Zweisamkeit im blauen Raum

by Kristin Schmidt

Dakini Dance Projects zeigen „Silk“ in der Lokremise. Es ist ihre erste gemeinsame Produktion. Die Aufführung in St. Gallen ist die 25. eines sinnlichen Stückes über die positive Kraft von Schönheit und Liebe.

Was ist Schönheit? Gibt es eine universale Schönheit, die über dem individuellen ästhetischen Empfinden steht? Kann Schönheit das Denken und damit die Welt verändern? Muss sie das? Wer sich der Schönheit verschreibt, sieht sich solchen Fragen ausgesetzt. Oft liegen auch die Begriffe des Kitsches und der Harmlosigkeit in der Luft. Dies alles waren für Susanne Daeppen und Christoph Lauener alias Dakini Dance Projects keine Hindernisse, im Gegenteil. Mit „Silk“ haben sich die beiden Tanzschaffenden dem Schönen verschrieben – und der Liebe. Das Stück will Frau und Mann gleichberechtigt und gleichwert zeigen: Einheit und Harmonie statt Geschlechterkampf und Drama.

Den Ausgangspunkt bildete für Daeppen und Lauener der ursprünglich japanische Butoh. Der Tanz entstand in den 1960er Jahren als Protest gegen die Amerikanisierung der japanischen Kultur. Gleichzeitig brach er mit den starren Kodes im traditionellen japanischen Tanz und orientierte sich am westlichen Ausdruckstanz. Dakini Dance Projects haben nun ihrerseits den Butoh weiterentwickelt: Den sogenannten „Tanz der Finsternis“ übersetzen sie in eine positive Grundstimmung. Geblieben sind die langsamen und expressiven Bewegungen des Butoh. Jede Geste wird zeitlich gedehnt und in grösster Perfektion ausgeführt, ganz gleich ob sie einen Finger, die ganze Hand oder den ganzen Körper betrifft. Jede Bewegung wird zum Ereignis. Die Tanzenden sind in jeder Sekunde höchst präsent.

Präzision und Langsamkeit setzen höchste Konzentration voraus – bei den Tanzenden genau wie beim Publikum. Susanne Daeppen hat besonders bei Festivalaufführungen beobachtet, dass die Besucher einige Zeit brauchen, um sich von der Veranstaltungshektik auf das Zeitlupentempo von „Silk“ einzulassen. Doch nach wenigen Minuten waren sie jeweils gefangen genommen von der Intensität des Stückes. Das liegt freilich nicht nur am Tanz, sondern am Gesamtcharakter des Stückes. Die Musik beispielsweise ist durchsetzt mit Stille und mit Naturtönen. Grillen zirpen, Frösche quaken. Es rauscht. Es schweigt. Dann wieder wollen Gitarrenklänge Sehnsuchtsräume eröffnen. Genauso wie der Bühnenraum. Lange, blau eingefärbte Segel aus Shoji-Papier prägen die Installation, entworfen vom Solothurner Künstler Joerg Mollet. Die Bahnen hängen von der Decke und breiten sich über den Boden bis zur ersten Zuschauerreihe aus. Sie wurden aus den Fasern des Maulbeerbaums produziert, in dem die Seidenspinner leben und dem Stück somit den Titel leihen: „Silk“.

Blau sind nicht nur die Papierbahnen, der ganze Raum ist von dieser Farbe durchdrungen. Es steht für die Weite, das Unbewusste, für Wasser und Luft. Das Blau öffnet sich ins Licht und wird in gezielt gesetzten Akzenten von der Komplementärfarbe gelb überstrahlt . Daeppen und Lauener setzten der Harmonie des Duetts starke Farbkontraste entgegen. Auch Rot kommt ins Spiel: Beide Tanzpartner malen sich mit dem Pinsel Schriftzeichen auf den Leib – nicht mit der Farbe des Blutes, sondern mit jener der Liebe. Ist soviel Gleichklang, soviel positive Grundstimmung noch spannend? Die beiden Tanzschaffenden betonen, dass „Silk“ ein Wagnis ist. Sie gehen es nun seit zwei Jahren immer wieder ein und erfahren bei jeder Vorstellung, dass sich die Zuschauenden von Schönheit berühren und entführen lassen. Am kommenden Wochenende hat nun das St. Galler Publikum Gelegenheit dazu.