Der Bär tanzt

by Kristin Schmidt

Jozef Frucek will mit seinen Produktionen ambivalente Gefühle auslösen. Dies gelingt ihm gemeinsam mit Linda Kapetanea und der Tanzkompagnie des Theaters St. Gallen mit „Bulldog Ant“ in der Lokremise.

Das Positive vorweg: Jozef Frucek und Linda Kapetanea entwerfen gemeinsam mit der Tanzkompagnie des Theaters St. Gallen starke Bilder. Die Tänzer und Tänzerinnen leisten viel auf höchstem Niveau. Die Musik trägt ganz wesentlich zur Kraft und Dynamik des Stückes „Bulldog Ant“ bei. Dennoch bleibt bei dieser Produktion ein schales  Gefühl zurück.

Das Stück bedient Geschlechterklischees ohne Bruch, ohne Gegengewicht, ohne Auflösung. Die Tänzerinnen bleiben in der Situation des Erduldens, während die Tänzer in Handlungen, Bewegungsart und -spielraum die aktive Rolle wahrnehmen. Sie dominieren, agieren, besetzen den Raum. Das ruft geradezu nach Ausgleich, zumal es den Tänzerinnen anzusehen ist, dass sie mit Körper und Charisma über viel Potential verfügen. Allein, sie werden gebändigt. Die führende männliche Hand kontrolliert die Bewegungslust. Einzig in endlos wiederholten rhythmischen Gesten darf sie sich Bahn brechen. Immerhin: Als Schreibkraft der Mind Map ist frau einsatzfähig oder auch in der (ausgezeichnet gesprochenen) Rolle der Wissensvermittlerin. Da jene aber mit geöffneten Schenkeln an eine der Lokremisensäulen gefesselt ist, dominiert auch hier die sexuelle Symbolik. Die Tänzerinnen nehmen wieder und wieder die Opferposition ein.

Wenn Missbrauch auf der Bühne thematisiert wird, sollte auch den Opfern eine Identität zugestanden werden. Dass anfangs ein Bär als testosterongesteuertes Triebtier seine Tatzen in Frauenschenkel gräbt, fügt dem Ungleichgewicht der Geschlechter nur eine weitere Facette hinzu. Dabei funktioniert dieses Bild wie viele andere des Stückes durchaus.

So taugen die knapp übermannshohen Eisenbahnschwellen sowohl als Gegenpart der Tänzer wie auch zur Gliederung des Raumes. Die Tänzer betätigen sich als Zimmermänner der Gefühle, sie errichten Barrieren, stossen sie um (am Ende des Stückes darf dies auch eine Tänzerin), begraben ihre Opfer darunter. Immer wieder rufen die Mühen der Tänzer mit den 40 kg schweren Holzelementen den Titel des Stückes in Erinnerung. Gleichzeitig wird die Isolation der Figuren schmerzhaft spürbar.

Das ganze Geschehen spielt sich vor einer überdimensionalen schwarzen Tafel ab, auf der besagte Mind Map ausgehend von den Begriffen „Lust, Genuss, Vergnügen“ entsteht. Da darf die Kunst nicht fehlen. Zitate aus der Kunstgeschichte sorgen denn auch für ästhetisch hochwirksame visuelle Effekte im Stück. Die Bahnschwellen erinnern an die Minimal Art-Holzskulpturen von Carl Andre. Wenn mit grosser Geste weisse Farbe auf die schwarze Tafel aufgetragen wird, ist das Action Painting nicht fern: Die Gemälde Franz Klines kommen in den Sinn. Überdies ist Einiges an Kreuzsymbolik ins Stück gepackt, die allerdings vordergründig bleibt.

Und die Frauen? Zu Beginn der letzten Viertelstunde dürfen sie kurz als gleichberechtigte Aktionspartnerinnen auftreten, die Isolation der Tanzenden wird aufgehoben, kraftvoll wird miteinander und gegeneinander agiert – bevor sich die Tänzerinnen wieder in zappelnde, kichernde Püppchen verwandeln. Ihnen hilft es nun auch nicht mehr, wenn der Bär mit dünnen Schnüren in Fesseln gelegt wird.