Kunstraum Kreuzlingen: Drunk in Charge of a Bicycle. Rachel Lumsden

by Kristin Schmidt

Rachel Lumsdens jüngste Gemälde zeigen Menschen beim Spiel. Was jedoch zunächst wie harmloses Roulette, Bingo oder Bowling aussieht, sind verstörende Bilder heutiger Lebensrealität. Motive, Farbauftrag und die dreckig und grau anmutenden Farbtöne gehen eine Symbiose ein.

„Watergiven“: Was fehlt jenen Figuren in roten Jacken und weissen Hosen, mit Reiterhelm und Reitstiefeln? Die Pferde, der Fuchs? Die Männer stehen und gehen in einem ummauerten Geviert; sie halten die Zügel, doch Pferde und Fuchs sind nicht zu sehen. Die ehemals Berittenen scheinen darob nicht sonderlich beeindruckt. Sie verfolgen ihr Tun, auch wenn es seine Grundlage verloren hat, sie halten sich an längst überholte Regeln. Schillers Erkenntnis, der Mensch spiele nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und sei nur da ganz Mensch, wo er spielt, bekommt angesichts der Gestalten in Rachel Lumsdens Gemälden einen seltsamen Beigeschmack.

Die Künstlerin (1968 geboren in Newcastle upon Tyne und seit 2002 in St. Gallen) entlarvt die Jagd als Spiel und das Spiel als sinnentleerten Zeitvertreib gleichgeschalteter Individuen. Dies geschieht jedoch nicht vordergründig kritisch oder dogmatisch, sondern getragen von einem aufmerksamen Blick für die brüchigen Stellen des Lebens, für die Leere hinter der Ordnung, für die Angst hinter der Fassade, getragen ausserdem von der Malerei selbst.

Wo zeitgenössische Malerei allzu oft das eine oder das andere verfolgt – das Medium untersucht und hinterfragt, oder das Motivische in dem Mittelpunkt rückt, sind in Rachel Lumsdens Gemälden das Motiv, der Gestus und die Farbe zu einer Einheit verwoben. In „Pitstop“ etwa stehen Glücksspieler in Hemd und Krawatte am Spieltisch, sorgfältig gestapelte Spielchips vor sich widmen sie sich unbeirrt ihrem Tun, obgleich der Spieltisch beginnt, sich aufzulösen. Die nummerierten roten und schwarzen Rechtecke verschwinden in sumpfigen Farben – ein schwarzgrüner Schlund tut sich auf, bereit, alles zu verschlingen.

Die Farbe löst sich von Gegenstand und Form und verselbständigt sich zu einem rein materiellen Farbereignis, das aber wiederum im Bild eine Rückkopplung erfährt. Teppiche, Wandflächen, Decken bieten in Rachel Lumsdens Gemälden nicht nur Handlungsraum für die Protagonisten der Bilder, sondern sind gestalteter Gegenpart. In vielen der im  Kunstraum Kreuzlingen ausgestellten Bilder frisst sich Schwarz in die anderen Farben hinein und bringt sie gleichzeitig zum Leuchten, obwohl sie gar nicht strahlend sind. Eher wirken die abgetönten Farben verunreinigt, verdreckt, giftig. Gerade darin aber spiegeln sie die Verlorenheit der Spieler und die Realität menschlicher Beziehungen glaubwürdiger als jeder reine Ton.