein ungewohntes, aber ausdrucksstarkes Bild. Die Fotografie ist zudem ein gutes Beispiel für den gestalterischen Anspruch des 1977 geborenen Griechen. Sorgfältig sind die Hell-Dunkel-Kontraste ins Bild gesetzt. Die Farbigkeit ist düster, aber ausgewogen. Komposition, Bildtiefe, Horizont sind nicht dem Zufall überlassen.

Michalakis bewegt sich auf der Grenze zwischen Fotojournalismus und Kunstfotografie. Licht, Aufbau, Szenerie seiner Bilderserien sind durchgestaltet. Zwar dokumentiert Michalakis das aktuelle Zeitgeschehen, versteht sich aber nicht als Nachrichtenfotograf auf der Suche nach dem spektakulären, schnellen Bild. Seine Aufnahmen sind nicht neutral und lassen dennoch Raum zur Interpretation. In der Ausstellung in der Coalmine Gallery wird dies noch durch die Hängung unterstützt. Viele der Werke sind zu Paaren geordnet. Ein gekentertes, vor sich hin rostendes Schiff vor der Küste Eleusinas korrespondiert mit den kippenden Linien einer Aufnahme der Betonwüste Athens. Die Silhouette eines Hundes vor der Stadt findet ihre ästhetische Entsprechung in einem von Qualm umgebenen Demonstranten. Gestapelte Suppenschalen aus weissem Kunststoff wiederum stehen für sich – ein minimalistisches Motiv, in dem ebenfalls zahllose Geschichten von Einsamkeit, Verwahrlosung und Resignation verborgen sind.

Minimale Form – Maximale Wirkung

Flavins Lichtarbeiten lösen die Grenzen auf zwischen Werk, Raum und Betrachter. Das Kunstmuseum St. Gallen zeigt eine repräsentative Auswahl seiner Arbeiten aus handelsüblichen Leuchtstoffröhren.

„the diagonal of may  25, 1963 (to Constantin Brancusi)“ – eine gewöhnliche, gelbe Leuchtstoffröhre von 244 Zentimetern Länge. Dan Flavin hatte sie in ihrer Halterung diagonal an der Wand seines Ateliers befestigt – eine radikale und folgenreiche Entscheidung. Flavin erkor ein kommerziell verfügbares Alltagsding als ausschliessliches Arbeitsmaterial.

Leuchtstoffröhren mussten weder eingefärbt, noch spezifisch in Form gebracht werden und waren damit perfekt geeignet für die später als Minimal Art bezeichnete Kunst. Im Gegensatz zu Künstlerkollegen, die ihre Werke herstellen liessen, konnte sich Flavin weltweit in den nächsten Elektroladen begeben, Röhren aus der begrenzten Vielfalt von vier standardisierten Längen und zehn Farben auswählen und seine Werke vor Ort schaffen. Daraus ergab sich für ihn eine grosse modulare Vielfalt von der Einzelröhre bis hin zu Raum umspannenden Installationen – wie die aktuelle Ausstellung im Kunstmuseum St. Gallen in einer konzentrierten und repräsentativen Auswahl zeigt. Schon für das Jahr 1991 hatte das Museum eine Einzelausstellung von Dan Flavin geplant, Einladungskarte und Plakat existierten bereits. Doch wegen gesundheitlicher Probleme des Künstlers musste das Projekt kurzfristig abgesagt werden.

Nun konnte gemeinsam mit dem mumok Wien eine Ausstellung realisiert werden und es gelang sogar, drei der frühen Icons nach St. Gallen zu holen. Sie sind Flavins erste Lichtwerke und entstanden in den frühen 1960er Jahren. Der Künstler montierte handelsübliche Glühlampen oder Leuchtstoffröhren auf monochrom bemalten Holzkörpern. Den gelben erleuchtet eine Glühbirne, der rote hat leuchtenden Gegenpart, und der schwarze mit diagonaler weisser Röhre erinnert an Malewitschs berühmtes „Schwarzes Quadrat“. Flavin bezieht sich mit den Objekten auf die Ikonenmalerei einerseits und die russische Avantgarde andererseits. Sie besitzen eine magische Präsenz und wollen doch nichts weiter sein als nackte Tatsache: „Auch ich war fasziniert von der spontanen, alles andere nahezu ausschaltenden Wahrnehmung fluoreszierenden Lichts als Bild. Inzwischen weiss ich, dass die physische Leuchtstoffröhre sich niemals auflöste.“

Genau diese Ambivalenz prägte Flavins gesamtes Werk und sorgte bei Publikum und Kritikern von Anfang an für ziemliche Verwirrung. Einerseits bleiben die Leuchten nüchterne, unveränderte Form ohne hinzugefügte symbolische Werte. Andererseits lässt das Leuchten die physische Materialität der Röhre zurücktreten – die Präsenz des unkörperlichen Scheins überwiegt.

Flavins Lichtarbeiten unterlaufen die klaren Konturen und Proportionen der Museumsräume, färben sie ein mit ihrem Licht und lösen die Grenzen zwischen Werk, Raum und Betrachter illusionistisch auf. Flavin proklamierte Klarheit, statt Mystifikation: „Ich ziele auf rasche Einsichten ab – Situationen, in die man sich kurzfristig begibt, hinein und wieder hinaus.  Ich glaube, dass einem in diesem besonderen Lichtraum explizite Momente wiederfahren.“ Das lässt sich in der Ausstellung aufs Beste überprüfen. Beispielsweise im Oberlichtsaal, der in einen beidseitig begehbaren Korridor verwandelt wurde. Eine Stirnwand füllen grüne Leuchtstoffröhren und auf der Rückseite sind es gelbe. Hier scheint das Grün als Türkis durchzuscheinen, auf der anderen Seite verwandelt es sich langsam in Weiss. Das Gelb hingegen erscheint als Orange. Angesichts der überwältigenden Farbwirkung versucht das Auge, sich neu zu kalibrieren. Alles bleibt analysierbar. Flavin geht es nicht im Effekte, sondern um Farbe, Licht und Raum.

Im Saal mit der Lichtinstallation untitled (to a man, George McGovern) 1,2, 1972 fügen sich kreisförmige Leuchten in Dreiecksformation in die Raumnecken ein und überstrahlen diese zugleich. Zwei Versionen werden präsentiert, eine in kaltweissem Farbton und die andere in warmweiss. Flavin spielt mit Ornament und Geometrie, mit dem Kontrast zweier Farbnuancen und der für einmal anderen Basisform der Leuchtstoffröhre. Gewidmet ist das Werk dem demokratischen Präsidentschaftskandidaten und Kriegsgegner McGovern und erhält damit einen politischen Unterton. Fast alle der Werke Flavins tragen solche Widmungen und widersprechen damit minimalistischen Gepflogenheiten.

Im ersten Raum ist die Constantin Brancusi gewidmete gelbe Neonröhre flankiert von der Arbeit the nominal three (to William of Ockham), 1963. Der mittelalterliche englische Theologe und Philosoph verkörpert die strikte Trennung von Glaube und Wissen und ist damit für Flavin eine markante Identifikationsfigur. Bei „monuments“ for V. Tatlin erweist Flavin dem russischen Avantgardisten seine Referenz. Flavin antwortet aufs Tatlins Modell eines Turmes mit einem modularen Konstrukt aus allen vier Leuchtstoffröhrenlängen. In über 30 Jahren entwickelte er die unterschiedlichsten Varianten. In St. Gallen sind sechs davon so in den Raum verspannt, dass der sequenzielle Charakter der Werkgruppe betont wird und kein Verdacht der Monumentalität aufkommt. Flavin selbst setzte den Begriff des „Denkmals“ in Anführungszeichen: „um zu zeigen, wie absurd solche Dinge heute sind. Meine ‚Denkmäler` verlöschen, wenn die Lampen ihren Geist aufgeben – nach ca. 2100 Stunden.“ Dan Flavins Werke sind temporäre Markierungen im Raum, ambivalent und in schillernder Qualität.

NZZ am Sonntag

Farbe = Fläche

Ernst Wilhelm Nays Thema ist die Farbe. Unter dem Titel „Ernst Wilhelm Nay – Das polyphone Bild“ stellt das Museum Liner Gouachen, Aquarelle und Zeichnungen des Künstlers aus.

Ernst Wilhelm Nay (1902–1968) gehört zu den Hauptvertretern abstrakt-gestischer Malerei in Europa. Bisher hat es in der Schweiz keine umfassende Präsentation seines Gesamtwerkes gegeben. Dabei ging  ausgerechnet ein Aufenthalt in der Schweiz mit einer ganz wesentlichen Zäsur in seinem Werk einher: Im Februar und März 1955 verbrachte Nay mehrere Wochen in Crans sur Sierre im Wallis. Hier schuf er grossformatige Aquarelle, die eine radikale Neuausrichtung seines künstlerischen Schaffens einleiteten. Nay verzichtete auf die zuvor ausgiebig verwendeten linearen Bahnen und konzentrierte sich ganz auf die Scheibenformen. Ab 1955 und für die nächsten sechs Jahre bestimmen sie sein Schaffen und schliesslich die gesamte Rezeption seines Oeuvres.

Die reine Abstraktion steht im Zentrum des Werkes von Ernst Wilhelm Nay. Wie konsequent er den Weg dorthin geht und wie lang dieser ist, zeigt die aktuelle Ausstellung im Museum Liner. Nay fügt sich hervorragend ins Programm des Museums, da er einerseits die Reihe der Ausstellungen mit Klassikern des 20. Jahrhunderts sinnvoll ergänzt und sich andererseits zwei seiner malerischen Hauptwerke in der Sammlung der Stiftung Liner Appenzell befinden. Gemälde stehen allerdings nicht im Fokus der vom Kunstmuseum Bonn gemeinsam mit der Ernst Wilhelm Nay Stiftung entwickelten Ausstellung, sondern Nays Arbeiten auf Papier. Doch auch in diesem Medium, ja sogar vor allem hierin zeigen sich alle Stufen seines Werkes.

Der Künstler unterschied nicht hierarchisch zwischen dem Malen und dem Zeichnen. Wenn er Tusche mit Pinsel oder Feder auftrug, Tinte, Bleistift oder Kohle benutzte, dachte er ebenso malerisch wie vor der Leinwand. Besonders deutlich wird dies im Blatt „Der Hirte“, 1948 mit zweimal dem gleichen Motiv, einmal als reine Bleistiftzeichnung und rechts daneben mit Farbe überarbeitet. Der direkte Vergleich zeigt, dass Nay nicht einfach schraffiert um Schattierung anzudeuten, sondern der Grauwert als Ton mitgedacht wird. Die grau nuancierten Flächen sind wie Farbfelder zueinander gesetzt.

Zeichnung und Malerei sind gemeinsam Teile des Weges vom gegenständlichen zum abstrakten Bild. Er beginnt mit Landschaften in den 1920er Jahren, führt über mythische Menschendarstellungen in den 1940ern zur rhythmischen Werkgruppe der „fugalen Bilder“ ab 1949. Die chronologische Hängung offenbart, wie der Punkt als Keimzelle der Scheibenform fungiert, wie der Strich stetig freier, die Dynamik grösser und die gegenständliche Abbildung weniger wichtig werden. Ab Ende der 1940er Jahre fühlt Nay sich stark genug, das formale Bild direkt anzugehen, ohne formalistisch zu sein. Seine Kunst setzt sich zusammen aus Fläche, Farbe und Linie. Jedes Mittel hat besondere Eigenart. Alles befindet sich zueinander in Relation. Die Linie kann mit der Farbe übereinstimmen, indem sie deren Rhythmus bestätigt und verstärkt, oder sie agiert selbstständig. Sie grenzt ein, grenzt aus, schafft Formen – bis Nay die Fläche einzig durch Scheiben souverän orchestriert. Es folgen die Augenbilder mit ihren mandelförmig zusammengefügten Kreissegmenten und schliesslich das Spätwerk mit seiner überraschenden Nähe zu Matisse: Ein Höhepunkt, auch in der Ausstellung.

Kunst, Käse und Siedwurst

Andrew Holland ist seit November 2012 Direktor der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia. Seine Wurzeln hat der gebürtige Engländer auch in Herisau.

Musik, Literatur, Theater und Tanz – die Pro Helvetia fördert zeitgenössisches Kunstschaffen, den kulturellen Austausch aller Sparten und deren Vermittlung in der Schweiz und im Ausland. Seit 5 Monaten nun ist Andrew Holland der neue Leiter der Schweizer Kulturstiftung. Aufgewachsen ist der gebürtige Engländer in Herisau.

Der Sohn eines Briten und einer Herisauerin kam mit 6 Jahren nach Ausserrhoden, in einem Alter also, in dem Kinder ein neues Umfeld bewusst wahrnehmen und sich Eindrücke bereits fest in die Erinnerung eingraben. Landschaft und Brauchtum waren es vor allen Dingen, die den Knaben faszinierten: „Ich war tief beeindruckt vom Alpsteinmassiv, vom Säntis.“ Kein Wunder, wenn einer aus dem flachen England kommt, mit der Familie am Meer gelebt hatte. Dann waren da das Silvesterchlausen, die Alpabfahrten, der Umzug der Blochgesellschaft, Gidio Hosestoss – das tief verwurzelte, lebendige Brauchtum war neu für Andrew Holland, es bescherte ihm intensive sinnliche Erlebnisse und das Gespür für appenzellische Eigenständigkeit und Originalität. Wurde damals bereits Hollands besondere Leidenschaft für die Kultur geweckt? Auf jeden Fall übertrug sich etwas von der empfundenen Urkraft auf Andrew Holland, seine Wurzeln spürt er seither auch im Appenzellerland.

Die kulturellen Ambitionen verstärkte Holland dann spätestens in St. Gallen. Er begann an der Hochschule in St. Gallen Recht zu studieren und engagierte sich beim Kulturraum Herrmann im St. Galler Berneggstollen. Dort organisierten Gleichgesinnte in den 1990er Jahren gemeinsam Konzerte, Ausstellungen, Performances und Theaterabende. Holland erinnert sich, dass auch der Graben zwischen Tal und Rosenberg klein war, die zwei Welten hatten durchaus Schnittstellen: Kunstbegeisterte und kreative Studierende fanden sich zusammen und veranstalteten Aktionen in der Stadt. Damals erfuhr Holland bereits auf unmittelbare Weise, welche Bedürfnisse es in der freien Kulturszene gibt, welche Grundbedingungen erfüllt sein müssen, damit sie gedeihen kann – etwas, dass ihn bis heute prägt. Später arbeitete er als Dramaturg verschiedener Tanz- und Theaterkompanien der freien Szene, engagierte sich für das Tanzhaus Zürich und in der Programmgruppe Theater/Tanz der Roten Fabrik. Er war Mitinitiator und Co-Leiter des «Projekt Tanz», einer Initiative von Bund, Kantonen, Städten und der Tanzszene zum Aufbau einer umfassenden Tanzförderung. 2004 wechselte er als Leiter der Abteilung Tanz zur Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia und übernahm anfangs 2009 die Leitung des Bereichs Förderung sowie die Aufgabe des stellvertretenden Direktors.

Andrew Holland verfolgt die regionale Tanzszene und deren Protagonisten auch dann noch aufmerksam, wenn sie im Ausland arbeiten. Und wenn sie dann wieder hierzulande auftreten, freut ihn das sehr. Der TanzPlan Ost machte es im vergangenen Jahr möglich. In diesem Jahr bietet das Kantonsjubiläum ARAI500 manch einem der inzwischen international arbeitenden Künstler einen Anlass zur zeitweiligen Heimkehr. Und Holland selbst, wie ergeht es ihm als Weggezogenem? Auch ihn zieht es immer wieder in die Heimat, in beide Heimaten: Nach England ebenso wie ins Appenzellerland „zu Kunst, Käse und Siedwurst“. Besonders bei ersterer hat sich viel getan: „Mitunter werfe ich von Zürich aus neidvolle Blicke. Ich bewundere die Dynamik wie Themen aufgegriffen und erforscht werden.“ Beispiele dafür findet Holland in der Kulturlandsgemeinde und im Obacht-Kulturheft oder im letztjährigen Jubiläumsprogramm des Bücherladens Appenzell: „Ich finde es wunderbar, wenn solche Initiativen zustande kommen und umgesetzt werden.“ Und er rechnet fest damit „dass da noch viel passiert.“

Wenn sechs neun wären

Das Nextex zeigt seit dem Umzug an den Blumenbergplatz die erste Ausstellung zweier Künstler und einer Künstlerin. Joëlle Allet, Peter Dew und Ray Hegelbach präsentieren kleine und grosse Realitätsverschiebungen.

„Zwei mal drei macht vier, widewidewitt und drei macht neune“ singt die eine, „if six was nine“ der andere. Pippi Langstrumpf und Jimi Hendrix mögen wenig gemein haben, aber beide Liedtexte stimmen nicht nur in der lockeren Einstellung zum Rechnen und zu Zahlen überein. Sie erzählen von unabhängigen, starken Persönlichkeiten, ihrer Lebenslust und autonomen Weltsicht. „If six were nine“ heisst nun die aktuelle Ausstellung im Nextex und weckt angelehnt an Hendrix‘ Song einige Erwartungen.

Bereits im Aussenraum wird ein Hingucker präsentiert: Eine Rolltreppe führt ins Obergeschoss des Bürogebäudes, genauer gesagt, das Signet einer solchen. Weiss und auffällig an der Fassade platziert, unterstreicht sie einerseits den urbanen Charakter des Blumenbergplatzes und lenkt andererseits die Aufmerksamkeit nach oben; denn wie schon zuvor in der Schmiedgasse bespielt das Nextex hier den ersten Stock und kann nicht von einer Schaufenstersituation profitieren.

Joëlle Allet (*1980) entwickelte mit „Upstairs“ eigens für die Ausstellung also eine elegante Idee, um die Sichtbarkeit zu steigern, und bleibt gleichzeitig ihrer Formensprache treu. Die in Sirnach lebende Künstlerin untersucht Präsenz und funktionale Ausstrahlung von alltäglichen Objekten. Mit feinsinnigen Transformationen der Grösse, des Materials oder der Form rückt sie Gegenstände in ein anderes Licht oder bringt deren ästhetische Qualität überhaupt erst zu Bewusstsein. In der vor wenigen Wochen zu Ende gegangenen „Heimspiel“-Ausstellung zeigte Allet einen Luftbefeuchter in perlmuttglänzendem Camouflagemuster und lieferte damit einen ironischen Kommentar zu den niedergerissenen Grenzen zwischen Kunst und Alltagsobjekt. Im Nextex lassen nun überdimensionale Kreisel aus Giesskeramik vage Zerbrechlichkeit erahnen und erinnern mit ihren farbigen Ringen zugleich an Angelzapfen. Spiel und (Fisch)-fang kommen sich einmal mehr sehr nahe.

Wenige Meter weiter macht sich ein Schwarm aus gestutzten hölzernen Tragflächen parat zum Flug. Auch bei diesem Werk überzeugt Allet mit ihrem Gespür für Material und die präzise Umsetzung – Eigenschaften, die auch für Peter Dew gelten. Anders als Allet arbeitet der St. Galler Künstler (*1967) jedoch mit Fundstücken. Sie werden in neuen Kontexten eingesetzt oder miteinander kombiniert. Waren sie zuvor unscheinbar und wertlos, entfalten sie jetzt poetische und narrative Qualitäten. So sind etwa das Fragment eines verwelkten Blattes, eine vertrocknete Schote oder sogar Vogelkot in transparenter Folie verpackt. Sie kommen ohne vorgefertigte Bedeutung daher. Gleich einer Ausstellung in der Ausstellung verweisen sie auf Fragen bildlicher und systematischer Repräsentation und erzählen kleine Naturgeschichten.

Peter Dews Werke sind fragil, mitunter leicht zu übersehen und dennoch gewichtig in ihrer Ausstrahlung. Im Gegensatz dazu sind die drei gezeigten Gemälde Ray Hegelbachs (*1983) grossformatig, kontrastreich, aber nicht sehr inhaltsschwer. Der Zürcher Künstler übersetzt Diagramme in grobe Grisaille-Malerei. Der Ansatz, die abstrakte Sprache der Statistik in Malerei zu übertragen, ist nicht ohne Reiz, überzeugt aber in der Umsetzung noch nicht.

Lohnender ist es stattdessen, den Bonustrack der Ausstellung zu suchen: Peter Dew hat mit „Don´t you dare“ der Ausstellung noch ein sehenswertes, nicht in der Werkliste verzeichnetes Extra hinzugefügt, eine Arbeit, die auf den Raum reagiert, sich optisch, aber nicht funktionell einfügt und so in spannungsvoller Schwebe verharrt.

Gold statt Dreck

Barbara Signer und Michael Bodenmann erhielten 2012 einen Werkbeitrag der Stadt St. Gallen. In ihrer gemeinsamen Ausstellung „Wash Away Dirt The Elucidation“ loten sie die Grenzen aus zwischen Realität und Imagination.

Exotisch ist, was anders ist: fremd, selten und am besten von ganz weit her. In der Exotik spiegelt sich der Wunsch, dem immer gleichen Alltag zu entfliehen. In der Konsumgesellschaft wurde die Exotik zum Massenphänomen. Doch die Sehnsucht nach dem Unverbrauchten, Fremden lässt sich je weniger befriedigen, desto mehr Bilder und Berichte darüber zirkulieren, erst recht, wenn die Motive in diesem Kreislauf an ihren Ursprungsort zurückfinden. Wenn etwa das Signet einer japanischen Bar einen Herrn mit Schnauzbart, Frack, Fliege und Whiskyglas zeigt, spielt es mit europäischer Tradition ebenso wie mit einem Klischee der amerikanischen Prohibition. Wenn dieses Bild dann hier präsentiert wird, verliert es seine Exotik und hat höchstens noch anekdotischen Charakter.

Barbara Signer und Michael Bodenmann sind weit gereist. In ihren Arbeiten reflektieren sie die Brüche zwischen Fremdartigkeit und Normalität, zwischen Sehnsüchten und Realität. Beide Künstler erhielten im vergangenen Jahr einen Werkbeitrag der Stadt St. Gallen und zeigen nun im Architekturforum im Lagerhaus die Ergebnisse ihrer Arbeitsaufenthalte in China und Japan.

Im Zentrum der Ausstellung steht ein weisser Kubus. Zunächst wirkt er vollständig geschlossen, doch zur Rückseite des Raumes hin gibt eine türgrosse Öffnung den Blick auf das Innenleben frei. Nicht nur Blicke sind erlaubt, auch das Eintreten. Alles ist weiss, Innenwände, Decke, Boden, Beleuchtung und der Sockel in der Mitte. Darauf ist mit einer Nadel ein kleines Korallenstück gepinnt. Die Reduktion von Form und Farbe des Raumes lässt sofort an den White Cube denken. Überdies liesse sich der Kubus als Gegenstück zur Gestaltungsvielfalt des zeitgenössischen Lebens interpretieren, wäre da nicht die Musik. Sie dudelt vor sich hin, anspruchslos, gefällig, in der immer gleichen Schleife. Das japanisch-hawaiianische Popmusikstück lief in einer Bar und könnte das aber genauso gut in einem Kaufhausaufzug vor sich hin leiern. Plötzlich fällt auf, dass der Kubus nicht nur ein Zitat der architektonischen Moderne ist, sondern in seinen Dimensionen wohl nicht zufällig an einen Aufzug erinnert. Die scheinbare Reinheit in Farbe und Form löst sich auf in der profanen Wirklichkeit.

Und was hat es mit jenen goldfolienummantelten Bäumen auf sich in einer fünfteiligen Fotoserie? Die Vermutung liegt nahe, dass die Künstler mit dem Einpacken der Stämme die seltsam geordnete Rabattenanlage vor den Neubaublocks konterkarieren. Aber nichts da. Signer und Bodenmann haben die merkwürdige Anlage genauso vorgefunden wie sie sie abgelichtet haben. Mit der Goldfolie inmitten der in Reih und Glied sortierten Natur wird eines der riesigen chinesischen Neubauprojekte gefeiert. Absurd? Vielleicht, aber nicht absurder als die Aufforderung einer chinesischen Waschanleitung: „Wasche weg den Dreck die Erläuterung“, die den Titel für die Ausstellung lieferte. Barbara Signer und Michael Bodenmann finden die seltsamen Missverständnisse beim Aufeinandertreffen unterschiedlicher Vorstellungswelten. Selbst kleinste Verschiebungen registrieren die beiden Künstler aufmerksam. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel für ihren wachen Blick bildet die Arbeit „Furano“ – die Fotografie eines unscheinbaren japanischen Hauses. Bei diesem Bild stimmt einfach alles, die Farbe, der Aufbau, das Motiv, die Schärfe, das Licht.

Signer und Bodenmann haben noch viel mehr Material von ihrer Reise mitgebracht und es bleibt spannend, wie es damit weiter geht.